2r2n schrieb:Ich habe das Gutachten schon 2009 als unzureichend und einseitig kritisiert, wurde aber nicht gehört, weil ich als Nebenkläger auf der falschen Seite saß.
Das hätte gerade im Strafprozess eigentlich keine Rolle spielen dürfen. Hier geht es - im Gegensatz zum Zivilprozess - nicht nur um den Vortrag der Parteien sondern um die Wahrheitsfindung. Da von Gesetz her die Wahrheit gefunden werden soll, muss der Richter auch von Amts wegen Beweise erheben, die u.U. von keiner der Seiten vorgetragen werden, wenn sie der Wahrheitssuche dienlich sind.
Bisher hat der BGH mit dieser Pflicht immer erreicht, dass in den meisten Fällen das Beweisverwertungsverbot nicht zum Tragen kam, weil das dieser gesetzlichen Verpflichtung zuwider laufen würde.
Bei dem Gericht damals, ist es daher überhaupt nicht zu verstehen, dass er auf solche mit dem Gesetz nicht zu vereinbarenden Punkte beharrte. Auch die pauschale Behauptung, dass das Gutachten so üblich sein, passt eigentlich in diese Richtung.
Auch der Urteilausschnitt, den
@robernd vor ein paar Seiten zitiert hatte, passt dazu:
Nach den Ausführungen der Sachverständigen Dr. xxx verfügt das fragliche Tonbandgerät TK248 über separate Tonköpfe für die Aufnahme und die Wiedergabe. Eine Untersuchung des Schraubensicherungslacks, der den Zweck hat, dass sich die Schrauben nicht von selbst verstellen, habe lediglich ergeben, dass die Befestigungsschraube des Wiedergabekopfes über mehrere Lackschichten verfügte. Daraus könne der Schluss gezogen werden, dass ganz sicher irgendwann einmal an der Befestigungsschraube des Wiedergabekopfes herumgeschraubt worden ist, Der Wiedergabekopf habe aber keinerlei Relevanz für ihre gutachterliche Äußerung, die sich auf den Aufnahmekopf beziehe.
Ich glaube, dass sich diese Urteilspassage auf folgenden Prozessteil bezieht, von dem im folgenden Artikel geschrieben wird:
Auch Nebenkläger Michael Herrmann, der Bruder des Opfers, befragte Dagmar Boss. So sei es für ihn erstaunlich, dass der Aufnahmekopf des Gerätes, das man bei Werner M. fand, nie rejustiert werden musste. Die Schrägstellung des Aufnahmekopfes war ein zentrales Indiz im Gutachten gewesen. Boss erklärte, dass ein pfleglich behandeltes Gerät durchaus ohne Reparaturen auskommt.[Oder nie wieder verwendet wurde? Anm EK] Auch die Frage nach der möglicherweise verfälschenden Positionierung des Aufnahmegerätes bei der Versuchsanordnung der Ermittler entkräftete die Gutachterin. Die für das Tonbandgerät charakteristischen Normabweichungen seien in einem sehr breiten Positions-Spektrum nachgewiesen worden.
https://www.abendzeitung-muenchen.de/inhalt.bayern-ursula-herrmann-die-schlinge-zieht-sich-zu.2cd454b7-abb1-4b79-9d37-b17b538f14a9.htmlMan sieht hier, Boss hat einzig und allein die Frage von
@2r2n beantwortet, was nur die Sache mit der Stellung des Aufnahmekopfes betraf. Dass der Wiedergabekopf auf die ganze Kette aber den gleichen Einfluss besitzt, hat sie nicht gewusst oder verschwiegen. Diese Nichtberücksichtigung ist auf jeden Fall zumindest fahrlässig, denn schon aus den Justiervorschriften der Serviceanleitung dieses Geräts und auch die allgemeinen Vorgehensweise bei der Justierung der Tonköpfe ist die Bedeutung des Lackes am Wiedergabekopf, der eine Nachjustierung beweist, eigentlich offensichtlich.
Die allgemeine Vorgehensweise der Justierung ist die, dass zuerst der Wiedergabekopf mit Hilfe eines Referenztonbandes möglichst auf eine senkrechte Position des Kopfspaltes eingestellt wird. Erst danach wird der Aufnahmekopf justiert, dabei nimmt man den Wiedergabekopf als Sensor für die Senkrechtstellung des Aufnahmekopfes. Durch diese Justierungsart würde sich eine fehlerhafte Einstellung des Wiedergabekopfes in der gleichen Weise auf eine Fehlstellung des Aufnahmekopfes übertragen, beide Fehler würden sich bei *Eigenaufnahmen* gegenseitig kompensieren.
Man kann daher mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass zum Zeitpunkt des Kaufes die beiden Köpfe parallel standen und der von der Gutachterin beobachtete Effekt damals nicht vorhanden war. Das zeigt die Abgleichvorschriften in Kombination mit dem späteren Reparaturversuch. Ich kann auch überhaupt nicht verstehen, dass die Gutachterin dem Gericht diesen Satz mit dem "pfleglich behandelten Gerät" aufgetischt hat. Ein Reparaturversuch hat nachweislich stattgefunden, das zeigen die verschiedenen Lackschichten auf dem Wiedergabekopf. Ich hatte mich hier im Forum schon vor vielen Seiten über diese Aussage von Boss gewundert, weil hier ein Allgemeinplatz versucht wurde, der für ein spezielles Gerät keinerlei Aussagekraft besitzt und hatte damals nach den Lackschichten gefragt. Und jetzt muss ich lesen, dass ein Reparaturversuch ausgerechnet an dieser alles entscheidenden Stelle erfolgt ist. Für ein solches Gebaren der Gutachterin habe ich jedenfalls keinerlei Verständnis und das regt mich nur auf, da es hier um den Freiheitsentzug eines Menschen geht.
Normalerweise merkt man bei normaler Benutzung einen solchen Dejustierfehler auch nicht, wenn beide Köpfe in der gleichen Weise verstellt sind, was durch die Justiervorschrift bedingt ist. Ein leichter Höhenabfall wird man in den höchsten Höhen schon haben, aber das dürfte man kaum registrieren und würde man nur bei einem direkten Vergleich erkennen. Ob man dazu überhaupt das geeignete Tonmaterial damals hatte (bei analogem Rundfunk wird alles ab ca. 15 kHz abgeschnitten) oder überhaupt noch aus Altersgründen in der Lage dazu war, ist stark zu bezweifeln.
Fest steht jedenfalls, irgendwann ist diese Fehlstellung erkannt worden. Das dürfte zu einem Zeitpunkt gewesen sein, wo der Besitzer von einem anderen Tonbandgerät aufgenommene Bänder auf diesem Gerät abspielen wollt und dabei ein starker Höhenabfall registriert hatte. Ich könnte mir da einen Besitzerwechsel vorstellen.
Interessant ist aber, dass nur die Fehlstellung des Wiedergabekopfes entsprechend korrigiert wurde. Man muss daher davon ausgehen, dass das Gerät nach dem Reparaturversuch zur Aufnahme nicht mehr verwendet wurde. Man kann daraus schließen, dass dieser Reparaturversuch erst zu einem recht späten Zeitpunkt erfolgte (vielleicht als man alte unwiederbringliche Aufnahmen zwecks Archivierung und leichterer Zugänglichkeit digitalisierte, was dann deutlich nach 1990 anzusetzen wäre). Den Zeitpunkt hätte man vielleicht durch eine Analyse der Lackschichten eingrenzen können, falls hier ein besonderer Lack genutzt wurde, den es vor 1981 in dieser Form evtl. noch nicht gab.