fischersfritzi schrieb:Mich interssieren vor allem die Zeiten.
Das ist alles ein bisschen verwirrend.
Wenn tatsäclich schon nach wenigen Sekunden Bewusstlosigkeit eintritt, wäre nicht viel Zeit für Abwehr.
Vorher wurde hier verlinkt, dass der Todeskampf minutenlang andauern kann und der Täter auch noch in der Zeit aufhören kann zu würgen, so dass es eventuell dann nicht zu tödlichem Ausgang kommt.
xy2017 schrieb:Vielleicht könntest du nochmal kurz auf die "passenden Zeiten" eingehen?
@fischersfritzi@xy2017@allNoch einmal zu gestern: ich hab nochmal versucht die verschiedenen Zeiten bis zur Bewusstlosigkeit und die verschiedenen Mechanismen, die bei Strangulationen eine Rolle spielen, auseinander zudröseln, ich hoffe es ist einigermaßen verständlich und der Post muss nicht wieder gelöscht werden
:) Die Zeiten bis zur Bewusstlosigkeit und damit die Antwort auf die Frage "hatte Gabby Petito die Möglichkeit sich zu wehren, wenn sie beim Angriff wach war und nicht unter dem Einfluss von Substanzen stand?" sind abhängig von verschiedenen Variablen, daher kann man auch verschiedene Zeiten in der Literatur finden, je nachdem, auf welche Pathomechanismen sie sich beziehen.
Abhängig von der Art des Würgegriffes beziehungsweise der Stranglage, vom ausgeübten Druck und der Gegenwehr des Opfers kommen unterschiedlich graduierte Behinderungen des Blutflusses, des Blutabflusses sowie der Atmung und somit unterschiedlich lange Zeiten bis zum Auftreten von Befunden beziehungsweise Symptomen in Frage [Parzeller et al.
(2008)].
(...) Bei allen Strangulationsarten wirken verschiedene Pathomechanismen zusammen.
Quelle:
https://mhh-publikationsserver.gbv.de/servlets/MCRFileNodeServlet/mhh_derivate_00000552/diss-heine1_a.pdfEs gibt verschiedene Pathomechanismen bei der Strangulation, über die eine Bewusstlosigkeit eintreten können. Je nach (dominierendem) Weg ist die Zeit kürzer (Erhängen) oder länger (manuelle Strangulation).
Letztenendes führen alle Pathomechanismen zu einer Sauerstoffminderversorgung des Gehirns und damit zum Tod durch Ersticken.
Ersticken meint:
Definitionsgemäß wird unter „Ersticken“ der Tod infolge eines
Versagens lebenswichtiger Regulationszentren im Gehirn durch Sauerstoffmangel (zerebrale Hypo- oder Anoxie) verstanden.
Folgende Vorgänge können zu einem
Ersticken führen: eine ungenügende Sauerstoffzufuhr, eine Beeinträchtigung der
Sauerstoffaufnahme und eine Störung der Sauerstoffverarbeitung [Brinkmann (2004)
https://mhh-publikationsserver.gbv.de/servlets/MCRFileNodeServlet/mhh_derivate_00000552/diss-heine1_a.pdfZu den verschiedenen Möglichkeiten, wie es zu einer Sauerstoffunterversorgung des Gehirns kommt, gibt es u.a. hier im einsehbaren Teil Erklärungen und Graphiken: Quelle 1 (s.u.)
--> Die zwei Hauptmechanismen beim Erwürgen ist das Abdrücken der venösen Gefäße (venous congestion) und die Kompression der Atemwege (external asphyxia). Das heißt, das Ersticken beim Erwürgen erfolgt vor allem dadurch, dass der Blutfluss im Gehirn vermindert ist und ein Rückstau entsteht, und dadurch, dass das Blut, dass noch ankommt, nicht durch Sauerstoff angereichert werden kann, weil die Atmung behindert ist.
Beim Erdrosseln und Erhängen wäre es eher das Abdrücken der arteriellen Gefäße.
Beim Bedecken der äußeren Atemwege (z.B. mit einem Kissen oder den Händen) wäre es NUR die Unterbindung der Luftzufuhr, ebenso beim Burking.
(Quelle 1, 3, 4)
Daher dauern alle Arten unterschiedlich lange und gehen auch bei der Obduktion mit etwas anderen anderen Untersuchungsergebnissen einher.
Es gibt insgesamt vier Pathomechanismen: 1)
Abdrücken der venösen Gefäße (dazu braucht man nur ein Gewicht von ca.
2kg, die Halvenen liegen oberflächllich - das ist also relativ einfach, allerdings kann sich das Opfer natürlich wehren)
2)
Abdrücken der arteriellen Gefäße (ca.
5kg, wobei man es meist nicht gleichmäßig schafft weil die Halsschlagadern geschützter und tiefer liegen)
3)
Kompression des Atemwege und damit der Luftzufuhr (bis ca.
15 kg, sie sind von festem Knorpel umgeben und daher am schwersten zu zerdrücken, es gibt aber auch Quellen die nur den Verschluss der Stimmlippen meinen und das leichter)
4)
Auslösen von Herzrhythmusstörungen/Herzstillstand durch den Karotissinusreflex (kleine Rezeptoren am Hals, die direkt mit dem Herz verschaltet sind, manche Menschen haben einen starken Reflex, manche nicht), insgesamt der seltenste Mechanismus
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK459192/Gewichtsangaben Quelle 1,3
Zusammenfassend kann man also sagen: die Zeiten bis zur Bewusstlosigkeit sind davon abhängig, wie viel Sauerstoff noch im Gehirn ankommt.
Das heißt sie sind abhängig von:
1) dem Ort der Druckausübung am Hals:
1.1. seitlich kommt es eher zur Kompression der
venösen Gefäße
--> Blut kann nicht aus dem Kopf ABfließen, aber es fließt (zunächst) noch etwas sauerstoffhaltiges Blut ZUM Gehirn. Sobald der Druck dafür zu hoch ist, versiegt der arterielle Zufluss. Es kommt im Gehirn zur Druckerhöhung in den Gefäßen, Stauungszeichen und mit der Zeit zu kleinen Blutungen im Gehirn. Bewusstseinseinschränkungen ab ca.
30s - Quellen hier zu finden war schwierig, in dem Video das gelöscht wurde, wurde 15-30s gesagt, ich habe im Studium mal 30-60s gelernt
1.2. ...bei seitlich bis mittigem Druck kann es zur Kompression der
arteriellen Gefäße kommen
--> hier braucht man mehr Druck, BlutZUfuhr und damit Sauerstoffzufuhr ins Gehirn unterbrochen, sehr schnelle Bewusstlosigkeit schon nach ca.
8-10 s bzw. bis zu 15s (Quelle 1, 5) auf diese Zeit bezog sich mMn eine Folie aus dem Video, dass wir hier besprochen haben und das gelöscht wurde)
CAVE: NUR wenn BEIDE Arterien, also beide Seiten, konstant und vollständig abgedrückt werden (!), was bei manueller Kompression nicht so einfach ist, daher ist das hier eher nicht der Hauptmechanismus. Es ist aber ein dominanter Mechanismus beim Erhängen, daher geht da der Bewusstseinsverlust so viel schneller!
1.3. ....seitlich und mittig je nach Kraft: Unterbrechung der "Frischluftzufuhr" durch Kompression der Stimmlippen, Luftröhre oder Larynxnorpel ( (Blut mit Restsauerstoff kann aber noch zirkulieren und das Gehirn erreichen), zur Vorstellung ähnlich wie das Prinzip "Luftanhalten". Wenn dieser Mechanismus isoliert auftritt (was bei der manuellen Strangulation aber nicht der Fall ist) würde es länger dauern, bis die Bewusstlosigkeit eintritt, z.B. wie von margaretha beschrieben z.B. 60-90s, z.T. bis 2 min (Quelle 3)
2) Gleichmäßigkeit der Druckausübung
--> wird eine Seite mehr als die andere abgedrückt, dann kann über die andere Seite immer noch eine Zeit lang genug arterielles Blut in den Kopf fließen und venöses Blut herausfließen --> die Zeit bis zur Bewusstlosigkeit verlängert sich
--> Daher beruht die Strangulation meist eher auf dem Kappen des venösen Abflusses als einer vollständigen Unterbrechung der arteriellen Blutzufuhr von Anfang an, und dauert daher etwas länger
--> Gibt es einen Kampf und damit eine on-off-Strangulation, dauert es ebenfalls nochmal länger
3) individuelle Faktoren wie die Anatomie der Person, Vorerkrankungen der Person, eingenommene Medikamente, Karotissinusreflex und so weiter und so fort...
(Cave: alle Zahlen sind immer nur ungefähre Werte und je nach Quelle etwas unterschiedlich, Studien und allgemeine Aussagen dazu zu treffen ist ja auch nicht so einfach. Aber das wäre zumindest eine Übersicht)
Fazit: an einen minutenlangen Kampf glaube ich, bedenkt man die Konstitution von den beiden, definitiv nicht, aber dass sie gar keine Zeit zur Gegenwehr hatte, glaube ich auch nicht. Meine persönliche (!) Vermutung ist, dass sie vemutlich schon noch 20-40 Sekunden wach war, was eine "relativ" lange Zeit ist, wenn man gewürgt wird und mit einigen Symptomen einhergeht. Alleine die Veränderungen des Gesichts bei venöser Stauung sind wirklich deutlich sichtbar. Ein unbeabsichtliches Erwürgen bzw. "nicht realisieren" was da gerade passiert schließe ich aus.
Wie seht ihr das?
Quellen:
1)
https://books.google.de/books?id=mPvvDwAAQBAJ&pg=PR29&lpg=PR29&dq=main+pathomechanisms+of+strangulation&source=bl&ots=JJHrh4tu8z&sig=ACfU3U3fsJoTQuf4-MZHAmBgsuOvDH4fMw&hl=de&sa=X&ved=2ahUKEwiAm8Cp6tPzAhXB_7sIHUetC7gQ6AF6BAgbEAM#v=onepage&q=main%20pathomechanisms%20of%20strangulation&f=false 2)
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK459192/3)
https://dl1.cuni.cz/pluginfile.php/840069/mod_resource/content/0/ASPHYXIA-nonpic.pdf4)
https://www.umc.edu/som/Departments%20and%20Offices/SOM%20Departments/Pediatrics/Divisions/Forensic-Medicine/files/investigating_asphyxial_deaths.pdf5)
https://mhh-publikationsserver.gbv.de/servlets/MCRFileNodeServlet/mhh_derivate_00000552/diss-heine1_a.pdf