nephilimfield schrieb:Verstehe. Wenn ich das Urteil des BVerfG richtig gelesen habe, dann bezog es sich darauf, dass in diesem Fall die Einzelfallprognose unzureichend war. Die Anwälte des aktuell Tatverdächtigen begründen ihren Einwand aber damit, dass die Anordnung zur Körperzellentnahme nicht als Folge einer "erheblichen Straftat" getroffen worden sei. Aber ich denke doch, dass gefährliche Körperverletzung und Nötigung erhebliche Straftaten sind.
Auch dazu hat das Bundesverfassungsgericht sich gäussert:
Straftaten von erheblicher Bedeutung sind insbesondere Verbrechen sowie schwerwiegende Vergehen,für die allgemein folgende drei Kriterien herangezogen werden:- die Tat muß mindestens dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen sein *,- sie muß den Rechtsfrieden empfindlich stören und- dazu geeignet sein, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen. Maßgebend ist nicht eine abstrakte, sondern eine konkrete Betrachtung nach Art und Schwere der Tat im Einzelfall.
BVerfGE 103, 21 [34]; 107, 299 [322]
Auch hier ist also wieder im Einzelfall zu entscheiden.
grizzlyhai schrieb:@Rick_Blaine danke für die Ausführungen. Wenn man vielleicht mal selber in diese Situation kommt (angeklagt zu werden), was ich natürlich nicht hoffe, denkt man höchstwahrscheinlich anders darüber.
So ist es.
Mauritz schrieb:Danke für Deinen Kommentar. Ich finde es sehr bereichernd das Du bei allmystery mitschreibst.
Jetzt habe ich es auch endlich vollumfänglich verstanden und könnte solche Urteile eher akzeptieren.
Vielen Dank
:)ThoFra schrieb:Und wenn der Verteidiger diese Möglichkeit nicht wahrnähme, würden ihm dann negative Konsequenzen drohen?
Dann passiert zweierlei: Nach der Rechtsprechung des BGH und auch des EGMR liegt ein Revisionsgrund vor, d.h. das eventuell ergangene Urteil gegen den Angeklagten müsste aufgehoben werden, wenn der Anwalt nicht einmal den Mindeststandard einer Verteidigung geboten hat. Ein absichtliches Ignorieren der Möglichkeit, wegen eines Verfahrensfehlers der Anklage eventuell die Einstellung des Verfahrens oder gar einen Freispruch zu erreichen, würde sicherlich nicht mehr dem Mindeststandard einer Verteidigung entsprechen.
Andererseits kann der Rechtsanwalt hier standesrechtlich Ungemach erwarten. In einem ganz extremen Fall könnte sich der Rechtsanwalt gar des Parteiverrats schuldig machen, das ist eine Straftat.