JRoger schrieb:Wie hoch ist das Risiko, dass alle 4+x Verdächtigen mit einer nur kurzjährigen Strafe oder gar vollkommen straffrei aus der Sache rauskommen, wenn A sagt, B sei es gewesen und er hätte nebenan geschlafen und nichts mitbekommen, B sagt, C sei es gewesen, C sagt, D sei es gewesen, D sagt, A sei es gewesen und so fort.
Dabei gehe ich vom Worst Case aus in dem Sinne, dass man bei der körperlichen Untersuchung von Leonie keine eindeutigen Beweise auf den oder die Haupttäter findet und es auch keine anderweitigen Indizien bzw. Beweise gibt.
Fritz_D1 schrieb:@Rick_Blaine hat hier vor ein paar Seiten erklärt, das es in Österreich eine gemeinschaftlich begangene Tat gibt. Dabei muss nicht jedem die Tat nachgewiesen werden, es reicht dabei gewesen zu sein um für das "Ergebnis" der Tat bestraft zu werden. Ich hoffe ich hab das richtig wiedergegeben. Ich finde diesen Umstand sehr beruhigend.
Ja, das Recht hat hier vorgebeugt und Tatbestände geschaffen, die es den Tätern nicht ermöglichen, sich einfach dadurch herauszureden, dass man ihnen den ganz konkreten Anteil an der Tat nicht prozentgenau nachweisen kann. In der Regel kennt man das unter den Begriffen "Mittäterschaft," "Beihilfe," "Anstiftung" usw.
Das Prinzip besteht darin, dass jedem Täter unter bestimmten Bedingungen der gesamte "Taterfolg" (so nennen wir Juristen das, ohne Wertung) zuzurechnen ist. Die wichtigsten Punkte dabei sind, ob man den Tätern nachweisen kann, dass sie a) wussten, dass eine Straftat begangen wird und b) inwieweit sie auch wollten, dass ein "Taterfolg" eintritt. Ist beides zweifelsfrei klar, wird allen beteiligten die Tat, bzw. der "Taterfog" zugerechnet, so als ob sie die Tat allein begangen hätten.
Nun versuchen sich Täter meist auf einem der beiden Felder herauszuwuseln: "Eine Vergewaltigung? Hab ich gar nicht mitbekommen, woher sollte ich wissen, dass da eine Vergewaltigung stattfindet? Nur weil das Mädel schrie, mein Kumpel ihr die Klamotten vom Leib riss und mein zweiter Kumpel sie festhielt, während der erste sie...?" Nun, so eine "Entschuldigung" kommt vor Gericht nicht durch. Da muss man schon mit stories kommen wie "ich hab das gar nicht mitbekommen, weil meine Kumpels mich vorher mit Drogen ins Reich der Träume gesandt haben." - Nur auch hier gilt: das muss erst mal glaubhaft sein.
Wenn also klar ist, dass der Angeklagte wusste, dass hier eine Straftat sich ereignet, dann schauen wir nach dem zweiten Punkt: wollte er das? Auch hier wird sein gesamtes Verhalten beurteilt werden, von vor dem eigentlichen Tatbeginn bis danach. Kann der Angeklagte dann zeigen, ich hab geschrien, ich hab versucht das Mädel zu befreien, ich hab auf meine Kumpels eingeschlagen, ich hab den Notruf gewählt... dann hat er eine Chance. Aber wer daneben sitzt, zuschaut, eventuell gar mitmacht... der hat da wenig Chancen, einer Verurteilung zu entgehen.
Und genauso werden tatbegleitende Handlungen angeschaut: wer sagt "ich hab sie nur festgehalten, nur mein Kumpel hat den GV vollzogen" hat auch Pech gehabt. Er hofft vielleicht dass er nur als "Beihelfer" gilt, die oft weniger hart bestraft werden, aber in diesem Fall wäre er i.d.R. Mittäter, weil er "wollte" dass das Mädel vergewaltigt wird, vom Kumpel, und sie deshalb festgehalten hat.
Unter Juristen ist die Abgrenzung zwischen Beihilfe und Mittäterschaft allerdings ein etwas umstrittenes Feld, es gibt verschiedene Theorien dazu. Wichtig ist aber zu bedenken, dass beides immer noch strafbar ist.
fischersfritzi schrieb:Ich dachte bislang, bei Minderjährigen wird grundsätzlich von "nicht einvernehmlich" ausgegangen.
In Österreich ist das relativ klar geregelt, in Leonies Fall wird ihr als 13jähriger vom Recht unterstellt, dass sie nicht einwilligen konnte (in Ö. generell erst ab 14, unter bestimmten Bedingungen erst ab 18). Dazu kommt, dass eine hilflose, bewusstlose usw. Person ebenfalls nicht einwilligen kann. Eine Argumentation in diesem Fall, dass Leonie selbst den brutalen GV mit all den Tätern wollte und einverstanden war, würde in der Frage der Schuld keinen Unterschied machen. Hier sagt das Recht ganz klar: von den Älteren wird in dem Fall erwartet, dass ihnen klar ist, dass ein Kind die Folgen nicht einschätzen kann und daher nicht einwilligen kann.
Und wenn das wirklich nachweisbar wäre, was extremst unwahrscheinlich ist, dann hätte es höchstens auf das Strafmass eine Auswirkung.
Weiterhin haben wir es hier nicht "nur" mit einer Vergewaltigung zu tun, sondern mit der extremsten Form: einer Vergewaltigung mit Todesfolge. Dass jemand einwilligt, getötet zu werden ist normalerweise eine absurde Vorstellung (ich weiss, ich weiss, Kannibalenfall etc. Aber das sind extreme Ausnahmen).
Je weiter die Tatumstände aufgeklärt werden, sehe ich weiterhin auch noch eine Mordanklage im Bereich des Möglichen. Allerdings auch das habe ich ja schon oft betont, im möglichen Strafmass gibt es in Österreich hier keinen Unterschied.
Solange die Frage der Schuld geklärt wird, ist das Interessanteste an diesem Fall am Ende, welches Strafmass die Richter festsetzen werden.
Und hier kommen wir zum Thema Afghanistan: den Tätern droht derzeit eine Freiheitsstrafe von bis zu 15 und 20 Jahren. Man kann hoffen, dass das Gericht an die obere Grenze geht. Das bedeutet, dass eine Abschiebung nach Afghanistan erst dann in Frage kommt, und bis dahin kann sich dort noch vieles ändern, genau wie in Europa auch.