Verschwinden und Tod von Gabby Petito
21.09.2021 um 00:56Kreuzbergerin schrieb:Warum sind die beiden überhaupt in ein Hotel eingecheckt, nachdem sie vorher ihr naturnahes Leben so socialmediawirksam inszeniert haben?@Kreuzbergerin
Der Beitrag zum Bodycam-Video von @Rick_Blaine ist sehr lesenswert. Dort wird erklärt, dass normalerweise die Frauen, wenn sie geschlagen werden in ein Frauenhaus gehen. Die Übernachtung wurde aber B. vom Frauenhaus untersagt, da er ein Mann ist. Deswegen wurde B. gefragt, ob er sich ein Hotel leisten kann. Da er das nicht konnte, hat der Staat das Hotel bezahlt.
Die Geldknappheit zieht sich auch wie ein roter Faden von Anfang an durch den Roadtrip. Es hieß am Anfang der Fahrt, dass sie bereits wenig Geld hätten. Deswegen umso verwunderlich, dass er wahrscheinlich für seine Verhältnisse viel Geld (200 Dollar) für die Tramp-Fahrt ausgeben wollte. Es scheint als wäre der Roadtrip beendet gewesen. Alles auf eine Karte setzen, nochmal alles geben. Nach seinen Erzählungen zu urteilen aber eigentlich nicht, wenn er im Auto beim Trampen die Verlobte erwähnte, dass sie gemeinsam einen Roadtrip machen, in der Pampa am Snake River leben und sie an ihrer Website bastelt. Ich nehm ihm das wirklich ab.
Es schien mir manchmal als würde er ihr Website-Projekt nicht zu ernst nehmen. Für ihn schien in diesem Auto in der Beziehung soweit alles gut, sogar mit Zukunftsaussichten. Er wollte so schnell es geht wieder zurück zu ihr. Nur was ist dann passiert? Und wieso hat Gabby den Kontakt zur Familie und Freunden abgebrochen? Könnte es daran liegen, dass er ihr Handy mitgenommen hat? Und ist es dann in dieser Gegend nicht mehr möglich Kontakt zur Familie und Freunden aufzunehmen (ohne auswendig gelernte Handynummern und Email-Adressen?). Ob er auch den Autoschlüssel mitgenommen hatte? Hätte sie andere Camper fragen können, ob sie das Handy nutzen könnte? Und wieso nannte sie ihren Großvater Stan, wenn sie das sonst nie tat?
Rick_Blaine schrieb am 17.09.2021:Ich hab mir gerade das gesamte body cam video des Polizeibeamten angeschaut und möchte gerne zur Info aller hier das noch einmal zusammenfassen mit ein paar Bemerkungen aus meiner Erfahrung. Einmal, ich lebe nicht weit von dem Ort entfernt, in dem sich die Begegnung mit der Polizei abspielte (nach amerikanischem Masstab) und habe als Jurist den Hintergrund, einiges zu kommentieren.
Erstens ist es ganz normal, die body cam Aufnahme zu veröffentlichen, da die Polizei hier verpflichtet ist, das zu tun, weil die Bürger ein Recht haben, die Aktionen der Polizei zu sehen. Es hat aber nichts damit zu tun, dass dadurch irgendjemand in irgendein schlechtes Licht gerückt werden soll.
Was sich hier entwickelt hat war, dass der Polizeibeamte ein paar Fahrzeuge hinter den beiden fuhr und selbst gesehen hat, dass Brian, der Fahrer des Vans, plötzlich ausscherte, die Mittellinie der Strasse überfuhr, korrigierte und dann gegen den Bordstein fuhr. Daraufhin entschied sich der Beamte, den Van anzuhalten.
Ausserdem hatte ein Zeuge die Polizei informiert, dass sich vorher offensichtlich ein Streit zwischen den beiden abgespielt hatte, in dem er beobachtete, dass sie versuchte in den Van zu kommen und er sie daran hinderte, so dass sie dann versuchte durch das Fenster in den Van zu klettern. Der Zeuge fand das bedrohlich und informierte die Polizei.
Dann kam es zu dem traffic stop, wie wir das nennen, und der Polizist fragte beide, was hier los sei. Insgesamt waren schnell vier Beamte vor Ort, zwei Polizeibeamte der Stadtpolizei von Moab in Utah, und zwei Beamte der Bundespolizei des nahegelegen Nationalparks (US Park Rangers). Da der Polizeibeamte von Moab der erste war, leitete er die Ermittlungen. Es ist seine body cam, deren Aufnahme hier gezeigt wird.
Wie üblich wurden die beiden erst mal getrennt und getrennt befragt.
Der Beamte nahm wahr, dass Brian geringfügige Verletzungen aufwies, Kratzer an Händen, Nacken und Oberarm, vermutlich durch Fingernägel.
Damit eröffnete sich ein juristisches Problem, zu dem ich gleich komme.
Gabby sagte zunächst, dass sie an "OCD" leide, damit meint man hier in der Regel, dass sie besonders auf Ordnung, Sauberkeit und Regelmässigkeit bedacht sei. Brian bestätigte, dass sie deswegen einen Streit hatten: er sei ziemlich schmutzig, habe im Van Unordnung gemacht und sie hätte das gestört und deswegen seien sie in Streit geraten.
Die Aussage stimmt also überein.
Brian sagte dann, er habe vorgeschlagen, dass sie beide einen Moment Abstand nehmen, separat einen kleinen Spaziergang machen, damit sie beide "runterfahren." Sie aber wollte das nicht. Er bestand darauf und liess sie deshalb nicht in den Van einsteigen - es kam zu der Szene, welche der Zeuge beobachtete.
Gabby bestätigt auch diese Darstellung. Schliesslich seien sie doch beide im Van weitergefahren, aber hätten sich weiter gestritten. Dabei habe Gabby ihm ins Lenkrad gegriffen, weshalb es zu der auffälligen Fahrweise kam, welche der Beamte beobachtet hatte.
Sie bestätigt auch das.
Nun ergab sich für die Beamten ein Problem: das Gesetz in den USA nimmt jede Art von häuslicher Gewalt extrem ernst. Diese wird definiert als Gewalt zwischen zwei Menschen, die entweder verheiratet sind oder zusammen leben. Da die beiden zusammen leben, passte das also.
Während die Beamten sonst relativ grossen Ermessenspielraum haben, z.B. eine Anzeige zu schreiben oder nicht, haben sie den bei häusslicher Gewalt nicht. Wenn es Verletzungen beim "Opfer" gibt, ist derjenige anzuzeigen, der die Tat begangen hat, egal ob das "Opfer" das will oder nicht.
Der Beamte hätte es sich nun einfach machen können und Gabby verhaften und ins Gefängnis bringen können, bis sie am nächsten Tag dem Haftrichter vorgeführt würde. Mit der Anzeige käme automatisch eine Verfügung, die ihr jeglichen Kontakt mit Brian untersagt hätte, jeglichen. Ein Verstoss wäre eine Verschärfung der Straftat.
Nun muss ich sagen, entgegen all den Vorurteilen gegen die amerikanische Polizei, hat der Beamte hier ein exzellentes Einfühlungsvermögen und eine Grossherzigkeit bewiesen: er spürte, dass beide eine Verhaftung Gabbys eigentlich nicht wollten. Daher versuchte er einen Kompromiss: wenn die beiden separiert würden, ohne dass Gabby ins Gefängnis gehen muss, dann gäbe es die Möglichkeit, dass Brian am nächsten Morgen bei der Polizei eine Erklärung unterschreiben würde, dass er auf die "no contact order" verzichten würde. Gabby müsste sich aber dennoch einem Strafverfahren stellen, aber sie dürften dann wieder zusammen sein.
Er fragt daher die beiden, ob sie sich ein Hotel leisten könnten. Brian sagt, sie haben nur sehr wenig Geld und könnten das nicht.
Daraufhin versucht der Beamte zu erreichen, dass einer von beiden im örtlichen "Frauenhaus", wie man das in Deutschland nennt, unterkommen kann. Da alle Opfer gleichbehandelt werden, bedeutet das, auch ein Mann, wenn er denn Opfer ist, kann untergebracht werden.
Der zuständige Leiter wurde dann per Handy vom Beamten kontaktiert und er meinte:
a) Er kann Gabby nicht aufnehmen, da sie der Aggressor ist und nicht das Opfer. Und b) er kann Brian nicht aufnehmen, weil normalerweise da nur Frauen sind, aber er könne Brian in einem Hotel unterbringen, für das dann der Staat bezahlt.
Darauf einigte man sich.
Dann aber diskutierten die Beamten und ihnen tat Gabby leid, dass sie eventuell aus der ganzen Sache am Ende einen Eintrag im Vorstrafenregister bekommen könnte. Einer kam dann auf die brilliante Idee den Gesetzestext wörtlich zu nehmen, in dem es heisst, dass "Gewalt" bedeutet, dass sie vorsätzlich sei. Er gab Gabby dann die Chance zu erklären, sie habe Brian nicht verletzen wollen - folglich kein Vorsatz. Brian wollte sowieso keine Anzeige erstatten.
Dadurch konnte der Beamte dann entscheiden, dass hier keine häusliche Gewalt vorgelegen hat und keine Anzeige erstattet werden muss. Aber, der Beamte wollte unbedingt, dass die beiden die Nacht über Abstand voneinander halten.
Er überzeugte beide, das freiwillig zu tun, und verzichtete dann auf eine Anzeige. Brian wurde auf Staatskosten im Hotel untergebracht und Gabby wollte im Van übernachten.
Es schien in dem Moment eine salomonische Lösung zu sein und die vier Beamten fanden alle, dass man so die Zukunft Gabbys nicht belasten würde und beide eine Chance haben ihren Streit beizulegen und sich wieder zu vertragen.
Da endet das Video: Gabby fährt mit dem Van in den Ort, der Beamte bringt Brian mit dem Polizeiwagen zum Hotel. Er schärft beiden noch einmal ein, dass sie in der Nacht keinerlei Kontakt zueinander haben sollen, keine SMS, keinen Anruf usw.
In der Situation denke hat die Polizei hier sehr gut gehandelt.
Der weitere Verlauf des Falles zeigt aber leider, dass die Probleme der beiden wohl doch weitaus tiefer gingen, als es für die Aussenstehenden sichtbar war.
Noch ein wenig Hintergrund wird im Video angesprochen: Beide planten eine lange Reise durch den ganzen Westen der USA. Beide planten, auf einer Ökofarm im Staat Washington eine Zeitlang zu arbeiten, um dann weiter zu reisen. Gabby hatte derzeit keinen Job und wollte sich als "Bloggerin" etablieren. Von Brians Job war keine Rede.
Der Beamte überprüfte beide am Polizeicomputer und fand keinen Eintrag zu beiden.
Soviel zu dem bodycam Video, das wohl eines der letzten Lebenszeichen von Gabby ist.