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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

678 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Mord, Celle, Strafrecht ▪ Abonnieren: Feed E-Mail

Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

02.11.2023 um 13:30
Zitat von Juris019Juris019 schrieb:Beim Grundsatz "ne bis in idem" handelt es sich um einen Grundpfeiler des Rechtsstaates. An diesem zu rütteln stellt den gesamten Rechtsstaat infrage.
@Juris019:
Den Grundsatz "ne bis in idem" will ja auch niemand in Frage stellen, nur die eigenwillige Interpretation dieses Grundsatzes durch das BVerfG. Und bevor @Rick_Blaine und du weiterhin das Märchen verbreiten, der Rechtsstaat wäre gefährdet durch die Ergänzung des § 362 StPO, hier ein Blick darauf, wie es im übrigen Europa geregelt ist:
Eine Wiederaufnahme zuungunsten der betroffenen Person ist in sieben der ausgewerteten Staaten (vgl. auch Wissenschaftliche Dienste des Bundestages, WD 7 – 3000 – 262/18 und WD 7 – 3000 – 007/22) insgesamt unzulässig. In weiteren sieben Staaten ist sie beschränkt auf gefälschte Beweismittel, Falschaussagen oder andere Verfahrensfehler wie Korruption, Bestechung oder Amtsmissbrauch (propter falsa) vorgesehen. In 17 Staaten ist dagegen mit Unterschieden im Einzelnen eine ungünstige Wiederaufnahme auch aufgrund neuer Tatsachen oder Beweismittel (propter nova) möglich.
Quelle: Randziffer 21, BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 31. Oktober 2023, https://www.bverfg.de/e/rs20231031_2bvr090022.html

Ist deiner Meinung nach also in diesen 17 europäischen Staaten der Rechtsstaat bedroht?


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02.11.2023 um 14:07
Zitat von Sherlock_HSherlock_H schrieb:@Juris019:
Den Grundsatz "ne bis in idem" will ja auch niemand in Frage stellen, nur die eigenwillige Interpretation dieses Grundsatzes durch das BVerfG.
Der Grundsatz „ne bis in idem“ ist ja, das habe ich nun schon mehrfach geschrieben, bereits in Frage gestellt. Und zwar durch § 362 Nummern 1 bis 4. Es ist also gerade NiCHT so, das „ne bis in idem“ ganz absolut ohne Ausnahmen gilt.

Wenn also bei den Nummern 1 bis 4 dieser Grundsatz nicht gilt, was allgemein akzeptiert ist, stellt sich automatisch die Frage, warum eine Erweiterung des Kataloges der Nummern 1 bis 4 dann unter allen Umständen unmöglich sein soll.

Die Pressemitteilung des BVerfG (das ist nicht das vollständige Urteil) gibt darauf zunächst nur in aller Kürze eine Antwort: Nummern 1 bis 4 sei mit der Neuregelung der Nummer 5 nicht vergleichbar, daher keine Ausweitung des Kataloges der Wiederaufnahmegründe zuungunsten des Freigesprochenen.

Im vollständigen Urteil sind gewiss weitere, vertiefte Hinweise auf Judikatur und Rechtswissenschaft angeführt, warum unter verfassungsrechtlichen Aspekten keine Vergleichbarkeit, insbesondere nicht mit der Nummer 4, gegeben sein soll. Ich erwarte da auch eine Auseinandersetzung mit der anderslautenden Argumentation des OLG Celle.

Was ich nur sagen wollte: Soooo unantastbar, dass bisher keinerlei Ausnahmen vom Grundsatz „ne bis in idem“ gemacht wurden, ist dieser Grundpfeiler des Rechtsstaats nicht, wie eben die existierenden Nummern 1 bis 4 zeigen.

Daher: Ob 103 (3) GG Ausnahmen zulässt, muss man nicht weiter diskutieren. Er tut es. Diskutieren muss man vielmehr über die Art und Berechtigung dieser Ausnahmen, die natürlich alle an Sinn und Zweck von Art. 103 (3) GG zu messen sind.


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02.11.2023 um 14:19
Zitat von LentoLento schrieb:Eins muss man hier ganz klargestellt werden, der "möglcihe Verdächtige" ist ein freigesprochener Mann und für ihn gilt nunmal das Ermittlungsverbot.

Trotzdem, Du zeigst es sehr genau auf, wie verlockend der Griff zu den verbotenen Früchten sind. Rein theoretisch kann man es verstehen, aber es ist und bleibt nun mal verfassungswidrig.

Würde ein Dieb so wie Du vor Gericht argumentieren, dann würde er in die Gefahr laufen, dass die Strafe nicht mehr zur Bewährung ausgesprochen wird, denn jeder Richter würde bei einem solchem Vortrag klar erkennen, die Wiederholungsgefahr ist sehr hoch. Solche Begründungen sind ganz klar kontraproduktiv füpr ein mildes Urteil.


Im vorliegdnen Fall hat man nicht nur zu den verbotenen Früchten gegriffen sondern zusätzlich diese Sache publik gemacht. Der Staat (bzw. seine Handelneden) hat diesen „unerträglichen“ Zustand bewirkt, der - falls das vom Freigesprochen ausgeht –durch Punkt 4 § 362 StPO sanktioniert wird. Genaugenommen müsste für diese Handlungsweise der Staat, genaugenommen dessen Handelnden in irgendeiner Form sanktioniert werden.

Statt solche Sanktionen einzuleiten, haben die Politiker haben nun versucht das alles auf den Kopf zu stellen und sind vom BVerfG nun deutlich abgewatscht worden. Deutlicher kann es eigentlich nicht sein, denn selbst das Rückwirkungsverbot wollte der Gesetzgeber aushebeln.

Das BVerfG hat nun ganz deutliche Worte gesprochen, ich hoffe dass diese illegale Greifen nach den verbotenen Früchten nun seltener wird. Ganz wird man es nicht vermeiden können, weil – wie Du es ebenfalls schilderst – der gesetzeswidrige Griff ist einfach zu verlockend. Genau das meinte ich auch mit dem letzten Absatz meines vorherigen Beitrages, die Verlockung ist sehr groß. Gerad
Ich finde es schon absurd wie hier ein Sexualmörder mit einen Dieb gleichgesetzt wird. Ich bin absolut für den Grundsatz "ne bis in idem" aber in meinen Augen darf hier das Recht des einzeln in einem solch schweren Verbrechen nicht über das der Allgemeinheit gestellt werden. Ich lehne mich mal soweit aus dem Fester, um zu behaupten, dass vom einem solchen Täter ohne und ggf. auch trotz Therapie immer eine Gewisse Gefahr ausgehen kann/wird. Im Endeffekt bringt eine weitere Diskussion auch nichts, da man immer bei dem Grundsatz landen wird ,,wo fange ich an, wo höre ich auf"

Aber mal ein anderer Ansatz/Frage: dem Namen zufolge hat Ismet H. vermutlich türkische? Wurzeln, wäre es rein theoretisch möglich, dass dieser, aufgrund der relativ klaren Faktenlage z.B in der Türkei verurteilt wird? In Europa bzw. der EU gilt ja ,,ne bis in idem" für Verurteilte/Freigesprochene aller Vertragsstaaten, aber diese würde ja z.B nicht für die Türkei gelten. Ich halte es für extrem unwahrscheinlich, dass der türkische Staat daran Interesse hat, aber die Möglichkeit besteht in der Theorie, oder?


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02.11.2023 um 15:09
Zitat von Sherlock_HSherlock_H schrieb:Den Grundsatz "ne bis in idem" will ja auch niemand in Frage stellen, nur die eigenwillige Interpretation dieses Grundsatzes durch das BVerfG. Und bevor @Rick_Blaine und du weiterhin das Märchen verbreiten, der Rechtsstaat wäre gefährdet durch die Ergänzung des § 362 StPO,
Ich finde es schon mutig, dass Du einen seit Jahrzehnten bestehenden Grundkonsens der Rechtswissenschaft immer und immer wieder in Frage stellst. Zumal, ganz unabhängig von dem aktuellen Urteil, in Deutschland auch EU-Recht berücksichtigt werden muss. Da Du meinen vorherigen Beitrag dazu wohl nicht gelesen hast, zitiere ich gerne die entsprechende Norm:
Art. 50
Recht, wegen derselben Straftat nicht zweimal strafrechtlich verfolgt oder bestraft zu werden
Niemand darf wegen einer Straftat, derentwegen er bereits in der Union nach dem Gesetz rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren erneut verfolgt oder bestraft werden.
Quelle: https://dejure.org/gesetze/GRCh/50.html

So "eigenwillig" ist diese Interpretation wohl doch nicht. Die EU-Grundrechte-Charta gilt zwar "nur" bei der Durchführung des Rechts der Europäischen Union, gibt aber dennoch einen mehr als klaren Anhaltspunkt dafür, dass man ne bis in idem so auszulegen hat, wie es das BVerfG und praktisch alle Verfassungsrechtler tun. Natürlich kann man sich im Detail streiten. Diese Regelung wurde auch nicht völlig grundlos von einigen als verfassungskonform angesehen. In ihrer konkreten Form ist sie es aber und das hat der Senat einstimmig so gesehen. Allein zwei Richter sehen für die Zukunft die Möglichkeit, eine solche Regelung in engen Grenzen verfassungskonform umzusetzen.
Zitat von Sherlock_HSherlock_H schrieb:Ist deiner Meinung nach also in diesen 17 europäischen Staaten der Rechtsstaat bedroht?
Ein Rechtsstaat bemisst sich auch immer daran, wie ernst die eigene Verfassung genommen wird. Und in DE hat ne bis in idem Verfassungsrang. In anderen Staaten nicht oder nicht in der Deutlichkeit, wodurch sich Unterschiede erklären lassen. In den USA gilt der Grundsatz bspw. noch strikter als bei uns. Es gibt auch kaum andere europäische Länder, in denen die Verfassung direkt mit den Grundrechten anfängt. Einige haben diese nicht einmal direkt in die Verfassung hineingeschrieben. Wenn man schon Rechtsvergleichung betreiben möchte, dann sollte man sich auch mit den Details auseinandersetzen und nicht einfach Bruchstücke in den Raum werfen.
Zitat von Juris019Juris019 schrieb:Nur, wenn man einmal anfängt Rechte von Verfassungsrang zu verwässern bzw. einzuschränken, weil es in einem Einzelfall sinnvoll erscheint, dann braucht man diese Dinge gar nicht erst in die Verfassung aufzunehmen. Grundrechte und grundrechtsgleiche Rechte dienen ja gerade dem Schutz des Einzelnen vor zu starken Eingriffen durch den Staat, der regelmäßig der Stärkere ist. Sollte dieser Schutz gelockert werden, dann betrifft es aber eben nicht mehr nur den Einzelnen, sondern kann für jeden zum Nachteil werden. Und das ist das Problem dahinter.
Und zu dem "Märchen" was hier erzählt werden würde: Ich habe mich auf Rechte von Verfassungsrang bezogen und das ist in DE eben auch der Grundsatz ne bis in idem. Wenn dieser in anderen Staaten nicht denselben Schutz genießt, dann kann er dort auch stärker eingeschränkt werden, ohne dass der Rechtsstaat bedroht wird. Wenn man aber anfängt, Verfassungsgrundsätze schrittweise zu lockern, dann kann man sie irgendwann gleich ganz über Bord werfen (damit beziehe ich mich jetzt nicht allein auf ne bis in idem). Und das hat dann mit Rechtsstaatlichkeit nicht mehr viel zu tun. Irgendwo muss nun einmal die Grenze gezogen werden und das hat das BVerfG für Art. 103 III GG mit deutlichen Worten getan.
Ich habe mittlerweile den Eindruck, Du möchtest die Argumente missverstehen.


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02.11.2023 um 15:36
Zitat von mjk-17mjk-17 schrieb:Ich finde es schon absurd wie hier ein Sexualmörder mit einen Dieb gleichgesetzt wird.
Wird es nicht. Solche Überzeichnungen dienen dem Verständnis, weil man an Überzeichnungen besser das grundlegende Problem erkennt.

Du möchtest (zu einem gewissen Grad) Einzelfalllösungen. Das erscheint auf den ersten Blick gerechter, doch mal ausnahmsweise den Mörder grundlegend anders zu behandeln als den Dieb - aber es scheint nur so. In der Realität neigen Laien gerne dazu, sich einen einzigen Fall heraus zu nehmen und diesen dann nach Gerechtigkeitserwägungen konkret zu betrachten. Das ist aber falsch, weil es ein allgemeingültiges Strafrecht ausschließt. Damit ist jeder Willkür Tür und Tor geöffnet. Was man vielleicht an Einzelfallgerechtigkeit für einen konkreten Umstand gewinnt, verliert man zehnfach an Gerechtigkeit, wenn man es insgesamt betrachtet.
Wenn wir anfangen, besonders schlimme Dinge mit anderen Grundsätzen zu bewerten, werden wir immer mehr Dinge in diesen Bereich der "absoluten Ausnahmen" aufnehmen. Am Schluss stehen wir dann vor einem Scherbenhaufen, in dem es für alle schlechter ist.

Rechtsstaatliche Prinzipien können in manchen Fällen sehr weh tun. Aber unterm Strich bedeuten sie ein deutliches Mehr an Gerechtigkeit. Immer, wenn man von einem solchen Fall (zu Recht!) empört ist, muss man sich genau das vors Auge halten.
Zitat von mjk-17mjk-17 schrieb:da man immer bei dem Grundsatz landen wird ,,wo fange ich an, wo höre ich auf"
Ja genau. Das ist immer eine Gratwanderung. Mal schlägt so etwas gesellschaftlich mehr in die eine und mal mehr in die andere Richtung.
Ich finde, wir haben in Deutschland ein sehr ausgewogenes Strafrechtssystem (natürlich trotzdem mit Schwächen) und es gehört leider dazu, dass man manche speziellen Fälle ertragen muss.
Zitat von Juris019Juris019 schrieb:Wenn man aber anfängt, Verfassungsgrundsätze schrittweise zu lockern, dann kann man sie irgendwann gleich ganz über Bord werfen
Eben.
Das kann im Einzelfall nur schwer erträglich sein. Aber man muss sich immer bei solchen Fällen vor Augen halten, dass es um die gesamtgesellschaftliche Situation geht. Diese muss man möglichst abstrakt und allgemeingültig halten.


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02.11.2023 um 16:15
@Sherlock_H :
Zitat von Sherlock_HSherlock_H schrieb:In 17 Staaten ist dagegen mit Unterschieden im Einzelnen eine ungünstige Wiederaufnahme auch aufgrund neuer Tatsachen oder Beweismittel (propter nova) möglich.
Leider steht da nicht, um welche Staaten es sich dabei handelt. Weißt Du das zufällig oder jemand anders hier?

Was mich, ohne Jurist zu sein, spontan an der Begründung störte, war die m. E. unfaire Gewichtung zugunsten eines potentiellen Täters.
Der Freigesprochene solle sich seines Freispruches sicher sein.

Für den tatsächlich Unschuldigen, der aufgrund ungünstiger Umstände in Verdacht geriet, mag das ja gut und richtig sein. Der kann aufatmen und wird sich trotzdem ohnehin nie wieder "sicher" fühlen. Auch das nur insofern, als dass er wegen desselben Delikts nicht wieder in die Mühlen der Justiz geraten kann. Wegen etwas anderem schon.
Ich höre quasi schon den Einwand: "Wie wahrscheinlich ist das wohl, dass es demselben Menschen zweimal passiert, dass er unschuldig eines ( anderen als des ersten ) Verbrechens bis hin zur Verhandlung verdächtigt wird?"

Gegenfrage: Wie wahrscheinlich ist es wohl, dass echte neue Beweise / Tatsachen mit Wiederaufnahmepotential in einem Fall auftauchen, die wieder auf denselben Unschuldigen als Täter hinweisen?

Umgekehrt lebt der tatsächliche Täter im Bewusstsein seiner Täterschaft unverdient ungestört und unter dem Schutze dieses Gesetzes weiter.

Das Opfer hingegen ist ab dem Tatzeitpunkt tot. Für immer. Warum sollte einen freigesprochener Täter also nicht im Hinterkopf die Frage beschäftigen oder meinetwegen auch quälen, ob er nicht doch noch überführt wird? Von einer Wiederholungsgefahr nach einer "erfolgreichen" ( also ungestraften ) Tat mal nicht zu reden.

Darüber hinaus werden doch Ermittlungen, die daraus folgen, dass man den Fall nicht abschließen konnte, behindert oder sinnlos, wenn sie sich nicht auf alle denkbaren Täter beziehen dürfen, wie in diesem Fall.

Gleichzeitig sind die Hürden für eine Wiederaufnahme, die ein einmal verurteilter Unschuldiger erreichen möchte, um seine Unschuld zu beweisen, sehr hoch. Begründet wird das allgemein mit dem sogenannten Rechtsfrieden.

Für den Nichtjuristen läuft das doch platt auf einen Grund heraus: die Justiz möchte nicht mit ihren Fehlern konfrontiert werden, in die eine oder andere Richtung. Dabei kann man aus Fehlern lernen.

Eine "einfache" Lösung für den Problemkomplex wird es wohl nicht geben.

MfG

Dew


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

02.11.2023 um 17:05
Zitat von DewDew schrieb:war die m. E. unfaire Gewichtung zugunsten eines potentiellen Täters
"Potentielle Täter" sind alles "Unschuldige".
Zitat von DewDew schrieb:Für den tatsächlich Unschuldigen, der aufgrund ungünstiger Umstände in Verdacht geriet, mag das ja gut und richtig sein.
Und das ist absolut jeder, der nicht rechtskräftig verurteilt ist. Genau das ist ja das entscheidende. Wenn Du jetzt anfangen würdest, nach eigenen Kriterien zu bewerten, wer vielleicht schuldig sein könnte oder nicht, trittst Du damit die Unschuldsvermutung in die Tonne. Das kann man machen, aber unterm Strich führt das zu weit mehr Ungerechtigkeit.
Der Grundsatz ist: Lieber ein schuldiger auf freiem Fuß als ein Unschuldiger verurteilt. Um das zu erreichen, sind die Hürden für die Aussage "der war es" sehr hoch.
Zitat von DewDew schrieb:Umgekehrt lebt der tatsächliche Täter im Bewusstsein seiner Täterschaft unverdient ungestört und unter dem Schutze dieses Gesetzes weiter.
Ist schwer zu ertragen. Aber irgend einen Preis muss man zahlen und dieser ist der geringere.

Jede Ausprägung, die man wählt, ist in manchen Fällen blöd und unbefriedigend. Die Frage ist nur, welche in einer Gesamtbetrachtung weniger schlecht ist.
Zitat von DewDew schrieb:Warum sollte einen freigesprochener Täter also nicht im Hinterkopf die Frage beschäftigen oder meinetwegen auch quälen, ob er nicht doch noch überführt wird?
Weil die selbe Frage den Unschuldigen quälen würde.
Zitat von DewDew schrieb:Darüber hinaus werden doch Ermittlungen, die daraus folgen, dass man den Fall nicht abschließen konnte, behindert oder sinnlos, wenn sie sich nicht auf alle denkbaren Täter beziehen dürfen, wie in diesem Fall.
Man kann den Fall doch abschließen. Dass jemand juristisch nicht belangt werden kann, hindert ja nicht daran, den Fall sachlich abzuschließen. Wenn der Täter vor einer Verurteilung tot ist, kann ja auch keiner belangt werden und dennoch kann der fall abgeschlossen werden.
Zitat von DewDew schrieb:Begründet wird das allgemein mit dem sogenannten Rechtsfrieden.
Ja. Auch eine schwierige Situation. Aber eine andere Baustelle.
Zitat von DewDew schrieb:Dabei kann man aus Fehlern lernen.
Es geht ja nicht um fehlendes Fehlereingeständnis (das gibt es natürlich auch). Es geht darum, dass man einen definierten Prozess hat, der eine Situation abschließend klärt. Und natürlich kann kein Prozess jede denkbare Situation klären, in manchen Fällen bleibt es bei einer Fiktion.
Ist blöd, wenn man genau so einen Fall isoliert betrachtet. Aber man muss eben auch alle anderen Möglichkeiten sehen.


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02.11.2023 um 17:26
Zitat von DewDew schrieb:Leider steht da nicht, um welche Staaten es sich dabei handelt. Weißt Du das zufällig oder jemand anders hier?
Ich kenne leider auch nicht alle 17 Staaten, die das BVerfG dazu gezählt hat, aber in dem im Urteil als Quelle angegebenen Bericht der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages werden 11 Staaten aufgeführt, in denen eine "Wiederaufnahme zuungunsten des
Angeklagten wegen neuer Tatsachen möglich ist".

Hier die komplette Liste, kopiert aus dem Inhaltsverzeichnis. Die Zahlen hinter den Ländern ist jeweils die Seitenzahl.
3. Rechtslage im Ausland 5

3.1. Länder, in denen eine Wiederaufnahme zuungunsten des
Angeklagten wegen neuer Tatsachen nicht möglich ist 5

3.1.1. Belgien 5
3.1.2. Estland 5
3.1.3. Frankreich 5
3.1.4. Griechenland 6
3.1.5. Kroatien 6
3.1.6. Polen 6
3.1.7. Rumänien 7
3.1.8. Slowenien 7
3.1.9. Spanien 7

3.2. Länder, in denen eine Wiederaufnahme zuungunsten des
Angeklagten wegen neuer Tatsachen möglich ist 7

3.2.1. Bulgarien 7
3.2.2. Dänemark 8
3.2.3. Finnland 8
3.2.4. Irland 8
3.2.5. Lettland 9
3.2.6. Litauen 9
3.2.7. Österreich 9
3.2.8. Schweden 10
3.2.9. Slowakei 10
3.2.10. Tschechische Republik 10
3.2.11. Ungarn 11
Quelle: https://www.bundestag.de/resource/blob/593140/db45433e87a6f4ffb2dd8c91dff97557/WD-7-262-18-pdf-data.pdf

Hervorhebungen durch mich.


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02.11.2023 um 17:35
Zitat von DewDew schrieb:Leider steht da nicht, um welche Staaten es sich dabei handelt. Weißt Du das zufällig oder jemand anders hier?
Das OLG Celle schreibt in seinem bereits mehrfach verlinkten Beschluss (dort s. 17):
Zudem hat das Landgericht in seiner Verfügung vom 07.03.2022 (SH Beschwerde, Bl. 1 ff.)
zutreffend darauf hingewiesen, dass auch andere Länder in Europa, wie z.B. Bulgarien,
Dänemark, Finnland, Irland, Lettland, Litauen, Österreich, Schweden, die Slowakei, Ungarn
oder die Tschechische Republik in ihren Strafprozessordnungen ausdrücklich die Möglichkeit
der Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Strafverfahrens zuungunsten des
früheren Angeklagten wegen neuer Tatsachen oder Beweismittel zulassen.
Noch mal zu § 362 Nr. 4 StPO (zulässiger Wiederaufnahmegrund = glaubwürdiges Geständnis): Das BVerfG schreibt hierzu im Urteil (Rn 122, https://www.bverfg.de/e/rs20231031_2bvr090022.html):
Auch § 362 Nr. 4 StPO hat nicht eine Änderung des Freispruchs zum eigentlichen, vorrangigen Ziel. Vielmehr hat die Norm den Zweck, ein Verhalten zu verhindern, das die Autorität des rechtsstaatlichen Strafverfahrens infrage stellen würde (vgl. Frister, in: SK-StPO, 5. Aufl. 2018, § 362 Rn. 1; Tiemann, in: KK-StPO, 9. Aufl. 2023, § 362 Rn. 1a, 26; Kaspar, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, StPO, 5. Aufl. 2023, § 362 Rn. 7; Weiler, in: Dölling/Duttge/ Rössner, Gesamtes Strafrecht, 5. Aufl. 2022, § 362 StPO Rn. 6; a.A. Kubiciel, GA 2021, S. 380 <392>; Schöch, in: Festschrift für Manfred Maiwald, 2010, S. 769 <779 f.>).

In den Motiven zur Strafprozessordnung von 1877 wurde der entsprechende Wiederaufnahmetatbestand damit begründet, dass das allgemeine Rechtsbewusstsein leicht irregeführt werden könne, wenn ein Freigesprochener sich folgenlos öffentlich der Straftat rühmen könnte (vgl. Motive zum Entwurf einer Strafprozessordnung von 1874, abgedruckt in: Hahn, Die gesammten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, Bd. 3, Erste Abteilung, 1880, S. 265). Er solle nicht in aller Öffentlichkeit die kriminelle Tat schildern, das Opfer und dessen Angehörige verhöhnen, mit dem Freispruch prahlen und den Staat lächerlich machen dürfen (
Aha, lese ich durch die Hintertür da nicht etwas vom „Unerträglichkeitsmoment“, mit dem auch die neue Nr. 5 für schwerste Straftaten gegen das Leben maßgeblich begründet wurde?

Zudem: Was ist mit einem Geständnis, das ein rechtskräftig Freigesprochener, der wirklich unschuldig ist, nur ablegt, um eine ihm nahestehender Person, die schuldig ist, vor weiteren Ermittlungen zu schützen? Auch so jemand wird gemäß Nummer 4 durch die Mühlen eines Wiederaufnahmeverfahrens gedreht, sein gar nicht auf Verhöhnung von Opfern und Angehörige zielendes Geständnis in einer neuen Hauptverhandlung wird auf Glaubhaftigkeit geprüft, alles andere auch noch mal.

Kurzum: Das Argument, Nummer 4 erlaube deswegen einer Wiederaufnahme zuungunsten des Freigesprochenen, weil dieser mit einem nachträglichen Geständnis quasi den Rechtsstaat und Opfer und Angehörige verhöhne, ist in dieser Verengung nicht ohne weiteres stichhaltig, zumal Nummer 4 nicht ausschließlich auf ein in aller Öffentlichkeit (Kneipe, Marktplatz, Medien) abgelegtes Geständnis abhebt, sondern zusätzlich auf ein nur vor Gericht abgelegtes Geständnis. Wieso sollte ein bloß vor Gericht, ggf. da auch in Anwesenheit der Öffentlichkeit, abgelegtes Geständnis gleich den Charakter einer Straftat haben, deren sich der Freigesprochene öffentlich in Verhöhnungsabsicht „rühmt“?


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

02.11.2023 um 18:01
Zitat von AndanteAndante schrieb:Kurzum: Das Argument, Nummer 4 erlaube deswegen einer Wiederaufnahme zuungunsten des Freigesprochenen, weil dieser mit einem nachträglichen Geständnis quasi den Rechtsstaat und Opfer und Angehörige verhöhne, ist in dieser Verengung nicht ohne weiteres stichhaltig, zumal Nummer 4 nicht ausschließlich auf ein in aller Öffentlichkeit (Kneipe, Marktplatz, Medien) abgelegtes Geständnis abhebt, sondern zusätzlich auf ein nur vor Gericht abgelegtes Geständnis. Wieso sollte ein bloß vor Gericht, ggf. da auch in Anwesenheit der Öffentlichkeit, abgelegtes Geständnis gleich den Charakter einer Straftat haben, deren sich der Freigesprochene öffentlich in Verhöhnungsabsicht „rühmt“?
Das ist mMn. obsolet und gehört auch abgeschafft.


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02.11.2023 um 18:08
@JosephConrad

Na ja, nachvollziehbar ist es schon, dass ein Schuldiger, der aus irgendwelchen Gründen freigesprochen wurde, nach Rechtskraft des freisprechenden Urteils nicht hingehen und im Bewusstsein seiner völligen Unantastbarkeit mit seiner Tat Tag und Nacht prahlen können, sie evt. gar an Medien verkaufen und damit noch Geld machen soll.

Der Gedanke, der hinter einer solchen Überlegung steht, dass nämlich so was gegenüber Rechtsstaat, Opfern und Angehörigen unerträglich wäre, ist aber exakt der Gedanke, der auch hinter der Wiederaufnahmemöglichkeit bei neuen starlen Beweisen im Falle von Mord und Völkermord steht.

Wieso ist die eine Unerträglichkeit so viel erträglicher als die andere??


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02.11.2023 um 18:33
@Juris019
Falls du Verfassungsjurist sein solltest, hast du dich sicher nicht näher mit dem Grundsatz "Ne bis in idem" im US-amerikanischen Rechtssystem befasst, sonst wäre dir sicher die „Dual Sovereignty Doctrine“ ein Begriff, und dann würdest du sicher nicht behaupten,
Zitat von Juris019Juris019 schrieb:In den USA gilt der Grundsatz bspw. noch strikter als bei uns.
ohne die gravierende Ausnahme zu erwähnen:
Wird etwa ein Straftäter von dem Gericht eines US-Bundesstaates („state court“) verurteilt, so ist eine spätere Verfolgung für dieselbe Tat vor einem US-Bundesgericht („federal court“) möglich.
Quelle: https://www.bundestag.de/resource/blob/890470/5471a53a62a1cd4d2aa407e89ccb6a61/WD-7-007-22-pdf-data.pdf

Bitte halte dich also selbst an deine Forderung:
Zitat von Juris019Juris019 schrieb:Wenn man schon Rechtsvergleichung betreiben möchte, dann sollte man sich auch mit den Details auseinandersetzen und nicht einfach Bruchstücke in den Raum werfen.



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02.11.2023 um 19:07
Zitat von Sherlock_HSherlock_H schrieb:Wird etwa ein Straftäter von dem Gericht eines US-Bundesstaates („state court“) verurteilt, so ist eine spätere Verfolgung für dieselbe Tat vor einem US-Bundesgericht („federal court“) möglich.
Da steht verurteilt. Was wenn er beim ersten mal freigesprochen wurde?


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02.11.2023 um 19:12
Zitat von AndanteAndante schrieb:Aha, lese ich durch die Hintertür da nicht etwas vom „Unerträglichkeitsmoment“, mit dem auch die neue Nr. 5 für schwerste Straftaten gegen das Leben maßgeblich begründet wurde?
Ja, Du hast Recht, nur wird in 4 das Unerträglichkeitsmoment durch den Freigesprochen bewirkt.

Aber der Gesetzgeber hat hier die Ursache der "Unerträglcihkeit" nicht beachtet. Im vorliegenden Fall wurde durch den Staat durch das Umgehen des Ermittlungsbverbots und des Publik machens diese "Unerträglcihkeit" bewirkt. Statt das Gesetz durch die Nummer 5 zu erweitern, hätte der Staat sich selber bzw. seine Beamten entsprechend sanktionieren müssen.
Zitat von AndanteAndante schrieb:Zudem: Was ist mit einem Geständnis, das ein rechtskräftig Freigesprochener, der wirklich unschuldig ist, nur ablegt, um eine ihm nahestehender Person, die schuldig ist, vor weiteren Ermittlungen zu schützen? Auch so jemand wird gemäß Nummer 4 durch die Mühlen eines Wiederaufnahmeverfahrens gedreht, sein gar nicht auf Verhöhnung von Opfern und Angehörige zielendes Geständnis in einer neuen Hauptverhandlung wird auf Glaubhaftigkeit geprüft, alles andere auch noch mal.
Konstruierter geht's nimmer.

Aber ich kann Dich beruhigen. Dieses Geständnis ist nur dann im Sinne von Nummer 4 verwertbar, wenn er von den Ermittlern vorher ausreichend bzgl. der Gefahr der Wiederaufnahme gegen ihn aufgeklärt wurde.

Es gibt diese Fälle, wo Schuldige ein Geständnis abgelegt haben, damit Unschuldige nicht belangt werden. Bei den meisten Fällen, welche ich kenne, sind diese dann genau diesbzgl. nicht aufgeklärt worden und das Geständnis war nicht verwertbar. Ich glaube ich hatte hier im Thread schonmal auf einen Fall verwiesen.

Vor langer Zeit habe ich auch ein Urteil/Beschluss gelesen (leider habe ich ihn mir nicht aufgehoben), da ging es auch um einen solchen Fall, wo die Aufklärung des Geständigen jedoch nicht thematisiert wurde. Dieses Gericht hat ebenfalls die Wiederaufnahme abgehnt. Dazu hatte es den Willen des Gesetzgebers erforscht. Und genau dieser Wille ist im Uretil des BVerfG enthalten und diesen hast Du selber oben zitiert (ab Abschnitt 122). Diese damalige intention des Gesetzgebers bedeutet, dass für Dein Beispiel eben keine Wiederaufnahme erfolgt, weil genau das nicht die Intention des Gesetgebers war.

Bisher ist ein solcher Fall nicht bis zum BVerfG gekommen, aber ich denke, wie die Nummer 4 auszulegen ist, ist schon eindeutig. Gesetze darf amn eben nicht immer wörtlich nehmen.


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02.11.2023 um 19:19
Zitat von AndanteAndante schrieb:Na ja, nachvollziehbar ist es schon, dass ein Schuldiger, der aus irgendwelchen Gründen freigesprochen wurde, nach Rechtskraft des freisprechenden Urteils nicht hingehen und im Bewusstsein seiner völligen Unantastbarkeit mit seiner Tat Tag und Nacht prahlen können, sie evt. gar an Medien verkaufen und damit noch Geld machen soll.

Der Gedanke, der hinter einer solchen Überlegung steht, dass nämlich so was gegenüber Rechtsstaat, Opfern und Angehörigen unerträglich wäre, ist aber exakt der Gedanke, der auch hinter der Wiederaufnahmemöglichkeit bei neuen starlen Beweisen im Falle von Mord und Völkermord steht.

Wieso ist die eine Unerträglichkeit so viel erträglicher als die andere??
Das einem nur deswegen nochmals der Prozess gemacht werden kann, weil er geprahlt hat ist mMn. völlig überzogen. Was wenn einer die Strafe absitzt und Geld damit macht, dass er angeblich unschuldig im Gefängnis saß? Daher gehört so eine Möglichkeit, die sich auf ein Gesetz von 1877 beruft, abgeschafft. So wie es auch in den USA ist.


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02.11.2023 um 19:23
Zitat von Sherlock_HSherlock_H schrieb:Wird etwa ein Straftäter von dem Gericht eines US-Bundesstaates („state court“) verurteilt, so ist eine spätere Verfolgung für dieselbe Tat vor einem US-Bundesgericht („federal court“) möglich.
Das ist etwas ganz anderes. So etwas gab es in Europa früher auch. Du konntest für die gleiche Tat in unterschiedlichen Ländern belangt werden. Es gibt da aber Übereinkommen z.B. zwischen Frankreich und Deutschland, dass diese zwischenstaatliche Problematik löst. Das hat nicht das geringste mit Problematik der Wiederaufnahme zu tun. Letzteres ist die Wiederaufnahme in der gleichen Sache im gleichen Staat.


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02.11.2023 um 19:24
@Sherlock_H

In dem Zusammenhang sollte dann aber auch klar gestellt werden, dass in den USA strikt zwischen federal court und state court unterschieden wird. Da kann man nicht, wie bei uns (Landgericht und dann Revision zum BGH), von einem Gericht eines Bundesstaates zu einem Bundesgericht wechseln. Diese Doktrin sagt auch genau das aus: Es gibt zwei "sovereigns", die beide dann eben selbstständig und unabhängig voneinander arbeiten. Diese ganz klare Unterscheidung steht sogar in Deinem Zitat drin.
Bei uns kann man auch in einem Strafprozess freigesprochen werden und vor dem Zivilgericht schuldig, weil es zwei verschiedene (Prozess-)Systeme sind. Ist bei Ismet H. ja auch genauso gelaufen. Das US-Rechtssystem ist mit seinem Instanzenzug gerade bei Strafverfahren mit unserem nicht vergleichbar. Es gibt dort praktisch zwei Strafrechtssysteme, die sich nur in Teilen überschneiden.

Aber gut, dass Du auf die restlichen Punkte überhaupt nicht mehr eingegangen bist.


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

02.11.2023 um 19:28
Zitat von LentoLento schrieb:Nein, dieser Punkt erhitzt die Gemüter keinesfalls.

Es geht um das Verfolgungsverbot, den hätte man bei Tötungsdelikten mit dem Gesetz aus den Angeln gehoben.
@Lento

Doch, doch, doch.
Genau dieser Punkt erhitzt die Gemüter. Kannst ja mal in deinem Famili4en-Bekannrenkreis fragen.
Hätte man damals, in den 80ern, die heutigen Möglichkeiten gehabt,
hätte das Gericht anders entscheiden KÖNNEN. Nicht zwangsläufig müssen.
Das behaupte ich nicht.

Der Punkt, den du im Auge hast, wird darüber gestellt. Und das kann ich sehr gut nachvollziehen.

Ich bun nur der Auffassung, dass bei schwersten Delikten wie Mord und Völkermord ein neuer Prozess möglich sein sollte,
wenn die Spurenauswertung Zweifel an einem Freispruch aufkommen lässt.
Man klönnte das sehr präzise formulieren, damit nicht der "Eierdieb" nochmal vor den Kadi muss.


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

02.11.2023 um 20:17
Zitat von JosephConradJosephConrad schrieb:Sherlock_H schrieb:
Wird etwa ein Straftäter von dem Gericht eines US-Bundesstaates („state court“) verurteilt, so ist eine spätere Verfolgung für dieselbe Tat vor einem US-Bundesgericht („federal court“) möglich.
Zitat von JosephConradJosephConrad schrieb:Da steht verurteilt. Was wenn er beim ersten mal freigesprochen wurde?
@JosephConrad
Ich habe leider keinen Fall dazu gefunden, aber ich bin ziemlich sicher, dass es keinen Unterschied macht, ob im ersten Verfahren (der einen staatlichen Autorität) eine Verurteilung oder ein Freispruch erfolgte.
The result is that the Double Jeopardy Clause does not apply in a multi-sovereign context. For example, a defendant who commits a kidnapping across two states can be charged, convicted, and punished three times—once by each state and once by the federal government.

The dual sovereignty doctrine has been the subject of substantial scholarly criticism.
Quelle: The Yale Law Journal, https://www.yalelawjournal.org/note/dual-sovereignty-due-process-and-duplicative-punishment-a-new-solution-to-an-old-problem

Übersetzung durch Deepl (die Double Jeopardy Clause entspricht dem "Ne bis in idem"-Verbot):

Das Ergebnis ist, dass die Double Jeopardy Clause in einem multistaatlichen Kontext nicht anwendbar ist. So kann beispielsweise ein Angeklagter, der eine Entführung in zwei Staaten begeht, dreimal angeklagt, verurteilt und bestraft werden - einmal von jedem Staat und einmal von der Bundesregierung.

Die Doktrin der doppelten Souveränität war Gegenstand erheblicher wissenschaftlicher Kritik:


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

02.11.2023 um 21:47
Zitat von mjk-17mjk-17 schrieb:Aber mal ein anderer Ansatz/Frage: dem Namen zufolge hat Ismet H. vermutlich türkische? Wurzeln, wäre es rein theoretisch möglich, dass dieser, aufgrund der relativ klaren Faktenlage z.B in der Türkei verurteilt wird? In Europa bzw. der EU gilt ja ,,ne bis in idem" für Verurteilte/Freigesprochene aller Vertragsstaaten, aber diese würde ja z.B nicht für die Türkei gelten. Ich halte es für extrem unwahrscheinlich, dass der türkische Staat daran Interesse hat, aber die Möglichkeit besteht in der Theorie, oder?
Kurze Frage/Bitte, hat hierzu jemand eine Antwort für mich?


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