@monstra Ich müsste mich da genauer in den Ablauf dieses Verfahrens einlesen, ich kenne hier natürlich im Moment nur die Darstellungen aus der Presse. Daher kann ich nur vorbehaltlich genauerer Prüfung meine Meinung zu Grunde legen.
Tatsache ist aber, dass die "Freiheit und Angemessenheit der Verteidigung" ein sehr hohes Rechtsgut des Rechtsstaates ist, und diese u.a. auch in der Europäischen Menschenrechtskonvention verbrieft und somit in Deutschland geltendes Recht ist. Sowohl das Bundesverfassungsgericht, als auch Verfassungsgerichte der Länder und vor allem der Bundesgerichtshof haben sich oft relativ deutlich dazu geäussert, interessanterweise meistens im umgekehrten Fall, dass ein Angeklagter einen Verteidiger von der Verteidigung entbinden wollte, und Gerichte das abgelehnt haben. Aber gehen wir der Reihe nach vor:
monstra schrieb:Könnte der BGH das Thema aufgreifen, auch wenn es in einer Revision nicht angegriffen wird?
Dem steht vermutlich § 352 StPO entgegen. Ich würde den entsprechenden Antrag durch eine Verfahrensrüge stellen, die auf einen absoluten Revisionsgrund nach § 338 Nr.8 abzielt. Nach § 352 unterliegen der Revision nur die gestellten Revisionsanträge und die damit vorgebrachten Tatsachen. Daher würde ich dem Verurteilten raten, auf jeden Fall andere als seine bisherigen Verteidiger mit den Revisionsanträgen und deren Begründung zu befassen.
monstra schrieb:Dürfte jedenfalls das Gericht den "Spaltpilz" zwischen Angeklagten und Verteidigung sähen, indem sie dem Angeklagten aufgedrängt "helfend" bedeutet: "Mit diesem Verteidiger können Sie bei uns erhebliche Nachteile erleiden", wäre das ein fundamentaler Eingriff in das Recht auf Wahl der Verteidigung. Daran ändert sich auch nichts, wenn der Angeklagte mehr oder weniger vom Gericht "bestimmt" wird, "freiwillig" seinen Verteidiger entpflichten zu lassen (durch das Gericht, wohlgemerkt). Da ist das Nicken des Angeklagten doch nur ein Feigenblatt.
Genau. Ich sehe hier durchaus einen gravierenden Verfahrensfehler gemäss § 338 Nr.8:
Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen,...
8. wenn die Verteidigung in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt durch einen Beschluß des Gerichts unzulässig beschränkt worden ist.
Dazu hat der Bundesgerichtshof z.B. geltend gemacht:
Ob nämlich der ... Pflichtverteidiger für die Erfüllung seiner Aufgabe hinreichend vorbereitet gewesen ist, hatte er in erster Linie selbst zu beurteilen. Es ist grundsätzlich nicht Sache des Gerichts, dies nachzuprüfen, denn als unabhängiges Organ der Rechtspflege hat der Rechtsanwalt die Verteidigung selbstständig zu führen (BGH JR 1998, 251 f.; StV 2000, 402, 403; BGHR StPO § 265 Abs. 4 Verteidigung, angemessene 5; vgl. auch BGH NJW 1965, 2164, 2165).
(Hervorhebung von mir)
Analog dazu gilt m.E. dass der Verteidiger nicht nur hinsichtlich der Frage, ob er hinreichend vorbereitet ist, diese Frage selbst beantworten muss, sondern um so mehr, ob seine Verteidigungsstrategie die richtige ist. Eine "selbstständige Verteidigung" ist es m.E. nicht mehr, wenn das Gericht hier deutlich sagt, dass es eine andere Verteidigungsstrategie wünscht.
monstra schrieb:Das Problem einer Strafverteidigerriege, die sich uneinig ist oder untaugliche Anträge stellt, lässt sich auch anders lösen. Götzel, @Rick_Blaine 's Lieblingsvorsitzender, musste sich bei NSU da auch durchkämpfen, aber er hat letztlich Beate Zschäpe ziemlich geduldig ihren Willen gelassen. Und die so entstandenen zwei Verteidigergruppen, die völlig konträre Strategien vertraten, ihre Arbeit machen lassen, wie sie es für richtig hielten. Der Wechsel hat Zschäpe nicht genützt, aber das ist ein anderes Blatt.
Und ob ein Angeklagter das Vertrauen zu seinem Verteidiger verliert, ist nichts, was das Gericht angeht oder was es gar forcieren darf. Der Verteidiger darf auch ohne Zustimmung des Angeklagten Anträge stellen. Nur wenn sich der Angeklagte hilfesuchend an das Gericht wendet und erklärt, er habe das Vertrauen in seine Verteidigung verloren (wie Zschäpe in München), kann das Gericht ihm helfen, einen neuen Verteidiger zu finden.
So ist es. Selbst mein "Lieblingsrichter" - ich verweise hier ausdrücklich auf die ironischen Anführungszeichen
:) - Götzl hat dieses Problem im NSU Prozess weitaus korrekter gelöst als in diesem Fall hier jener Richter Sagebiel.
Schlauere Juristen als ich mögen am Ende anders entscheiden aber ich sehe hier schon einen Verstoss gegen den Grundsatz, dass die Verteidigung und ihre Strategie unabhängig vom Gericht und dessen Vorlieben durchzuführen ist.