Interested schrieb:Ich würde Dich gerne um Deine Einschätzung bitten. Vielleicht kannst Du uns zum Diskussionspunkt etwas erhellen.
Lt. div. Artikel wird der Anwalt zitiert, wie er denn einen Afghanen vertreten könne. Das halte ich für Quatsch, wie auch, dass die Rechtsstaatlichkeit in Gefahr wäre.
Ich hab mich hier bewusst zurückgehalten, weil so viel Unsinn geschrieben wurde. Wie ich schon in anderen threads angemerkt habe: unser Rechtssystem ist darauf aufgebaut, dass ein Beschuldigter/Angeklagter usw. ein Recht auf einen Verteidiger hat. Das ist gut so, denn nur so funktioniert das System, ganz egal ob der Mandant ein A..loch ist oder wirklich unschuldig oder irgendwo dazwischen. Davon profitiert am Ende die gesamte Gesellschaft.
Das ist das eine. So sind wir eben gut ausgebildete Spezialisten und für diesen Dienst gedacht. Es ist richtig, dass man sagt, der Anwalt dient damit nicht allein dem Mandanten, sondern dem Rechtsstaat. In Deutschland verklausuliert man das mit der Formulierung, der Anwalt ist ein "Organ der Rechtspflege."
Damit ist auch widerlegt, dass das private Interesse des Mandanten über allem steht: ein Anwalt ist nicht dazu da, einen Schuldigen um jeden Preis vor der Strafe zu bewahren usw. Der Verteidiger hat aber die Aufgabe, den an sich überlegenen Staat zu zwingen, seine eigenen Regeln zu beachten und, im Strafverfahren, zu zwingen, die Schuld des Angeklagten zu beweisen. Gelingt das dem Staat nicht und der Angeklagte wird freigesprochen, obwohl er die Tat vielleicht doch begangen hat, dann dient das dem System, nämlich dem Schutz wirklich Unschuldiger, auch wenn im Einzelfall das Ergebnis nicht "gerecht" ist. Das kommt allerdings auch selten vor, denn der Staat macht dann eben seine Hausaufgaben.
Die Person des Verteidigers muss man aber dennoch im Blick behalten: ich kann mein Mandat niederlegen, oder es von vorn herein ablehnen, wenn ich dafür Gründe habe, die auch ganz persönlich sein können. In manchen Fällen muss ich das sogar. Ich habe das in meinen vielen Berufsjahren auch ein paar Mal getan, in der Regel von vornherein ein Mandat abgelehnt: nicht nur, wenn ich das Gefühl hatte, in einem bestimmten Fall nicht genug Kenntnisse zu haben usw., sondern auch, weil ich ganz persönlich einen Fall nicht übernehmen will, weil meine eigenen Emotionen eventuell verhindern, dass ich effektiv verteidige.
Sehr problematisch ist sicherlich, wenn ein Verteidiger oder seine Familie direkt bedroht werden. Denn das bedeutet im Endeffekt, dass kein Verteidiger diesen Fall gut übernehmen kann. Da ist der Rechtstaat herausgefordert.
Es kann aber auch sein, wenn ich z.B. der Meinung bin, dass der Tatvorwurf und die Tatumstände, Indizien usw. mich persönlich so anwidern, dass ich dem Angeklagten nicht offen genug entgegentreten kann. Dann muss ich hoffen, dass ein Kollege oder eine Kollegin das anders sieht - in der Regel findet sich da auch jemand. Damit muss ich freilich sehr vorsichtig umgehen. Ich habe des Mordes beschuldigte Mandanten verteidigt, und andere Angeklagte mit sehr schweren Tatvorwürfen, aber zum Glück war ich in den Fällen tatsächlich von der Unschuld überzeugt und daher auch froh, den Fall gewonnen zu haben.
Im vorliegenden Fall, das will ich auch ehrlich sagen, wäre ich vermutlich emotional so involviert, dass ich das Mandat ablehnen würde. Oder krasser gesagt: ich hoffe, der/die Mörder von Leonie werden für immer in der Hölle schmoren. Das ist dann keine gute Voraussetzung für ein Mandat - aber wie gesagt, da werden sich eigentlich immer auch Kollegen finden, die vielleicht weniger emotional involviert sind. Und das ist ja auch nicht in jedem Fall so, sonst wäre es für mich der falsche Beruf.
Was übrigens gerne behauptet wird, ich aber für ziemlichen Unsinn halte, ist, dass Anwälte aus "Werbung" oder persönlicher Geltungssucht gerne solche Fälle übernehmen. Das wäre genauso falsch und ich kenne eigentlich keinen Kollegen, der so ist.
Dieser Fall ist sicher eine Herausforderung für einen Verteidiger. Der hier involvierte Anwalt hat nun aus persönlichen Gründen das Mandat niedergelegt, oder zurückgelegt, wie man in Wien sagt, und das sollte man einfach mal akzeptieren. Wenn es wahr ist, dass es massive Drohungen gab, dann muss man da genauer hinschauen. Möglich ist das durchaus - da ist dann der Staat gefragt.
Daher halte ich die Diskussion um diese Zurücklegung für müssig. Es wird in Wien sicherlich andere qualifizierte Verteidiger für diese Beschuldigten geben und ich hoffe, dass am Ende wenigstens das menschlich mögliche Mass an Gerechtigkeit für Leonie gefunden wird.