Andante schrieb:Ich will ja gerne zugeben, dass mir irgendwo das Problembewusstsein fehlt, aber was die Entpflichtung von Hannig angeht, sehe ich da keinen die Republik erschütternden Skandal, auch keinen Revisionsgrund.
Ein Skandal, der die Republik erschüttert? Nein. Das sollten schon andere Dinge sein.
Wenn Du aber kein Problembewusstsein hast, Kräfteverhältnisse ignorierst und Kausalitäten mit formellen Argumenten hinwegdefinierst, erschüttert mich das schon etwas. Und ich frage mich, ob dem OLG Frankfurt auch das Problembewusstsein fehlte. Ehrlich gesagt: Das könnte ich gar nicht glauben. Die werden sich schon überlegt haben, ob sie das dürfen. Ob das ein absoluter oder relativer Revisionsgrund ist, das Verhalten des Gerichts etwa gegen § 338 Nr. 8 StPO verstößt, das mögen die Fachleute erörtern.
Ich sehe da jedenfalls ein Problem, aus dem man mit dem formellen Leierkasten nicht herauskommt. Man kann es vielleicht durch Abwägung lösen, aber das bedürfte einer vertieften Befassung mit dem Problem einer in sich uneinigen Verteidigung. Gleiches gilt für das Prinzip
nemo tenetur se ipsum accusare und die Reichweite von § 136a StPO, wonach ein bloßer Hinweis darauf, dass sich ein Geständnis bei der Strafzumessung günstig auswirken kann, noch kein unzulässiges Versprechen eines gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteils ist.
Doch hat sich das Gericht darauf beschränkt? Auch das ist ein Problem, das sich nicht dadurch löst, dass man einfach annimmt, das Gericht habe ja nichts "versprochen", habe ja keine bindende Zusage gemacht.
Aber vielleicht hat es ja sogar gedroht, dass weiteres Schweigen nachteilig für den Angeklagten sei, vielleicht konnte oder musste gar der Angeklagte dies so aufnehmen (objektivierter Empfängerhorizont). Das liegt nahe beieinander. Die öffentlich berichteten Worte des Gerichts kann man auch so auffassen. Und das ist ein Problem. Hier sind elementare Grundsätze des Strafprozessrechts berührt. Und das ist ein Problem.
menari schrieb:Hier unterstellt das Gesetz einen Missbrauch, sobald ein Machtverhältnis oder Abhängigkeitsverhältnis zwischen den Beteiligten vorliegt (Arzt und Patient, Chef und Angestellter, Erwachsener und Kind), auch wenn der Vorgang an sich möglicherweise subjektiv einvernehmlich verlaufen ist.
Ein guter Gedanke. Danke.
Wo in unserem Rechtssystem ist ein formales und materielles Subordinationsverhältnis zwischen Bürger und Staat (in Gestalt des Richters) ausgeprägter, massiver, grundrechtsbeschränkender als vor dem Strafgericht? Der Angeklagte kann sich nicht selbst verteidigen, er ist dem Schuldspruch ausgeliefert. Er hat sich dem Urteil zu beugen, kann es nur noch beschränkt angreifen.
Da einen völlig autonomen Angeklagten zu konstruieren, der völlig frei richterliche Ratschläge annehmen und über die Entpflichtung eines seiner Verteidiger entscheiden kann, das ist wirklichkeitsfremd. Oder hätte sich E. von Hannig getrennt, wenn das Gericht nicht interveniert hätte? Wohl nicht. Jedenfalls nicht so.