Lento schrieb:Üble Unterstellung.
Nein, denen geht es hauptsächlich um die Verlässlichkeit des Staates. Du siehst das eher mit den Augen eines Menschen, der glaubt, dass Anwälte nur dazu da sind "Täter grandios aus Anklagen rauszuhauen". Dabei erfüllen Verteidiger eine ganz andere Aufgabe, sie sollen dem Gericht eine andere Blickweise eröffnen. Manchmal geht das selbst dann schief, wenn die Wahrheit fast schon offensichtlich ist.
Ja, es gibt auch Menschen, die unschuldig sind und trotzdem angeklagt werden und manchmal sogar auch verurteilt werden.
Ja, das ist eine üble, allerdings auch nicht gerade seltene Unterstellung, die wohl von zuviel Fernsehkonsum kommt. Ich denke, die meisten meiner Strafverteidigerkollegen werden mir zustimmen, dass so ein Gedanke fern liegt. Die Aufgabe der Verteidigung ist es, die Rechtstaatlichkeit des Verfahrens sicherzustellen, oder anders gesagt, sicherzustellen, dass der Angeklagte ein faires Verfahren bekommt und vor allem, dass der Grundsatz unbedingt eingehalten wird, dass die Beweislast ganz allein beim Staat liegt. Dazu fordere ich als Verteidiger den Staat heraus: die Schuld glasklar zu beweisen.
Kann er das, habe ich kein Problem mit dem Urteil. Die Unterstellung, Verteidigern geht es nur um den eigenen Erfolg ist Quatsch. Ein bestialischer Mörder, der trotz meiner Verteidigung verurteilt wird, weil der Staat eben die Schuld beweisen kann - mit dem habe auch ich keinerlei Mitleid. Aber ich will eben sehen, dass der Staat keine Abkürzung oder Hintertür benutzt, sondern seiner Beweispflicht nachkommt.
Ginge es nur darum, einen Mörder eben trotz erfolgtem Freispruch nun endlich doch noch zu verurteilen, weil jetzt eben die Beweise ausreichen - das hätte meinen Segen. Der tatsächliche Mörder Frederikes zum Beispiel soll, wenn es nach mir geht, in der Hölle verrotten.
Aber es geht eben gar nicht darum. Es geht um diejenigen, die eben doch zu Recht freigesprochen wurden. Dass diese sich darauf verlassen können, dass der Staat das Ergebnis akzeptiert.
Damit tangiert man das Thema, das
@JosephConrad hier anspricht, wenn es auch ein separates Thema ist. Da stimme ich dem Artikel auch nicht unbedingt zu. Verjährung hat eine andere Aufgabe: den Beschuldigten zu schützen, wenn nach Ablauf vieler Jahre oder Jahrzehnte eben keine Beweismittel mehr vorhanden sind, die seine Unschuld beweisen könnten. Beispiele dafür habe ich anderer Stelle schon mehrfach beschrieben.
Da treffen sich die beiden Themen. Es ist ja nicht nur der Staat, der Indizien sammeln muss, um sie in einem Verfahren vorzubringen. Trotz der klaren Beweislast, ist es meist so, dass eben auch der Angeklagte sehr darauf angewiesen sein kann, auch Indizien seiner Unschuld vorbringen zu müssen - und die sind schwerer zu finden, je mehr Zeit vergangen ist.
Aber das wurde hier auch alles schon umfassend diskutiert. Am Ende bleibt es wohl bei der Wahl, was einem und der Gesellschaft wichtiger ist: lieber einen Schuldigen bestrafen zu können, auch wenn dabei ab und zu mal ein Unschuldiger unter die Räder kommt, oder lieber einen Schuldigen laufen zu lassen, wenn dafür die wirklich Unschuldigen geschützt werden.
So sehr das Manche vielleicht überrascht, die offemsichtlich der deutschen Justiz immer Perfektion unterstellen: es gibt unter den Menschen keine perfekte Gerechtigkeit, kein perfektes Justizsystem. Es gibt nur den Versuch, entweder die eine oder die andere der eben genannten Alternativen zu betonen.
Als man im Mittelalter Frauen unter dem Verdacht der Hexerei gefesselt in einen Fluss warf, und dann feststellte: schwimmt sie, hilft ihr der Teufel, also ist sie eine Hexe - geht sie unter, dann ist sie eben keine, Pech gehabt, dass sie nun dabei ertrinkt", dachte man das Problem lösen zu können und nannte das dann auch noch frech "Gottesurteil." Glücklicherweise ist man da heute doch etwas weiter.