Wo ist Rebecca Reusch?
03.04.2019 um 23:51
Bisher habe ich hier nur mitgelesen, möchte aber für interessierte Laien als Strafverteidiger etwas Entwirrung hinsichtlich der Frage "Warum schweigt der Beschuldigte(TV)?" sorgen.
A. Schweigen im Strafprozess
Der Witz des Schweigens ist, dass der Beschuldigte dann insoweit komplett als Beweismittel gegen sich selbst ausfällt (es blieben natürlich Blut, DNA-Test etc., alles was nicht sprachlicher Bericht oder dessen Fehlen ist). Sagt der Beschuldigte irgendetwas zur Sache aus, kann nicht nur das, sondern auch alles weitere in seinem Aussageverhalten gegen ihn verwendet werden: Also wie er etwas sagt, wann er etwas sagt, was er weiter nicht sagt. Partielles (teilweises) Schweigen funktioniert also nicht.
Er wird dann vielmehr in einer Weise "gegrillt", die zwar keine Folter ist, aber den Angeklagten doch häufig die Schweißperlen auf die Stirn treibt und schlaflose Nächte bereitet. Schon eine hingestammelte, unsichere Aussage kann gegen des Beschuldigten ins Feld geführt werden. Es geht dann um die Glaubwürdigkeit des Beschuldigten als Person und die Glaubhaftigkeit seiner Aussage. "Tapferes Schweigen" schlägt "unglaubhaftes Leugnen".
Eine wahre, aber abstrus klingende Geschichte ist daher nicht unbedingt ein Vorteil, erst recht, wenn es dafür keine vorzeigbaren Beweise gibt. Hypothetisch angenommen der polnische Dealer Pawel hat dem Beschuldigten am Tattag BtM verkauft, welchen Vorteil hätte er, entsprechendes für den Beschuldigten zu bestätigen? Wird Pawel in der Hauptverhandlung vorgeladen (so man ihn mit Rechtshilfe in Polen ermitteln kann), kann er immer noch sagen, "den Herrn S. sehe ich heute zum ersten Mal!" Glaubt das Gericht die Geschichte des Beschuldigten dann nicht, kann sie strafschärfend gewertet werden - das Schweigen jedoch nicht!
Ein späteres Geständnis (das hier schon mal als taktischer Kniff ins Spiel gebracht wurde) bringt sehr wenig, ist der Täter überführt und wird das Geständnis nachgeschoben, gibt das keinen großen Rabatt.
Wir können also nur ziemlich sicher davon ausgehen, dass der Beschuldigte (1) kein wasserdicht belegbares Alibi hat, sonst würde seine Verteidigerin ihm zur Aussage raten. Ob er eine (2) plausible entlastende Geschichte für die fragliche Zeit hat, steht auf einem anderen Blatt. Indirekt können wir nur zweieinhalb weitere alternative Schlussfolgerungen ziehen: Entweder reichen die Beweise nicht aus (weil er unschuldig ist oder man ihm die Tat schlicht nicht nachweisen kann) oder der Beschuldigte ist der Täter.
B. Was lässt sich aus der Aufhebung des Haftbefehls folgern?
Dass man ihm die Tat zumindest jetzt nicht nachweisen kann, wird durch die Aufhebung des Haftbefehls nahegelegt: Der Haftbefehl wurde mangels dringenden Tatverdachts aufgehoben. Entgegen einigen Stimmen hier im Forum unterscheiden sich der dringenden Tatverdacht für die U-Haft und der hinreichende Tatverdacht für die Eröffnung der Hauptverhandlung nicht so sehr im Verdachtsgrad, als hinsichtlich des Zeitpunkts. Der dringender Tatverdacht (hohe Verurteilungswahrscheinlichkeit) bezieht sich auf das bisherige Ergebnis der Ermittlungen und ist daher vorläufig. Der hinreichende Tatverdacht ist die Einschätzung der Verurteilungswahrscheinlichkeit (überwiegend wahrscheinlich) zum Zeitpunkt des Endes der Ermittlungen. Im Grad der Wahrscheinlichkeit (hoch oder überwiegend wahrscheinlich) besteht in der Rechtspraxis kein Unterschied.
Das die Polizei und StA den Schwager dennoch für den Täter halten, liegt jedenfalls in der kriminalistischen Erfahrung (ca. 80% der Tötungsdelikte sind Beziehungstaten, wenn wir den die Statistik verzerrenden Pfleger aus Niedersachsen rausrechnen und werden von Männern zwischen 25-40 verübt) und der Ort-Zeit-Mann-Frau-Korrelation (Schwager am möglichen Tatort; junge Frau ist "begehrlicher" als ältere Schwester) - für eine gerichtliche Überzeugensbildung reicht das aber nicht. Warum sich die StA darauf versteift, Rebecca habe das Haus nicht lebend verlassen, ist für mich die spannendste Frage. Geht es allein um die Vielzitierten Routerdaten, könnte man nur Aussagen ob und ggf. wann das Handy das Haus verlassen hat. Rebecca ist aus dem Haus, aber warum soll sie zwingend dort gestorben sein?
Bei stichhaltigen Beweisen für den Tod Rebeccas im Haus säße der Schwager immer noch in U-Haft, weil sich die Korrelationen dann zu einem ausreichend starken Verdacht verdichten würden. Offenbar überzeugt das Gericht die Einschätzung der StA vom Tod im Haus auch nicht.
C. Worüber noch Spekulieren?
Dazu nun meine rein spekulativen Fragen: Ist der Schwager Rebecca körperlich so überlegen, dass er sie ohne Verluste und nennenswerte Kampfspuren angreifen und töten kann? Als Tötungshandlung käme stumpfe Gewalt ohne Werkzeuge oder Erwürgen (Kabel) oder Ersticken (Lappen, Kissen, Decke(!)) in Betracht. Rebecca wirkt relativ fit und sportlich. Ein konfrontativer Angriff ohne Hilfsmittel und eigene Verluste (Schläge, Erwürgen mit den Händen) ist daher unwahrscheinlich (wo sind die Kratz- und Bissspuren? Fremde DNA irgendwo unter den Fingernägeln des Beschuldigten?). Gleiches gilt eigentlich auch für den Einsatz eines Kabels oder der berüchtigten Decke. Ein Glückstreffer mit einem ersten Faustschlag (K.O.) und nachträgliches Erdrosseln könnte sein, ist aber ebenfalls unwahrscheinlich. Am wahrscheinlichsten ist daher nach uns bekannten Tatsachen, dass Rebecca nicht im Haus gestorben ist, sondern das Haus eigenständig (freiwillig oder genötigt) verließ. Wenn sie tot ist, ist sie außerhalb des Hauses exekutiert worden bzw. hat Selbstmord begangen (ohne Abschiedsbrief unwahrscheinlich, dennoch ist Suizid ca. 9000 Fälle im Jahr statistisch gesehen 30 mal wahrscheinlicher als Mord ca. 300 Fälle im Jahr; für die Alterskohorte 14-16 sind das zwar sehr viel weniger Suizide, doch nur bei Mädchen zwischen 14-16 überwiegt die Suizidrate (inkl. Versuche) die der als Erwachsene "führenden" Jungen; da die Leiche aber nicht an einem Baum hängend gefunden wurde, ist Suizid sehr unwahrscheinlich).
D. Zurück zum Start: Wo ist Rebecca?
Für mich stellt sich daher nicht nur die Frage, wo ein guter Ort wäre eine Leiche zu verstecken, sondern auch, eine Person so zu töten, dass sie selbst möglichst spät Verdacht schöpft bzw. beim ersten Fehlschlag schlecht flüchten kann. Möglicher Ablauf: "Wir müssen mal in Ruhe reden, komm wir fahren raus nach X." Damit kommen neben Seen insbesondere Steinbrüche, Kiesgruben, Abbruchhäuser (lost places, für jugendliche spannende Orte) etc. in Frage, die es in Brandenburg und Polen zu Hauf gibt. Täter könnte dann natürlich auch irgendjemand anders sein, mit dem Rebecca hätte reden wollen (mit dem Beschuldigten wäre das ja auch im Haus ungestört möglich gewesen). Diese Person könnte dann durchaus auch Kampfspuren tragen.