Kassel/Wolfhagen Regierungspräsident Dr. Walter Lübcke ermordet
16.09.2020 um 09:59Richter Sagebiel appellierte nach Verlesung der Anklageschrift an Ernst und H., Ihr Schweigen zu brechen: „Hören Sie nicht auf Ihre Verteidiger, hören Sie auf mich. Ein frühes Geständnis, wenn es denn etwas zu gestehen gibt, zahlt sich immer aus.“ Sagebiel erklärte, dass er damit seiner prozessualen Fürsorgepflicht nachkommen wolle. An Stephan Ernst gerichtet sagte er: „Sie haben einmal gesagt, dass Sie in Ihrem Leben viel falsch gemacht haben und einmal etwas richtig machen wollen. Ich sage Ihnen, machen Sie es jetzt.“Ein Appell, dass ein Geständnis besser wäre als Schweigen, quasi als Hinweis auf einen etwaigen Strafmilderungsgrund, das ist sicher noch zulässig. Das Zitat könnte man noch so positiv interpretieren.
Aber schon ein mittelbarer Hinweis darauf, dass eine Lüge dem Angeklagten zum Nachteil gereichen würde, wäre wohl ein Verstoß gegen ne bis in idem. Wenn der Vorsitzende das aber noch mit der Person des Verteidigers verknüpft, mit dessen Rat an den Angeklagten, und sich dazwischen setzt, dann wird es einfach heiß und fettig.
Rick_Blaine schrieb:und der Verurteilte kann nachher sagen, das hat mein Vertrauen in meine Verteidiger zerstört...Ja, das ist ein Problem. Und zwar ein schwerwiegendes.
Und gesteht der Angeklagte und bekommt er zwingend lebenslänglich (was hier nicht ganz unwahrscheinlich ist), dann hat ihn das Gericht sogar in die Irre geführt, indem es ihm vorgaukelte, er könne eine Strafmilderung erlangen. Beim Tatvorwurf Mord kann das Gericht keinen "Deal" (Geständnis gegen Strafmaß) anbieten. Es hat zwar für den Eröffnungsbeschluss einen hinreichenden Tatverdacht angenommen, aber das Gericht kann ja noch gar nicht sagen, was die Hauptverhandlung erbringt. Es darf nicht so tun, als halte es den Angeklagten quasi schon für überführt.
Ich habe mich immer gefragt: Was bietet das Gericht denn Stephan E. an, wenn er es "richtig macht"? Womit möchte es ihn "locken", wenn er der alleinige Täter war? Mit der besonderen Schwere der Schuld? Oder mit Totschlag? Uffff.
Ist es nicht eher so, dass ihn das Gericht aus einer für das Gericht unangenehmen Beweislage weglocken möchte: Aussage gegen Aussage, E. gegen H.?
Betrachtet man die Sache so und lässt man das erst danach genauer eruierte Gedöns mit RA Hannigs Geständnis einmal weg, dann liegt das prinzipielle Problem einer solchen Prozessführung auf der Hand. Sie wäre dann auch nicht mehr Ausübung einer prozessualen Fürsorgepflicht, sondern einer nur dem Gericht dienlichen Selbstherrlichkeit auf Kosten der Verteidungsrechte des Angeklagten.
Man muss Thomas Fischer nicht mögen. Aber seine Argumente haben einen ernsten Grund.