Anhang: Die_erbrechtliche_Situation.pdf (11,5 KB)@AngRaAngRa schrieb:Die Ermittler haben der Nordseite des Hauses keinerlei Beachtung geschenkt , denn sie sind nicht davon ausgegangen, dass die Täter von dieser Seite über das Motorenhäuschen ins Haus gelangt sind bzw. gelangen konnten. Ansonsten würde es ein weiteres Tatortfoto von der Nordseite des Hauses geben. Polizei und Gerichtskommission sind mE vielmehr davon ausgegangen, dass die Täter von der Südseite über das Hoftor in das Maschinenhaus, von da in den Stadel und dann ins Haus gelangt sind. Daher gibt es das Hoffoto.
So ähnlich sehe ich das auch. Als Staatsanwalt hätte ich das jedenfalls so angeordnet. Es kann natürlich auch sein, dass das Foto aus Schlampigkeit nicht gemacht wurde oder verloren ging. Das halte ich aber für unwahrscheinlich.
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Mal ein ganz anderer Punkt, der mir als Jurist schon länger am Herzen liegt und den ich auch schon in anderen Foren ua mit
@AngRa diskutiert hatte. Vielleicht gibt es hier noch einen Juristen, der sich zu dem Problem äußern kann.
Relativ unstrittig ist ja, dass der erste Erbschein hinsichtlich der Erbschaft von Karl Gabriel jun. falsch war, weil seine Tochter als Erbin nicht berücksichtigt wurde. Dies wurde dann auch im Jahre 1922 noch korrigiert.
ME ist nun auch der zweite Erbschein hinsichtlich der Erschaft von Viktoria Gabriel falsch. In diesem Erbschein werden ja die Geschwister des Andreas Gruber und deren Abkömmlinge zur Hälfte zur Erbschaft berufen, während die andere Hälfte an Cäcilie Starringer geht, die Halbschwester der Viktoria. Dies ist mE so nicht richtig. Das deutsche Erbrecht basiert auf wenigen Prinzipien. Zuvörderst gehört hierzu das Erben nach sog. Parentelen (vom Gesetz auch als Ordnungen bezeichnet). Wichtig ist in diesem Zusammenhang § 1930 BGB aF:
§ 1930. Ein Verwandter ist nicht zur Erbfolge berufen, solange ein Verwandter einer vorhergehenden Ordnung vorhanden ist.
Die Norm ist recht einfach gehalten und besagt, dass wenn auch nur ein Erbe bspw. der ersten Ordnung vorhanden ist, alle denkbaren Erben der zweiten und höherer Ordnungen nicht mehr zum Zuge kommen. Gibt es keinen Erben der ersten Ordnung, sind die Erben der zweiten Ordnung am Zug. Gibt es aber auch nur einen Erben der zweiten Ordnung, scheiden alle denkbaren Erben der dritten und höherer Ordnungen aus usw.
Nun sind noch zwei wesentliche Normen zu beachten: Einmal § 20 BGB aF (dessen Inhalt wir jetzt überwiegend in § 11 VerschollenheitsG wiederfinden). Dort heißt es:
§ 20. Sind Mehrere in einer gemeinsamen Gefahr umgekommen, so wird vermuthet, daß sie gleichzeitig gestorben seien.
Diese Norm wurde auf den Fall Hinterkaifeck angewandt. Er war mehrfach Gegenstand gerichtlicher Verhandlungen im Streit um das Erbe von Viktoria Gabriel, da Karl Gabriel sen. sich darauf berief, dass seine Enkelin Cilli Gabriel nach allen anderen Opfern auf Hinterkaifeck gestorben sei. Dies wurde vom Gericht jedoch anders gesehen. Laut
@AngRa hat das Gericht (für mich auch sehr gut nachvollziehbar) recht ausführlich die Anwendbarkeit von § 20 BGB aF im Fall Hinterkaifeck begründet. Hernach ging das Gericht also davon aus, das alle Opfer auf Hinterkaifeck gleichzeitig verstorben sind.
Welche Auswirkung hat das auf die Erbfolge? Hier kommen wir zur zweiten wichtigen Norm, § 1923 Abs. 1 BGB aF:
§ 1923. Erbfähigkeit.
(1) Erbe kann nur werden, wer zur Zeit des Erbfalls lebt.
Dies bedeutet also im Zusammenspiel, dass die Opfer untereinander nichts erben konnten, weil sie eben alle als zum fiktiven gleichen Zeitpunkt gestorben galten.
Wer wäre nun danach Erbe der Viktoria Gabriel geworden? Dazu müssen die einzelnen Parentelen durchgegangen und festgestellt werden, ob es einen Erben der jeweiligen Ordnung gibt, beginnend mit der ersten Ordnung. Diese Erben erster Ordnung wären nach § 1924 BGB aF Viktorias Abkömmlinge. Die beiden Kinder waren aber gleichzeitig mit ihr verstorben, also zum Zeitpunkt des Erbfalles ebenfalls tot und damit nicht erbfähig, s.o. Die Erben der zweiten Ordnung wären gem. § 1925 BGB aF Viktorias Eltern (Andreas Gruber und Cäcilie Gruber) und deren Abkömmlinge. Die Eltern sind genauso wie die Kinder gleichzeitig mit ihr verstorben und nicht mehr erbfähig. Allerdings lebt noch eine Halbschwester, ein Abkömmling der Mutter von Viktoria, die Cäcilie Starringer. Damit existiert ein Erbe der zweiten Ordnung, der gem. § 1930 BGB aF alle nachfolgenden Ordnungen ausschließt. Dies wären dann die Großeltern der Viktoria und deren Abkömmlinge wie die Grubergeschwister und deren Kinder gewesen, § 1926 BGB aF. Da diese jedoch nur Erben der dritten Ordnung sind wären sie von Cäcilie Starringer als Erbin zweiter Ordnung von der Erbschaft ausgeschlossen gewesen. Danach hätte Cäcilie Starringer ihre Halbschwester Viktoria Gabriel alleine zu 100 % beerben müssen.
Laut
@AngRa ist der Richter aber irgendwie davon ausgegangen, das Erbe der Viktoria nach Linien (Linie des Vaters, Linie der Mutter) splitten zu müssen oder meinte (das war mir in der Diskussion nicht ganz klar geworden) er könne § 1925 BGB aF wegen des gleichzeitigen Versterbens gar nicht anwenden und müsste jetzt von vornherein auf § 1926 BGB aF zurückgreifen, was ebenfalls zu dieser Teilung 50:50 zwischen der Starringer und den Grubergeschwistern geführt hätte.
Das finde ich grundsätzlich irritierend, weil § 20 BGB aF eigentlich keine besonders nenneswerte Norm ist, die hier so grundlegend die Erbfolge ändern wollte. Alles, was die Norm im Zusammenspiel mit § 1923 Abs. 1 BGB aF erreichen wollte, ist, dass Personen, deren Todesreihenfolge nicht mehr feststellbar ist, nichts voneinander erben. Das ist auch logisch. Von diesen gleichzeitig Verstorbenen können aber alle lebenden Verwandten ganz normal erben. Es gibt da keinen sachlichen Grund diesen Fall anders zu behandeln, als wenn die Eltern bereits deutlich vor der Viktoria gestorben wären.
Nun hatte ich mir noch überlegt, dass das Recht damals anders ausgelegt wurde als heute (heute wäre der Erbschein ganz unzweifelhaft falsch). Aber ein Kommentar zum gerade eingeführten BGB aus dem Jahr 1900 gibt eine detaillierte Auflistung von Beispielsfällen wieder, in der auch ein Fall beschrieben wird, der mit den vorliegenden vom Prinzip her identisch ist. Auch danach erbt der Halbbruder bzw. in dem Fall der Sohn des Halbbruders alles, während der Onkel des Erblassers leer ausgeht. Das ist letztlich die Konsequenz aus dem Parentelprinzip, das Geschwister als engere Verwandte ansieht als Onkel und Cousinen, auch wenn sie nur über ein Elternteil verwandt sind.
Hier noch die Links
zum BGB in historisch synoptischer Darstellung:
http://lexetius.com/BGB/Inhalt#5zum Kommentar von 1900:
http://www.archive.org/stream/erbrechtdesbrge00schegoog#page/n83/mode/1up(auf Seite 21 (im Reader n83) ganz unten ist die Grafik zu dem Beispiel, auf der nachfolgenden Seite 22 (n84 im Reader) die Erläuterung dazu)
Interessant wäre es also, falls ein Jurist, der sich eventuell mit Rechtsgeschichte in Bayern befasst hat, oder jemand der ältere Kommentare zwischen 1900 und 1954 zur Hand hat, hierzu zu Wort meldet. Vielleicht gab es damals eine Norm in einem Nebengesetz, mir unbekannte Übergangsregelungen oder ähnliches die die mE sonst nicht haltbare Argumentation des Richters und im Ergebnis damit diesen Erbscheinstützen. Auch ein Erklärung der Rechtslage unter dem vor dem BGB bis 1900 in Bayern gültigen Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis wäre schon hilfreich. Leider ist Rechtsgeschichte nicht gerade mein Fachgebiet.
Im Anhang noch eine kleine Übersicht meinerseits.
Beste Grüße,
G.