laikaaaaa schrieb:Was meint ihr, hat diese Strategie der Verteidigung irgendwelche Erfolgsaussichten?
Nein. Das dürfte sehr unwahrscheinlich sein.
Vor allem sind Stephan Ernst' immer wieder abgeänderte Aussagen zu sehr auf eine solche Lösung getrimmt gewesen. Vermutlich durch Hinweise der Verteidigung.
1. Die Argumentation, Heimtücke entfalle, weil das Opfer zwar wehr- aber nicht arglos gewesen sei, steht genau in Korrespondenz zur Aussage Ernst'.
Demnach verübten er und der Mitangeklagte Markus H. den Anschlag gemeinsam, traten mitten in der Nacht an Walter Lübcke heran und sprachen ihn an. Ernst richtete die Waffe auf Lübcke, während ihm H. entgegenblaffte: "So Herr Lübcke, Zeit zum Auswandern!"
Ab diesem Moment, so die Argumentation Kaplans, sei Lübcke sich eines Angriffs bewusst und somit nicht mehr arglos gewesen. An seiner Wehrlosigkeit bestehe kein Zweifel, aber diese habe nicht auf seiner Arglosigkeit beruht. Dies habe auch dem gemeinsamen Tatentschluss von Ernst und H. entsprochen, denen es gerade darauf angekommen sei, Lübcke zu konfrontieren.
Quelle:
https://www.hessenschau.de/panorama/prozess-blog-mordfall-luebcke-104.htmlDas ist in meinen Augen eine haarspalterische Argumentation, die auf einer insoweit unglaubhaften Aussage Ernst' beruht. Ein solcher künstlicher Augenblick beseitigt nicht eine anhaltende Arglosigkeit des Opfers und selbst wenn, ändert es nicht daran, dass die Tatbegehung eine bis dahin bestehende Arglosigkeit des Opfers ausgenutzt hat.
2. Bleiben noch die niedrigen Beweggründe. Der Verteidiger argumentiert:
Bei Stephan Ernst stellt sich die Frage, ob ein politisches Motiv als "niedriger Beweggrund" angesehen werden kann. Auch hier kommen deutsche Gerichte immer wieder zu sich widersprechenden Urteilen.
Ernsts Verteidiger Kaplan verweist darauf, dass Ernst sich in den Jahren vor der Tat in einer "rechtspopulistischen" Blase bewegt habe, in der die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung als Volksverrat gesehen worden und Politiker wie Lübcke dafür verantwortlich gemacht worden seien. "Herr Ernst ging irrigerweise davon aus, im Allgemeininteresse zu handeln", fasst Kaplan zusammen.
Quelle: s.o.
Das überzeugt noch weniger. Ist doch die rechtsextremistische Motivation, aus der Ernst heraus handelte, keine idealistische, humane oder naive. Sondern resultiert aus einer menschenverachtenden Ideologie, die auf die Vernichtung von "Volksfeinden" wie Lübke abstellt.
Wäre das kein niedriger Beweggrund, wären hunderte rechtsextremer Mordtaten, von brennenden Flüchtlingsheimen bis hin zu den Taten des NSU aus hehren politischen Motiven erfolgt. Das ist ziemlich widerlich.
Ein Verteidiger muss Beides versuchen, muss auf diese zulässigen und juristisch vertretbaren Möglichkeiten hinweisen, wie man den Fall auch betrachten kann. Aber es sind "Mindermeinungen", wie Juristen Auffassungen zu bezeichnen pflegen, die sie rundweg ablehnen.