Lichtenberg schrieb:Es ist nicht "meine" Hemmschwellentheorie. Darüber hinaus interessiert mich, warum eine Einsichtsfähigkeit zwingende Vorassetzung für die Annahme einer Hemmschwelle bei Tötungsdelikten sei. Kannst Du das erläutern?
Ja, kann ich.
Die Frage, die man primär beantworten sollte ist, was will ich als Anwalt erreichen? Das geringste Übel für meinen Angeklagten!
Im Fall einer Schuldunfähigkeit kann die Angeklagte im besten Fall FREIGESPROCHEN wären, weil nicht schuldfähig für die Tat. Würde zwar in der Forensik landen, aber hätte gute Chancen bei guter Therapierparkeit bald ganz auf freien Füssen zu stehen.
Im Fall deiner Hemmschwellentheorie geht es doch genau darum, dass KEINE Schuldunfähigkeit vorliegt und TROTZDEM versucht werden soll, vom Tötungsvorsatz wegzukommen, also nur einen bedingten Vorsatz zu erreichen, und damit ein GERINGERES Strafmass.
Im direkten Vergleich „Freispruch“ versus „geringeres Strafmass“ würde man als Verteidigung wohl was am ehesten wählen (wenn es gutachterlich durchgeht)?
Aber ungeachtet dessen, hat auch der BGH deine Hemmschwellentheorie bereits geknickt:
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist das Vertrauen auf ein Ausbleiben des tödlichen Erfolgs regelmäßig dann zu verneinen, wenn der vorgestellte Ablauf des Geschehens einem tödlichen Ausgang so nahe kommt, dass nur noch ein glücklicher Zufall diesen verhindern kann.
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Im Verständnis des Bundesgerichtshofs erschöpft sich die „Hemmschwellentheorie“ somit in einem Hinweis auf § 261 StPO15. Der Bundesgerichtshof hat demgemäß immer wieder hervorgehoben, dass durch sie die Wertung der hohen und offensichtlichen Lebensgefährlichkeit von Gewalthandlungen als ein gewichtiges auf Tötungsvorsatz hinweisendes Beweisanzeichen in der praktischen Rechtsanwendung nicht in Frage gestellt oder auch nur relativiert werden solle, auch nicht bei Taten zum Nachteil des eigenen Kindes. Zur Verneinung des voluntativen Vorsatzelements bedarf es vielmehr in jedem Einzelfall tragfähiger Anhaltspunkte dafür, dass der Täter ernsthaft darauf vertraut haben könnte, der Geschädigte werde nicht zu Tode kommen
https://www.rechtslupe.de/strafrecht/hemmschwellentheorie-340630Nochmal: wie sollte man auf Grundlage obiger BGH-Überlegungen denn anwaltlich argumentieren, wenn nicht nur todesursächlich ein Erwürgen erwiesen ist, sondern auch das Kind nach dem Tötungsakt in die volle Badewanne gelegt wurde?
Sollte der Angeklagten der Todeseintritt nicht bewusst gewesen sein, warum legt sie das Kind dann noch in die volle Wanne? Was soll ein lebloser Körper denn anderes, als untergehen und damit das sichere Todesurteil besiegeln?
Quelle: zum 100x
http://www.landgericht-heilbronn.de/pb/,Lde/5326147/?LISTPAGE=1185192