Der mysteriöse Fall der Evi Rauter aus Lana
22.06.2022 um 07:23
Ich hab mir jetzt den 2. Beitrag der Serie auch angeschaut, und da ich sowohl Italienisch als auch Spanisch spreche, konnte ich ihm auch sehr gut folgen (so schwierig ist es dann nicht, auch katalanisch zu verstehen. Und die Schwester spricht italienisch in diesem Beitrag).
Nicht viel Neues. Sowohl der Gerichtsmediziner Lacaci als auch der damalige Leiter der Ermittlungen der Guardia Civil bestätigen noch einmal, was ich die ganze Zeit vermutet habe: es bestand ein gewisser "confirmation bias:" "Wir sind von vornherein davon ausgegangen, dass wir es mit einem 'normalen' Selbstmord zu tun haben." Aus dem Grund wurden keine weiteren forensischen Untersuchungen vorgenommen. Es gab auch, wie Lacaci noch einmal betonte, keine Spuren von Gewalt, keine Spuren, "die uns irgendwie veranlassten, weiter zu forschen."
Das ist aus heutiger Sicht traurig, aber verständlich und vermutlich auch ganz normal. Lacaci bedauert das zutiefst, denn er ist und bleibt überzeugt, dass es unmöglich für Evi war, allein in die Lage zu kommen, in der man sie vorgefunden hat. Das ist ihm aber erst bei Betrachtung der Bilder klargeworden, als die forensische Untersuchung bereits abgeschlossen war.
Ansonsten geht es um die Frage, wie und warum Evi nach Portbou gelangte. Es ist wohl erwiesen, dass sie mit einem Zug dort hätte ankommen können. Ein alter Fahrplan wird gezeigt, in welchem ein Zug aus Frankreich dort um 5.45 Uhr ankommen sollte. Man interviewt auch den derzeitigen Bürgermeister, der damals ein Fahrdienstleiter bei RENFE, der spanischen Staatsbahn in Portbou gewesen ist. Der sagt, dass es einen Zug aus Italien gab, der "immer um 6.30 Uhr morgens" angekommen sei.
Dieser scheinbare Unterschied ist m.E. durchaus erklärbar: die fahrplanmässige Ankunft war 5.45 Uhr aber der ehemalige Bahnbeamte spricht vermutlich aus Erfahrung, die sich mit meiner und der anderer deckt, dass Züge in Italien und vermutlich auch die aus Italien kommenden, meist etwas Verspätung hatten. Ich nehme daher an, dass er da aus Erfahrung spricht und 6.30 nennt, anstatt die fahrplanmässige Uhrzeit zu nennen.
Ob nun 5.45 Uhr oder eher etwas später, was bleibt ist, dass es möglich war und, das allerdings ist auch klar, dass es bedeutet, dass Evi sehr wenig Zeit hatte, den Baum, das Seil usw. zu finden. Wie das alles in der sehr kurzen Zeit möglich sein sollte, ist den Beteiligten hier im Film "ein Rätsel."
Auffällig bleibt, dass der Tatort extrem nah an bewohnten Gebäuden und dem "Campingplatz" der österreichischen Gruppe liegt.
Spannend ist freilich die Aussage der Nachbarin, die m.E. klar und eindeutig ist: sie hat an jenem Morgen Laute gehört, die auf einen Streit unter Jugendlichen hinweisen, und hat ein Mädel sehr weinen gehört.
Sie hat versucht ihre Beobachtung noch am Auffindetag der Guardia Civil mitzuteilen, wurde von dieser aber abgewimmelt. Confirmation bias. Stellt man sich die Lage der relativ einfachen Bevölkerung da vor, bedenkt das bekanntermassen angespannte Verhältnis zwischen der spanischen Gendarmerie (guardia civil) und der katalanischen Bevölkerung und geht man von einer nicht ungewöhnlichen etwas überheblichen Meinung ermittelnder Beamten gegenüber der Zivilbevölkerung aus, sehe ich hier keinen Grund, an der Aussage der Nachbarin zu zweifeln. "Am Ende hat die Obrigkeit Recht..."
Man wird sehen, was die italienische Polizei und Staatsanwaltschaft nun daraus machen, und machen können. Sie haben jedenfalls ein Ermittlungsverfahren eröffnet, das nach italienischem Recht erst mal 6 Monate laufen kann.
Schwester und Familie bleiben dabei, dass es keinerlei Anzeichen für eine depressive Stimmung bei Evi gab. Auch wenn das nicht ausschliesst, dass es diese gegeben haben mag, so ist es doch ein ernstzunehmendes Indiz, das erst mal gegen eine Selbstmordabsicht spricht - zumindest eine, die in Italien schon bestanden haben soll.
Interessant auch, dass die Schwester noch einmal betont, dass Evi nichts mitgenommen hat, was auf einen "Abschied" hindeutet: ihr Koffer mit ihren zwei Kleidern, die sie nach Florenz mitgenommen hat, blieb im Apartment der Schwester zurück. Nach allem, was man daraus deuten kann, ist Evi tatsächlich nur mit der Kleidung, die sie am Körper trug, ihrem Ausweis, ihrer Eisenbahnkarte und 60.000 Lire verschwunden. Also nur mit dem, was man für einen kurzen Trip ins eine Stunde von Florenz entfernte Siena braucht.
In Italien wurde recht schnell und recht umfangreich mit Plakaten damals nach Evi gesucht. Niemand hat sich je gemeldet, dem sie aufgefallen sei.
Der mysteriöse italienische Wagen in Portbou wird wieder mit keinem Wort erwähnt. Die Österreicher sollen mit einem VW-Bus dort gewesen sein. Ansonsten verweigern diese die Auskunft, wo sie sich vor ihrer Übernachtung in Portbou aufgehalten haben.
Leider also kein neues Licht im Dunkel dieses Falles.