lawine schrieb:otternase schrieb:
Abseits davon meine persönliche Meinung: wenn aus einer Gruppe heraus eine Straftat begangen wird, sollte meiner Ansicht nach gelten, dass diese Straftat allen Mitgliedern der Gruppe zugerechnet wird, die nicht beweisen können, an dieser Tat nicht beteiligt gewesen zu sein und die nicht durch ihre Aussagen zur Aufklärung der Straftat und bei der Überführung des konkreten Täters mitwirken! Die Beweislast der Anklage sollte sich hier darauf beschränken, nachzuweisen, dass der Angeklagte zu der Gruppe gehörte, die die Straftat begangen hat.
@JosefK1914-2 hat ganz Recht, wenn man obiges Zitat wörtlich nimmt, liegt hier eine unzulässige Beweislastumkehr vor, die sicherlich nicht mehr verfassungsgemäss wäre.
Aber so einfach ist es ja auch nicht, denn der Verfasser des Zitats hat ja eine ganze Reihe wichtiger Elemente unter den Tisch fallen lassen. Zuallererst die Definition von "Gruppe."
Nehmen wir einmal als Beispiel, was sich eines fiktiven Wintertages im bayerischen Simbach ereignet hat:
8 Personen betreten gleichzeitig durch den Haupteingang die Bayerische VereinsBank in Simbach am Inn. Die Überwachungskamera filmt dies.
Theophilus, der etwa als 6. die Bank betritt, zieht im Schalterraum eine Pistole und fordert den verduzten Bankmitarbeiter, den Herrn Zähler, auf, "alles Geld" in einen mitgebrachten Jutebeutel zu tun.
Die anderen 7 Personen bleiben im Schalterraum stehen und sagen kein Wort. Eine von ihnen bleibt mehr oder weniger in der Tür stehen, so dass Zenzi, eine Kundin, die bereits in der Bank war, sich nicht traut, den Schalterraum zu verlassen, obwohl ihr Theophilus den Rücken zugedreht hat.
Die sieben Personen sind nicht maskiert, aber da es draussen schneit, haben sie alle Skimützen oder Hüte auf und tief ins Gesicht gezogen.
Mit prallvollem Jutebeutel verlässt nach 48 Sekunden Theophilus nun den Schalterraum und auch die anderen 7 Personen, die mit ihm die Bank betreten hatten, verlassen diese nun.
Da Herr Zähler aber heimlich den Alarm ausgelöst hatte, laufen alle 8 Personen nun direkt dem Herrn Oberkommissar Schöninger und seinen Kollegen Moosgruber und Haflinger in die Arme, die von der nahegelegenen Polizeiinspektion herbeigeilt sind.
All acht Personen werden festgenommen.
Später am Abend sitzen Schöninger und Oberstaatsanwalt Dr. Strengermann zusammen und rätseln, wie sie und vor allem wen sie in diesem Fall anklagen.
Dr. Strengermann findet, es ist alles ganz einfach. Seitdem ein neues Gesetzt sagt, dass alle Mitglieder einer Gruppe angeklagt und verurteilt werden können, die nicht klar beweisen können, dass sie nichts mit der Tat zu tun haben, hat Dr. Strengermann hier nicht mehr viel zu tun: alle acht werden wegen Bankraub angeklagt. Ist doch klar, Schöninger, sagt er, hier ist eine perfide Gruppe am Werk. Der Theophilus ist der Anführer. Sehen sie, wie sich die eine Person in der Tür aufbaut, damit keiner fliehen und Alarm schlagen kann? Strengemann weist auf den Bildschirm mit dem Video der Kamera.
Schöninger jedoch hat Zweifel, ob der erfahrene Langerichtsdirektor Dr. Justus vom königlich bayerischen Landgericht in Pfaffenhofen das auch so "einfach" sehen wird. Denn er, Schöninger, war extrem verblüfft, wen er und seine Beamten da verhaftet haben.
Da war der Theophilus, ein stadtbekannter Tunichtgut, der mal wieder Pleite war und das gar nicht akzeptieren konnte, da in München das Oktoberfest begonnen hat und er dort eine Sause machen will. Das ist keine Überraschung. Auch der Alois, der Schorsch, der Hubert, der Horschti, der Josef und der Wastl, die auch verhaftet wurden, habe alle ein Vorstrafenregister und sind immer in Geldnot. Nur, da ist auch noch die Frau Gmeinwisser! Das ist die Nachbarin von Oberkommissar Schöninger, 68 Jahre alt und eine absolut sichere Quelle jeden Gerüchtes, das in Simbach oder sonstwo in Niederbayern umgeht. Aber eine Bankräuberin?
Egal, sagt Dr. Strengemann, ein typischer Preusse, wie er nach Bayern gekommen ist, weiss keiner so ganz genau. Egal, sie ist Mitglied der Gruppe und kann nicht beweisen, dass sie nichts mit der Tat zu tun hat. Sie wird ein paar Jahre in Stadelheim verbringen müssen.
Am nächsten Abend trifft Oberkommissar Schöninger auf Dr. Einred, den wackeren Strafverteidiger Simbachs, dessen Mandantin heuer die Frau Gmeinweisser ist. Bei einer Mass Festbier im Goldenen Bären klagt Dr. Einred dem Schöninger sein Leid:
Sie wissen's doch, Herr Schöninger, die Walpurga Gmeinwisser, die ist nie und nimmer eine Bankräuberin. Sie ist ihre Nachbarin. Nur mit diesem neuen Gesetz da, da muss sie nun beweisen, dass sie unschuldig ist? Ja, wo sammer denn? Wie hammer's denn? Das ist doch nicht mehr unser guter alter Rechststaat. Wenn das der König Ludwig, Gott hab' ihn selig, noch erleben würd'!
Schöninger, der nachdenklich in seinen Masskrug schaut, nickt. Was hat Frau Gmeinwisser ihm heute bei der Vernehmung erzählt?
Sie hat hinter Theophilus als 7. die Bank betreten. Das zeigt die Kamera. Sie sagt, vor Schreck stocksteif blieb sie mitten in der Tür stehen, als Theophilus seine Pistole zückte.
Damit versperrte sie der Zenzi den Weg nach draussen, was Dr. Strengemann als klaren Beweis ihrer Ruchlosigkeit ansieht.
Als Theophilus nach 48 Sekunden endlich die Bank verliess, war Frau Gmeinwisser aus Angst und Schrecken nur noch darauf bedacht, so schnell wie möglich die Bank zu verlassen. Und so verliess sie mit den anderen sieben wieder gleichzeitig die Bank.
Sie wollte nur schnurstracks nach Hause laufen um sich vom Schreck zu erholen, sagt sie, aber sie sei ja vor der Bank verhaftet worden.
Wie kann nun Frau Gmeinwisser beweisen, dass sie weder zu der Gruppe gehört noch sonst irgendetwas mit dem Banküberfall zu tun hat?
In diesem Moment wacht Landgerichtsdirektor Dr. Justus schweissgebadet auf. Das alles war nur ein Albtraum. In seinem schönen Bayern wurde die Beweislast gar nicht umgedreht. Das hatte er nur geträumt. Bisher gilt immer noch: die gute Frau Gmeinwisser ist unschuldig, bis die Staatsanwaltschaft ihre Schuld beweist. Wenn diese anklagen will, dass Frau Gmeinwisser Mittäterin an einem Bankraub war, oder Beihilfe geleistet hat, muss die Staatsanwaltschaft beweisen, dass sie von der Tat wusste, den Taterfolg gewollt oder gebilligt hat, aktiv an der Tathandlung beteiligt war und so weiter.
Das wird dem unsympathischen Strengemann nie gelingen, denkt unser Landgerichtsdirektor, dreht sich auf die Seite und fällt schnell wieder in den Schlaf, in dem er diesmal träumt mit dem König Ludwig auf Gamsjagd zu sein. Alles ist wieder gut.
Ich hoffe man verzeiht mir zu Oktoberfestzeiten meinen kleinen Ausflug in die bayerische Provinz, wo ich die Juristerei gelernt habe, und versteht, welche Problematik entsteht, wolle man die Beweislast wirklich umkehren. In unserem Zitat ganz am Anfang wurde nicht erwähnt, wie denn nun die Definition der Gruppe passieren soll, aus der sich die Straftat ergibt und was man tun muss, um zu dieser Gruppe zu gehören. Klar ist aber hoffentlich aus diesem Beispiel hier, dass diese Dinge zu beweisen weiterhin eine Aufgabe der Staatsanwaltschaft bleiben muss.