Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann
22.04.2022 um 01:34Lento schrieb:Oder kannst Du die weiteren Gefahren/Folgen, welche hier gesehen werden, die sich aus diesem Gesetz ergeben können, begründet entkräften?Ja, kann ich. Zunächst mal ist, wie gesagt, die Neuregelung von vornherein auf 4 unverjährbare Verbrechen beschränkt. es muss sich also kein freigesprochener Betrüger, Sexualstraftäter oder Hühnerdieb vor ein einer Wiederaufnahme des Verfahrens zu seinen Ungunsten fürchten. Wer anderes verbreitet, ist ein Populist. Das OLG Celle drückt es vornehmer, aber in der Sache zutreffend aus:
Die in der Literatur teilweise geäußerte Befürchtung, die Einführung des weiteren Wiederaufnahmegrundes in § 362 Nr. 5 StPO führe zu einem „Dammbruch“, da er die Möglichkeit zur faktischen Aufgabe des in Art. 103 Abs. 3 GG gewährleisteten Mehrfachverfolgungsverbotes eröffne (vgl. Frister/Müller, ZRP 2019, 101), ist spekulativ und ohne valide Grundlage. Angesichts dessen, dass der Gesetzgeber den neuen Wiederaufnahmegrund bewusst mit den bereits genannten, besonders hohen Anwendungsvoraussetzungen versehen hat und jede weitere Ausweitung der Wiederaufnahmegründe der restriktiven Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Unverletzlichkeit des Kernbereichs des Art. 103 Abs. 3 GG unterworfen wäre, ist nicht ersichtlich, auf welche valide Basis sich die geäußerte Besorgnis der Gefahr einer rechtspolitischen Fehlentwicklung i.S. eines „Dammbruchs“ gründet (vgl. Hoven, JZ 2021, 1154).Also: Die Neuregelung ist kein „Dammbruch“, wie aber etwa ein Herr Prantl, der es eigentlich besser wissen müsste, weismachen will. Zweitens: um eine Wiederaufnahme zu Ungunsten des Freigesprochenen zu erreichen, muss es NEUE Tatsachen oder Beweismittel, geben, die zusätzlich auch noch geeignet sein müssen… (siehe Gesetzestext).
Du bist nun wirklich lange genug in der Krimirubrik dabei, um zu wissen, was an neuen geeigneten Tatsachen dazugehört, wenn ein Verurteilter die Wiederaufnahme seines Verfahrens erreichen will, seien es Genditzki, Darsow, Toth, Mazurek. Es klappt höchst selten. Bloß irgendwelche neuen Gutachter finden reicht nicht.
Nun, die Hürden sind keineswegs geringer, wenn aufgrund der Neuregelung die StA die Wiederaufnahme des Verfahrens zu Ungunsten eines Freigesprochenen erreichen will. Bloß irgendwelche neuen Gutachter reichen nicht. Oder wie das OLG Celle schreibt:
Zum einen kommt eine Wiederaufnahme nach § 362 Nr. 5 StPO ausschließlich dann in Betracht, wenn „neue“ Tatsachen oder Beweise vorliegen, denen eine hohe Beweisqualität zukommt und die für sich bzw. im Ergebnis der Gesamtwürdigung mit den anderen vorhandenen Beweismitteln „dringende“ Gründe für eine spätere Verurteilung des Freigesprochenen begründen. Damit ist hinreichend sichergestellt, dass nicht jede nachträgliche, nur einen einfachen oder hinreichenden Tatverdacht i.S. der §§ 152, 203 StPO begründende Veränderung der Beweislage die Grundlage einer Wiederaufnahme zuungunsten des Freigesprochenen darstellen kann. Vielmehr muss seine Verurteilung mit ganz überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein (vgl. Gärditz, aaO, S. 6