GigiNazionale schrieb:Wie darf man sich dieses Einstimmigkeitsprinzip konkret vorstellen? Was ist, wenn unter den 12 Geschworenen ein oder zwei Personen eine abweichende Meinung vertreten? Wie wird auf diese Menschen eingewirkt, damit es am Ende eine einstimmige Entscheidung gibt? Kommt es da auch zu Mobbing oder unangenehmen Drucksituationen für die Beteiligten?
Während des Entscheidungsprozesses der Jury werden mehrere Probeabstimmungen durchgeführt. Wenn jedoch eine klare Mehrheit erkennbar ist und man sich mit der eigenen Einschätzung über den Angeklagten in der Minderheit wähnt, könnte es da nicht auch zu einem geänderten Abstimmungsverhalten kommen, obwohl die eigenen Zweifel an der Schuld des mutmaßlichen Täters weiterbestehen?
Kannst du uns da aus deiner eigenen Erfahrung heraus einen Einblick ins Innenleben einer Jury geben? Im Fall von BK steht ja die Todesstrafe im Raum, das sorgt sicher für zusätzlichen Druck innerhalb der Jury.
Wir haben es mit 12 Menschen zu tun, die manchmal gar wochenlang zusammen sein müssen, obwohl sie alle lieber woanders wären. Keiner kennt den anderen vor Beginn des Prozesses und die Auswahl ist recht zufällig: man findet in einer Jury Akademiker, Arbeiter, alt und jung, Familienmenschen und Singles und so weiter und so weiter. Jedenfalls in der Theorie, in der Praxis ist es meist die typische untere Mittelschicht. In manchen Fällen, allerdings nicht in den meisten, muss die Jury sogar zusammen in einem Hotel wohnen und darf keine Kontakte zur Aussenwelt haben.
Nun kann man sich vorstellen, dass in einer solch zusammengewürfelten Truppe aus 12-20 Personen (12 stimmen ab, aber meist werden "Ersatzjuroren" bestimmt, die zur Jury gehören, bis es schliesslich zur Abstimmungsphase kommt) garantiert bestimmte gruppendynamische Prozesse geben wird.
Wie die sind, ist jedes mal unterschiedlich. Da kann es den "Macher" geben, der gleich versucht die "Führung" zu übernehmen, da kann es das Mauerblümchen geben, das sich niemals traut zu sagen, was es wirklich denkt und abstimmt, wie die gefühlte Mehrheit, da kann es den Rebellen geben, der grundsätzlich gegen alle anderen ist und so weiter und so weiter.
Tatsächlich aber funktioniert es meistens recht gut. Dennoch sollte man sich darüber im Klaren sein, dass all das existiert.
Auf der positiven Seite muss ich sagen, die allermeisten juries, die ich erlebt habe, nehmen ihren Job sehr ernst. Sie wissen um die Verantwortung, die sie für das Leben des Angeklagten tragen, aber auch, die sie dem Opfer gegenüber haben. Sie bemühen sich, beiden Seiten offen gegenüber zu sein.
Das Auswahlgespräch am Beginn des Prozesses, an dem Staatsanwalt, Verteidiger und Richter beteiligt sind, soll extreme Ausrutscher verhindern. Es soll Vorurteile feststellen usw. In der Regel gelingt das.
Was sich dann hinter den verschlossenen Türen des Beratungszimmers abspielt, erfährt man in der Regel nicht.
Meistens einigt sich die Jury auch, was auch bedeutet, dass alle Prozessbeteiligten eine anständige Arbeit geleistet haben. Vernunft soll am Ende gewinnen.
Manchmal aber einigt sich die Jury nicht. Dann ist das eben so. Dann muss der Prozess, oder zumindest eine Phase, eben wiederholt werden.
Aus Bayern kommend, war ich am Anfang eher skeptisch, aber nach über 20 Jahren in den USA bin ich beeindruckt, dass das System in der Regel durchaus gut funktioniert. Die Menschen sind besser als man denkt.
Es gibt ja auch einige sehr bekannte Beispiele, die zeigen, dass sich eine Jury nicht verleiten lässt, einem tatsächlichen oder vermeintlichen Druck der "Öffentlichkeit" oder von sonst wem nachzugeben. Der Fall "Casey Anthony" ist so ein Beispiel, gerade weil die Öffentlichkeit meint, die Jury habe "falsch" entschieden. Als Jurist bin ich der Meinung, sie hat genau richtig entschieden.
Daher denke ich, auch Kohberger wird einen fairen Prozess vor einer Jury in Idaho bekommen können.