Der Tatort zum Zeitpunkt des Auffindens der Toten
Ich bin auf eine interessante Passage aus dem Augenscheins-Protokoll der Gerichtskommission aus Neuburg/D. gestossen.
Oberamtrichter Wiesner führte am 05. April 1922 folgendes aus:
"Die Gerichtskommission fand am 04. April nachts gegen 10 Uhr das Haus noch verschlossen vor. Man konnte in das Haus nur durch die westliche (Anm.: Die Himmelsrichtungen sind allesamt falsch angegeben) Türe des Maschinenhäuschens gelangen ... Bei der Ankunft der Kommission war diese Türe von innen nicht verschlossen, sie wurde nur durch ein aussen schräg angespreiztes Holzstück zugehalten. Da wo dieses Holzstück den Boden berührte, zeigte der Boden eine Vertiefung, woraus man fast schliessen möchte, dass diese Türe regelmässig oder doch meistens auf diese Weise geschlossen worden war."
Die Auffindungszeugen Schlittenbauer, Pöll und Sigl äusserten sich zum Zustand des Gebäudes wie folgt:
"Wir fanden sämtlicheTüren mit Ausnahme des zum Maschinenhaus führenden Tores verschlossen vor. Vom Maschinenhaus aus führt ein Scheunentor in die Tenne. Dieses Tor war verschlossen und zwar von innen."
(Schlittenbauer)
"Im Hause Gabriel angekommen, fanden wir alle Türen verschlossen vor, nur das zum Maschinenhaus führende Tor war unversperrt."
(Pöll)
"Gegen 5 Uhr nachmittags kamen wir dann am Hause an, fanden alle Türen, mit Ausnahme des zum Maschinenhaus führenden, verschlossen vor."
(Sigl)
Hieraus schlussfolgere ich, dass sowohl die Auffindungszeugen, als auch die Gerichtskommission das Gebäude durch die gleiche Tür betreten haben, da alle anderen Türen von innen verschlossen waren.
Es handelt sich zwingend notwendig um das südliche Tor zum Maschinenhaus, das wohl schon zu Lebzeiten der HKer nur von aussen durch ein angespreiztes Holzstück zugehalten wurde, da es über kein Schloss, etc. verfügte.
Die eigentliche Absicherung des Gebäudes vor Einbrechernerfolgte dann erst mit dem inneren Scheunentor, das die drei Zeugen aufgesprengt hatten (vgl. Gebäuderekonstruktionen von
@hexenholz).
Wenn aber nun, wovon ich ausgehe, entweder die drei Zeugen, oder aber die Gendarmen aus Hohenwart, das südliche Tor zum Maschinenhaus wieder in den Zustand versetzt haben, wie es Schlittenbauer, Pöll und Sigl gegen 17.00 Uhr vorgefunden haben, dann stand die um 22.00 Uhr eingetroffene Gerichtskommission tatsächlich vor dem von aussen mit einem angespreizten Holzstück zugehaltenen südlichen Tor.
Ich schlussfolgere weiter, dass der oder die Täter drei Möglichkeiten hatten, um ins Gebäude zu gelangen, um am 31.03.22 das Verbrechen zu verüben:
1.) Mit dem verlorengegangenen Haustürschlüssel schon Stunden vorher, als das Haus möglicherweise menschenleer war, oder am Vortag, wobei sie dann auf dem Dachboden übernachtet haben müssen.
2.) Er oder sie wurden von den Hkern selbst ins Gebäude gelassen.
3.) Über das vonaussen zugängliche Südtor über den Dachboden, wobei ein Täter wohl über das dort hängende "Fluchtseil" hinaufgeklettert sein muss, sofern es zu diesem Zeitpunkt schon dort hing.
Demzufolge wäre ein verabredetes, oder zufälliges Treffen der Viktoria Gabriel (und/oder Cäzilia Gruber?) gar nicht unwahrscheinlich. Sie könnten dann ihrem späteren Mörder selbst ein Tor geöffnet haben (Punkt 2.).
Andererseits bekäme die angebliche Aussage des Eisenwarenhändlers, wonach schon in der vorherigen Nacht Anlockversuche der Täter im Gebäude stattgefunden haben sollen, eine neue Prägnanz (Punkte 1. und 3.).
Zum Verlassen des Gebäudes ist anzumerken, dass der Täter tatsächlich über das Heuseil im Maschinenhaus hinuntergeklettert und anschliessend das Südtor wieder sorgfältig mit dem Holzstück verspreizt haben muss, was aber ein weiteres Sicherheitsrisiko für den Täter dagestellt hat.
Der verlorengegangene Haustürschlüssel steckte derweil von innen im Schloss derversperrten Haustüre.
Es sei denn, der Täter war im Besitz des Haustürschlüssels...
Ich spekuliere, dass der Täter das "Fluchtseil" auch deswegen im Maschinenhaus aufgehängt hat, um den Ermittlern zu signalisieren, dass die FREMDEN Täter nur über diesen Weg ins Gebäude gelangt sein konnten, um dann kurz darauf die Morde zu verüben (Punkt 3.).
Andernfalls hätten der den Opfern nicht fremde, bekannte Täter nur dadurch in Gebäude gelangen können, dass die HKer ihn vorher bewusst eingelassen haben (Punkt 2.).
Ein Täter, der Tage vorher die Möglichkeit hatte, den Haustürschlüssel zu entwenden, wäre ebenfalls kein Fremder gewesen, er hätte den Opfern ziemlich sicher bekannt sein müssen (Punkt 1.).
Wenn nun, wie der Zeuge Jakob Sigl später ausführte, das "Fluchtseil" zum Zeitpunkt als die drei Zeugen das innere Scheunentor aufsprengten, das Seil noch nicht gehangen hat, muss sich der Täter in diesem Augenblick noch im Gebäude befunden haben, da er keineMöglichkeit hatte, das Gebäude zu verlassen.
Für mich höchst unwahrscheinlich, die Entdeckung des Täters wäre wohl unvermeidlich gewesen. Er hätte das Gebäude erst dann verlassen können, als sich schon die Gendarmen, der Bürgermeister und zahlreiche Schaulustige auf den Weg nach HK gemacht hatten.
Sehr sicher scheint mir in diesem Fall zu sein, dass der Täter im Besitz des Haustürschlüssels war, der zu diesem Zeitpunkt nicht, wie der Zeuge L.S. 1931 aussagte, von innen in der Haustüre des Anwesens steckte, sondern in der Hosentasche des vermuteten Mörders von Hinterkaifeck.