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Kassel/Wolfhagen Regierungspräsident Dr. Walter Lübcke ermordet

4.967 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Mord, Hessen, 2019 ▪ Abonnieren: Feed E-Mail

Kassel/Wolfhagen Regierungspräsident Dr. Walter Lübcke ermordet

03.02.2021 um 10:49
Zitat von menarimenari schrieb:Und einem Angeklagten quasi zu drohen, dass ihm negative Konsequenzen drohen, wenn er nicht auf das Gericht hört, ist eine Ungeheuerlichkeit die ihres gleichen sucht.
Das ist Unsinn. Dem Angeklagten ist zu keinem Zeitpunkt „gedroht“ worden. Wäre es so, wäre es in der Tat ungeheuerlich, und der drohende Richter wäre in hohem Bogen wegen Befangenheit völlig zu Recht aus dem Verfahren rausgeflogen. Es gab aber eben keine „Drohungen“.

Die Kritik in der Fachwelt über das reale Verhalten des Gerichts hielt sich denn auch in engen Grenzen. Außer Prof. Dr. Fischer war es nur noch ein Göttinger Strafrechtsprofessor, der sich zu Wort gemeldet hatte. Nicht mal der allzeit empörungsbereite Prof. Dr. Henning Ernst Müller aus Regensburg hat im Beck-Blog etwas zum Thema geschrieben, und das will was heißen.


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Kassel/Wolfhagen Regierungspräsident Dr. Walter Lübcke ermordet

03.02.2021 um 11:25
Zitat von AndanteAndante schrieb:Hannig wurde zwar als Pflichtverteidiger durch Beschluss des Gerichts abberufen, aber auf vorherigen Antrag des Angeklagten.
Das ist eine Sicht, die völlig ausblendet, dass das Gericht zuvor dem Angeklagten dringend dazu geraten hat.
Zitat von AndanteAndante schrieb:Dem Angeklagten ist zu keinem Zeitpunkt „gedroht“ worden.
Nicht im strafrechtlichen Sinne. Klar. Aber ihm wurde wohlwollend aber nachdrücklich dazu geraten. Wie auch zur Abgabe eines wahrheitsgemäßen Geständnisses. Und zumindest jeder normale Zuhörer (siehe Medienberichte), wie auch der Angeklagte, mussten das so auffassen, als ob ein wunschgemäßes Verhalten erhebliche Vorteile haben und ergo ein Nichtbefolgen dieses Ratschlags erhebliche Nachteile haben könnte, ja haben würde.

Nun darf ein Gericht sehr wohl einen Angeklagten von den Vorteilen überzeugen wollen, die ein Geständnis haben kann. Weil es aber noch nicht weiß, wie das Geständnis ausfallen könnte und was die rechtlichen Folgen wären, muss es das behutsam machen. Und es muss sich an seinen Spielräumen orientieren.

Hätte das Gericht gesagt:

"Angeklagter, Sie haben sich entschieden, zur Tat keine Angaben zu machen. Das ist Ihr gutes Recht. Aber ich möchte Sie darauf hinweisen, dass wir ein Geständnis, dass wir Reue immer positiv berücksichtigen, soweit das rechtlich möglich ist. Unabhängig davon würden Sie es den Opfern ihrer Tat, den Angehörigen, erheblich erleichtern, das Geschehene zu verarbeiten. Und falls Sie bestraft werden sollten, würde es auch Ihnen leichter fallen, in der Haft und später damit konstruktiv umzugehen, Ihren Frieden zu machen."

Es hat sich aber eindeutig anders ausgedrückt.

Hier hat das Gericht Geständnis und Verteidungsstrategie unauflöslich miteinander verknüpft. Als ob das alles nur möglich wäre, wenn sich der Angeklagte von seinem Verteidiger löst. Das geht nicht.


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Kassel/Wolfhagen Regierungspräsident Dr. Walter Lübcke ermordet

03.02.2021 um 14:11
Zitat von monstramonstra schrieb:Nicht im strafrechtlichen Sinne. Klar. Aber ihm wurde wohlwollend aber nachdrücklich dazu geraten.
Was E. als „nachdrücklich“ empfand und was nicht, kann wohl nur er selber sagen. Dass sein Vertrauen zu Hannig aber schon vor Beginn des Prozesses etwas gestört war, ergibt sich aus der Aussage seines zeitweiligen Verteidigers Pfläging.

https://www.hna.de/kassel/walter-luebcke-regierungspraesident-kassel-stephan-ernst-prozess-gericht-frankfurt-90042417.html

Insofern wird man kaum davon ausgehen können, dass das Gericht ursächlich für Zweifel E´s an den Qualitäten von Hannig war. Und dass Kaplan ebenfalls Zweifel an Hannig hatte (und das E. gegenüber vermutlich auch zum Ausdruck gebracht hat), ist auch bekannt.
Zitat von monstramonstra schrieb:Hier hat das Gericht Geständnis und Verteidungsstrategie unauflöslich miteinander verknüpft. Als ob das alles nur möglich wäre, wenn sich der Angeklagte von seinem Verteidiger löst.
Das halte ich für übertrieben. Die Frage ist schon mal, was das „alles“ ist, was „möglich“ ohne Lösung vom Verteidiger Hannig gewesen wäre. Zweitens hat das Gericht keine Vorteile im Gegenzug für ein Geständnis versprochen. In diesem Zusammenhang wird der Zusatz, den der Vorsitzende gebraucht hat, nämlich „wenn es etwas zu gestehen gibt“, gerne unterschlagen. Es gab den Zusatz aber, und er zeigt, dass hier keine Verknüpfung zwischen Geständnis und irgend etwas anderem stattgefunden hat.


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Kassel/Wolfhagen Regierungspräsident Dr. Walter Lübcke ermordet

03.02.2021 um 14:32
Nachtrag: Der Vollständigkeit halber ist anzumerken, dass das Gericht auch weder offen noch versteckt mit Nachteilen gewinkt („gedroht“) hat für den Fall, dass E. nicht gesteht (mit Zusatz „falls es etwas zu gestehen gibt“) oder wenn er keinen Antrag auf Abberufung von Hannig stellt.


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03.02.2021 um 14:38
Manchmal kann ich nur dem Kopf schütteln über Deine konsequent einseitige Sicht der Dinge.
Zitat von AndanteAndante schrieb:Was E. als „nachdrücklich“ empfand und was nicht, kann wohl nur er selber sagen.
Als ob es alleine auf die subjektive Wirkung ankommt. Meiner Ansicht kommt es gar nicht darauf an. Es geht um die Grenzen dessen, was ein Gericht darf. Ob eine Botschaft "nachdrücklich" ist, kann natürlich auch objektiv beurteilt werden.
Zitat von AndanteAndante schrieb:Insofern wird man kaum davon ausgehen können, dass das Gericht ursächlich für Zweifel E´s an den Qualitäten von Hannig war.
Nicht allein ursächlich vielleicht. Aber das Abkanzeln des Verteidigers war auf jeden mitursächlich dafür, dass E. sein Vertrauen verloren hat.
Zitat von AndanteAndante schrieb:Es gab den Zusatz aber, und er zeigt, dass hier keine Verknüpfung zwischen Geständnis und irgend etwas anderem stattgefunden hat.
Dieser Zusatz "wenn es etwas zu gestehen gibt" ist alleine der Tatsache geschuldet, dass das Gericht zu Prozessbeginn dem Angeklagten nicht unterstellen kann, er habe etwas zu gestehen. Denn es gilt die Unschuldsvermutung.

Der Vorsitzende hat doch ganz klar eine Verbindung hergestellt, mit jenen unseligen Worten, der Angeklagte solle nicht auf seinen Verteidiger hören (der ihm rät zu schweigen) und gestehen. Das ist die Verknüpfung. Und die kann man nicht einfach durch Rabulistik in Abrede stellen.


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03.02.2021 um 14:51
Zitat von monstramonstra schrieb:Nicht allein ursächlich vielleicht. Aber das Abkanzeln des Verteidigers war auf jeden mitursächlich dafür, dass E. sein Vertrauen verloren hat.
Da schüttle ich nun wieder den Kopf, was du anhand von Presseberichten alles so sicher weißt, ohne mit E. bzw. seinen Verteidigern jemals gesprochen zu haben oder im Gerichtssaal anwesend gewesen zu sein und die Worte der Beteiligten gehört zu haben.


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03.02.2021 um 15:42
Zitat von AndanteAndante schrieb:Da schüttle ich nun wieder den Kopf, was du anhand von Presseberichten alles so sicher weißt, ohne mit E. bzw. seinen Verteidigern jemals gesprochen zu haben oder im Gerichtssaal anwesend gewesen zu sein und die Worte der Beteiligten gehört zu haben.
Das gilt doch in gleicher Weise für Dich - oder hast Du exklusive Informationen, die ich, die wir alle hier, nicht haben?


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03.02.2021 um 16:48
Zitat von monstramonstra schrieb:Nicht im strafrechtlichen Sinne. Klar. Aber ihm wurde wohlwollend aber nachdrücklich dazu geraten. Wie auch zur Abgabe eines wahrheitsgemäßen Geständnisses. Und zumindest jeder normale Zuhörer (siehe Medienberichte), wie auch der Angeklagte, mussten das so auffassen, als ob ein wunschgemäßes Verhalten erhebliche Vorteile haben und ergo ein Nichtbefolgen dieses Ratschlags erhebliche Nachteile haben könnte, ja haben würde.
Und das ist aus meiner Sicht ein Drohung.


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03.02.2021 um 19:48
Zitat von monstramonstra schrieb:Das gilt doch in gleicher Weise für Dich - oder hast Du exklusive Informationen, die ich, die wir alle hier, nicht haben?
Nein, natürlich habe ich keine weitergehenden Informationen. Ich bin ja deswegen etwas zurückhaltender mit der Bewertung der ganzen Sache. Für mich ist aber zumindest aufgrund der Angaben des zeitweiligen Verteidigers Pfläging klar, dass Stephan E. schon vor Prozessbeginn Zweifel an Hannig und dessen Beistand hatte.

Klar dürfte auch sein, dass Kaplan und Hannig, aus welchen Gründen auch immer, nicht das beste Verhältnis hatten. Kaplan hat sich ja auch dahin geäußert, dass er Hannigs vorprozessuale Ratschläge an E. einschließlich der, Markus H. als den, der geschossen hat, hinzustellen, nicht für die besten hielt.

Ich würde allerdings, sofern sich keine weiteren Anhaltspunkte auftauchen, nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass Kaplan in vorauseilendem Gehorsam irgendwelche indirekten „Anordnungen“ des Gerichts befolgt hat. Dass sich Kaplan am Ende für die faire Verhandlungsführung bedankt hat, ist noch kein solcher Anhaltspunkt. Das tun Prozessbeteiligte, wenn auch selten, mal, ohne etwas vom Gericht dafür zu erwarten. Die Bundesanwaltschaft hat sich ja auch bedankt - und sicher nicht als „Gegenleistung“ vom Gericht erwartet, dass Stephan E. auch wegen eines versuchten Tötungsdelikts an Ahmed I. oder dass Markus H. wegen Beihilfe zum Mord an Dr. Lübcke verurteilt wird.


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03.02.2021 um 20:19
Zitat von AndanteAndante schrieb:Ich würde allerdings, sofern sich keine weiteren Anhaltspunkte auftauchen, nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass Kaplan in vorauseilendem Gehorsam irgendwelche indirekten „Anordnungen“ des Gerichts befolgt hat.
Davon bin ich auch nicht ausgegangen und das habe ich auch nicht behauptet.
Zitat von AndanteAndante schrieb:Dass sich Kaplan am Ende für die faire Verhandlungsführung bedankt hat, ist noch kein solcher Anhaltspunkt.
Siehe oben.

Im Übrigen liegt es mir fern, dem Gericht irgendwelche üblen Machenschaften zu unterstellen. Aber jedes Gericht, jeder erfahrene Vorsitzende, kann Fehler machen. Den Appell an den Angeklagten, reuig zu gestehen, fand ich ja noch nicht unsympathisch, weil ja ein reuiges Geständnis erheblich zum Rechtsfrieden beitragen kann. Aber strafprozessual schon sehr bedenklich.

Dann die Abberufung von Hannig, der wahrlich keine Zierde seines Standes ist, sondern ein unfähiger Manipulator, der die Puppen gerne tanzen lassen würde, aber das nicht kann. Eine sanftes Ausloten einer Lösung durch das Gericht würde ich in dieser Situation nicht per se als unzulässig ansehen. Die Art und Weise, wie das Gericht hier aber gehandelt hat, das war die Brechstange. Ebenfalls prozessual sehr bedenklich.

Beides zusammen, das "Hören Sie nicht auf Ihren Verteidiger...," und dessen öffentliche Demontage durch das Gericht, das ist das, was nicht hätte sein dürfen. Das war ein Fehler, nicht nur strafprozessual.


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04.02.2021 um 01:10
Zitat von monstramonstra schrieb:Der Vorsitzende hat doch ganz klar eine Verbindung hergestellt, mit jenen unseligen Worten, der Angeklagte solle nicht auf seinen Verteidiger hören (der ihm rät zu schweigen) und gestehen. Das ist die Verknüpfung. Und die kann man nicht einfach durch Rabulistik in Abrede stellen.
Genau. Man muss m.E. nicht Jurist sein um klar zu erkennen, dass sich so ein Satz aus dem Munde des Vorsitzenden niemals mit dem statement des Bundesgerichtshofs vereinen lässt:
Zitat von Rick_BlaineRick_Blaine schrieb:... als unabhängiges Organ der Rechtspflege hat der Rechtsanwalt die Verteidigung selbstständig zu führen (BGH JR 1998, 251 f.; StV 2000, 402, 403; BGHR StPO § 265 Abs. 4 Verteidigung, angemessene 5; vgl. auch BGH NJW 1965, 2164, 2165).



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04.02.2021 um 02:44
Niemand, auch ich selbstverständlich nicht, spricht einem Verteidiger die Befugnis zur selbstständigen Verteidigung ab. Es entsteht aber ein Problem, wenn ein Angeklagter zwei Verteidiger hat, welche verschiedene Vorstellungen von einer selbstständigen Verteidigung haben. Wie soll da ein Gericht reagieren, wenn der eine Verteidiger diesen Antrag stellt, der andere aber erklärt, dass er diesen Antrag nicht stellen möchte? Und wie soll ein Angeklagter sich verhalten, wenn der eine Verteidiger ihm zu jener Aussage rät, der andere aber zum kompletten Schweigen bzw. umgekehrt?

Hinzu kommt ein weiteres Problem: nämlich der Zeitpunkt der Abberufung eines Pflichtverteidigers, von dem der Angeklagte behauptet, dass das Vertrauensverhältnis zu diesem nicht mehr ausreichend sei. Der deutsche Anwaltverein weist zu Recht darauf hin, dass Gerichte umso weniger geneigt sind, einen Angeklagten von einem (inwischen) „ungeliebten“ Pflichtverteidiger zu „befreien“ und ihm einen neuen Pflichtverteidiger seines Vertrauens beizuordnen, je weiter der Prozess fortgeschritten ist. Denn dann besteht gerichtlicherseits nicht zu Unrecht die Befürchtung, mit dem Prozess von vorne anfangen zu müssen. Daher stellen die Gerichte an die Abberufung eines Pflichtverteidigers von vornherein hohe Anforderungen.

https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/olg-frankfurt-luebcke-prozess-mord-angeklagter-antrag-abberufung-pflichtverteidiger-anwalt-vertrauen-zerstoert-beweisantraege-verteidigungsstrategie/

Ob dies im Einzelfall der Problematik gerecht wird, sei dahingestellt.

Es sei mir aber die Anmerkung gestattet, dass nach meiner Auffassung selbstständige Verteidigung kein Selbstzweck ist, sondern dem wohl verstandenen Interesse des Mandanten zu dienen hat. Dazu kann mE auch gehören, sich mit vorhandenen weiteren Verteidigern über die Verteidigungsstrategie zu einigen und nicht mit für andere Verteidiger und den Angeklagten überraschenden Anträgen vorzupreschen.


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Kassel/Wolfhagen Regierungspräsident Dr. Walter Lübcke ermordet

04.02.2021 um 03:06
All das ist ja richtig und schön. Aber das ändert nichts daran, dass ein Vorsitzender Richter auf keinen Fall sich den Verteidigerhut aufsetzen darf und zum Angeklagten sagen darf: "So, nun hören'se mal nicht auf den Deppen, der da ihr Anwalt ist, sondern auf mich.......!"
Zitat von AndanteAndante schrieb:Wie soll da ein Gericht reagieren, wenn der eine Verteidiger diesen Antrag stellt, der andere aber erklärt, dass er diesen Antrag nicht stellen möchte?
Darauf hatte @monstra schon hingewiesen: zum Beispiel so wie Götzl im NSU Verfahren.
Zitat von AndanteAndante schrieb:Und wie soll ein Angeklagter sich verhalten, wenn der eine Verteidiger ihm zu jener Aussage rät, der andere aber zum kompletten Schweigen bzw. umgekehrt?
Das ist eben dann das Problem des Angeklagten. Als Richter kann ich ihm sagen: "Also, passense mal auf, so geht das nicht: Der eine Ihrer Verteidiger will A, der andere B, aber es geht nur A oder B. Entscheiden Sie Sich mal. Setzen Sie Sich mit Ihren Verteidigern mal zusammen und diskutieren Sie, was sie eigentlich wollen. Ich setze das Verfahren jetzt mal ein paar Tage aus damit Sie Zeit haben, da eine Entscheidung zu treffen." Bis dahin wäre alles OK.

Was aber zu weit geht ist, wenn der Richter dann sagt: "Passense auf, ich entscheide jetzt mal für Sie: Nehmense A, auf keinen Fall B."


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04.02.2021 um 03:37
Zitat von Rick_BlaineRick_Blaine schrieb:Darauf hatte @monstra schon hingewiesen: zum Beispiel so wie Götzl im NSU Verfahren.
Das ist nicht ganz vergleichbar: Tzschäpe wollte alle ihre Pflichtverteidiger nicht mehr und mittendrinn einen neuen, fünften Pflichtverteidiger. Das wurde abgelehnt (wahrscheinlich mit dem durchaus nachvollziehbaren Hintergedanken, dass man mit demProzess nicht von vorne anfangen wollte).
Zitat von Rick_BlaineRick_Blaine schrieb:Das ist eben dann das Problem des Angeklagten. Als Richter kann ich ihm sagen: "Also, passense mal auf, so geht das nicht: Der eine Ihrer Verteidiger will A, der andere B, aber es geht nur A oder B. Entscheiden Sie Sich mal. Setzen Sie Sich mit Ihren Verteidigern mal zusammen und diskutieren Sie, was sie eigentlich wollen. Ich setze das Verfahren jetzt mal ein paar Tage aus damit Sie Zeit haben, da eine Entscheidung zu treffen." Bis dahin wäre alles OK.

Was aber zu weit geht ist, wenn der Richter dann sagt: "Passense auf, ich entscheide jetzt mal für Sie: Nehmense A, auf keinen Fall B."
Ja, das stimmt. Ich denke, wir müssen in der Diskussion auch immer unterscheiden, ob es um die Entpflichtung von Hannig geht oder aber um die Äußerung des Vorsitzenden an beide Angeklagten, dass diese nicht auf ihre Verteidiger hören, sondern gestehen sollten, wenn es etwas zu gestehen gebe, weil sich ein frühes Geständnis immer auszahle (zitiert nach Presseberichten. Da ich nicht dabei war, muss ich mich darauf verlassen, dass das so vom Vorsitzenden gesagt wurde).

Ich will ja gerne zugeben, dass mir irgendwo das Problembewusstsein fehlt, aber was die Entpflichtung von Hannig angeht, sehe ich da keinen die Republik erschütternden Skandal, auch keinen Revisionsgrund. Aber das mag der BGH entscheiden. Was der Appell ans Geständnis angeht, hätte man das sicher zurückhaltender formulieren können. Aber ich sehe nicht, dass insoweit das Gericht hier A oder B entschieden hätte. Zumal alle Verteidiger vorher, dh nach Zustellung der Anklageschrift, ausgiebig mit dem Angeschuldigten bzw. dann Angeklagten beratschlagt haben dürften, ob sich ein Geständnis auszahlt oder nicht. Und für einen Vorsitzenden ist es sicher schmeichelhaft, wenn ihm Gottgleichheit und größtmöglicher Einfluss auf alle Prozessbeteiligten, insbesondere auf den Angeklagten, zugetraut wird, aber so ist es in der Realität natürlich nicht.

Ganz anders sieht es da aus, wo kein Anwaltszwang bzw. keine Pflichtverteidigung vorgeschrieben ist. Dort ist das Verhältnis Angeklagter, Kläger, Beklagter und Gericht noch mal ganz was anderes.


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04.02.2021 um 10:02
Zitat von AndanteAndante schrieb:Und für einen Vorsitzenden ist es sicher schmeichelhaft, wenn ihm Gottgleichheit und größtmöglicher Einfluss auf alle Prozessbeteiligten, insbesondere auf den Angeklagten, zugetraut wird, aber so ist es in der Realität natürlich nicht.
Das bestreite ich. Wer könnte bitte einen größeren Einfluss auf den Angeklagten haben als der vorsitzende Richter? Der Angeklagte bzw. der Verlauf seines weiteren Lebens ist ganz direkt von dem Wohlwollen des Richters und seinen Entscheidungen abhängig.

Ich nehme mal als Beispiel das Strafrecht für Sexualdelikte. Hier unterstellt das Gesetz einen Missbrauch, sobald ein Machtverhältnis oder Abhängigkeitsverhältnis zwischen den Beteiligten vorliegt (Arzt und Patient, Chef und Angestellter, Erwachsener und Kind), auch wenn der Vorgang an sich möglicherweise subjektiv einvernehmlich verlaufen ist.

Dieses Abhängigkeitsverhältnis des Angeklagten vom Richter ist hier also mMn äußerst wichtig für die Beurteilung und, dass es dieses gibt lässt sich nicht bestreiten.


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04.02.2021 um 13:59
Zitat von AndanteAndante schrieb:Ich will ja gerne zugeben, dass mir irgendwo das Problembewusstsein fehlt, aber was die Entpflichtung von Hannig angeht, sehe ich da keinen die Republik erschütternden Skandal, auch keinen Revisionsgrund.
Ein Skandal, der die Republik erschüttert? Nein. Das sollten schon andere Dinge sein.

Wenn Du aber kein Problembewusstsein hast, Kräfteverhältnisse ignorierst und Kausalitäten mit formellen Argumenten hinwegdefinierst, erschüttert mich das schon etwas. Und ich frage mich, ob dem OLG Frankfurt auch das Problembewusstsein fehlte. Ehrlich gesagt: Das könnte ich gar nicht glauben. Die werden sich schon überlegt haben, ob sie das dürfen. Ob das ein absoluter oder relativer Revisionsgrund ist, das Verhalten des Gerichts etwa gegen § 338 Nr. 8 StPO verstößt, das mögen die Fachleute erörtern.

Ich sehe da jedenfalls ein Problem, aus dem man mit dem formellen Leierkasten nicht herauskommt. Man kann es vielleicht durch Abwägung lösen, aber das bedürfte einer vertieften Befassung mit dem Problem einer in sich uneinigen Verteidigung. Gleiches gilt für das Prinzip nemo tenetur se ipsum accusare und die Reichweite von § 136a StPO, wonach ein bloßer Hinweis darauf, dass sich ein Geständnis bei der Strafzumessung günstig auswirken kann, noch kein unzulässiges Versprechen eines gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteils ist.

Doch hat sich das Gericht darauf beschränkt? Auch das ist ein Problem, das sich nicht dadurch löst, dass man einfach annimmt, das Gericht habe ja nichts "versprochen", habe ja keine bindende Zusage gemacht.
Aber vielleicht hat es ja sogar gedroht, dass weiteres Schweigen nachteilig für den Angeklagten sei, vielleicht konnte oder musste gar der Angeklagte dies so aufnehmen (objektivierter Empfängerhorizont). Das liegt nahe beieinander. Die öffentlich berichteten Worte des Gerichts kann man auch so auffassen. Und das ist ein Problem. Hier sind elementare Grundsätze des Strafprozessrechts berührt. Und das ist ein Problem.
Zitat von menarimenari schrieb:Hier unterstellt das Gesetz einen Missbrauch, sobald ein Machtverhältnis oder Abhängigkeitsverhältnis zwischen den Beteiligten vorliegt (Arzt und Patient, Chef und Angestellter, Erwachsener und Kind), auch wenn der Vorgang an sich möglicherweise subjektiv einvernehmlich verlaufen ist.
Ein guter Gedanke. Danke.

Wo in unserem Rechtssystem ist ein formales und materielles Subordinationsverhältnis zwischen Bürger und Staat (in Gestalt des Richters) ausgeprägter, massiver, grundrechtsbeschränkender als vor dem Strafgericht? Der Angeklagte kann sich nicht selbst verteidigen, er ist dem Schuldspruch ausgeliefert. Er hat sich dem Urteil zu beugen, kann es nur noch beschränkt angreifen.

Da einen völlig autonomen Angeklagten zu konstruieren, der völlig frei richterliche Ratschläge annehmen und über die Entpflichtung eines seiner Verteidiger entscheiden kann, das ist wirklichkeitsfremd. Oder hätte sich E. von Hannig getrennt, wenn das Gericht nicht interveniert hätte? Wohl nicht. Jedenfalls nicht so.


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04.02.2021 um 14:55
PS: Das Gericht hatte meiner Ansicht nach sicher ein Problembewusstsein.

Es entschied sich für diesen Weg, so meine These, weil es ein besonderer Prozess, kein x-bliebiger Mordprozess, war. Von großer politischer Bedeutung, weil erstmals seit 1922 ein Politiker von einem rechten Terroristen ermordet worden war. Eine AfD-Type wie Hannig, seine Drehbücher und abstrusen Anträge, die waren da sehr ärgerlich, ein Schlag ins Gesicht der Familie Lübke. Und ein Prozess ohne Geständnis wäre auch unangenehm und vielleicht aufgrund nur fragmentarischer Aufklärung zur Legendenbildung geeignet.

Ja auch noch die Angehörigen. Ich glaube, die Familie Lübke war für das Gericht ein wichtiger Faktor. Würde es dem Gericht mit dem Prozess gelingen, ihr eine gewisse Aufarbeitung, eine Bewältigung ihrer Trauer zu ermöglichen? Ein mehr oder weniger reuiges Geständnis könnte ihnen den Frieden geben, denen sie verdienten. Und es wäre auch ein Signal an zukünftige Täter.

Das wären legitime Überlegungen, wenn sie das Gericht gehabt hat. Keine, die der StPO innewohnen, die aber in so vielen Prozessen mitschwingen, von NSU bis Love-Parade.


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Kassel/Wolfhagen Regierungspräsident Dr. Walter Lübcke ermordet

05.02.2021 um 02:44
Zitat von monstramonstra schrieb:Es entschied sich für diesen Weg, so meine These, weil es ein besonderer Prozess, kein x-bliebiger Mordprozess, war. Von großer politischer Bedeutung, weil erstmals seit 1922 ein Politiker von einem rechten Terroristen ermordet worden war.
Und das bereitet mir Bauchschmerzen, denn es mag das Gefühl aufkommen, das auch schon während dem NSU Prozess so manchem aufgefallen ist, dass der Staat hier unbedingt ein "befriedigendes Ergebnis" dieser Prozesse braucht. Wollte man aus Staatsraison unbedingt vermeiden, dass dieser Prozess hier ohne Geständnis endet und damit wieder Vorwürfe aufkommen, dass nicht vollends aufgeklärt wurde, was in Deutschland nicht sein darf: eine rechtsextreme Tat?


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