Leonberger schrieb:Das weiß ich nicht. Es ist nur eine Spekulation. Aber: Anwälte sind erfinderisch, wenn es ums Geld geht, und traumatisierte Angehörige neigen dazu i.R. der Verarbeitung des Traumas einen "Schuldigen" zu suchen. Auch hier könnten die User, die juristisch bewandert sind, helfen. Ist es denkbar, dem Vater vorzuwerfen, dass er hätte erkennen müssen, dass sein Sohn krankheitsbedingt fluguntauglich ist? Würde sich dann daraus ein Vowurf der "unterlassenen Hilfeleistung" ableiten lassen? Oder ist das völlig abwegig?
@Leonberger Zunächst noch zu Deiner Frage zum Begriff des Unfalls. Hier kommt es ganz auf die Sichtweise an, aus der das Vorkommnis betrachtet wird:
Schauen wir uns das aus der Sicht des Täters an, handelt es sich hier natürlich nicht um einen Unfall. Lubitz hat ein schweres Verbrechen begangen, zigfachen Mord, gefährlichen Eingriff in den Luftverkehr und so weiter. Insofern passt der Begriff Unfall hier nicht, um dieses Geschehen zu definieren: er hat bewusst und willentlich gehandelt und hat das Ergebnis seines Handelns vorhergesehen und gewollt. Davon darf man bei der gegebenen Sachlage ausgehen.
Ob ein Gericht seine Schuldfähigkeit bestätigt, oder eingeschränkt bestätigt hätte, ist wieder ein anderes juristisches Thema, wobei ich bei Kenntnis nur der uns vorliegenden Informationen davon ausgehe, er wäre nicht für schuldunfähig befunden worden. Da er tot ist, ist diese Fragestellung aber nicht mehr relevant.
Unterm Strich bleibt: er ist allem Anschein nach ein Mörder und sicher nicht ein bemitleidenswertes Opfer eines Unfalls.
Ein wenig anders ist die Sache, wenn man versicherungsrechtlich aus der Sicht des Opfers auf die Sache schaut. Im deutschen Versicherungsrecht wird Unfall so definiert:
Ein Unfall ist ein plötzliches, zeitlich und örtlich bestimmbares und von außen einwirkendes Ereignis, bei dem eine natürliche Person unfreiwillig einen Körperschaden erleidet oder eine Sache unbeabsichtigt beschädigt wird
GDV Musterbedingungen zur Unfallversicherung
https://beck-online.beck.de/?vpath=bibdata/komm/GrimmKoAUB_4/ges/AUB/cont/GrimmKoAUB.AUB.htmAus der Sicht der Opfer hier trifft das alles zu. Daher können sie Anspruch auf Versicherungsleistungen haben, wenn die Versicherung nicht in ihrem Vertrag diese allgemeine Definition eingeschränkt hat, z.B. in dem sie vorsätzliches, rechtswidriges Verhalten als Unfallursache von der Leistung ausschliesst. Das ist aber eher selten der Fall, da ein Mensch eine Unfallversicherung deswegen abschliesst, um gegen jede Art von unerwartetem, unverschuldetem Schaden versichert zu sein und keine Lust hat, dann wieder vor Gericht über die Ursache zu streiten.
Abschliessend zu diesem Thema: Wie man das Geschehen nun umgangsprachlich benennen will, ist jedem selbst überlassen. Ich würde es jedenfalls nicht als Unfall bezeichnen, eher als Massenmord.
Nun zum Thema Haftung anderer Personen:
Das deutsche und auch das internationale Haftungsrecht kennen bei Flugzeugabstürzen vielfältige Variationen und vor allem Einschränkungen der Haftungsfrage. Das soll hier nicht Thema sein.
Grundsätzlich haftet man für Verhalten, das anderem einen Schaden zugefügt hat. Das ist relativ einfach bei vorsätzlichem, rechtswidrigen Verhalten. Es ist klar, dass Lubitz haften müsste.
Bei nicht vorsätzlichem, also fahrlässigem Verhalten wird die Sache schon komplizierter. In der Regel gibt es zwei Voraussetzungen: der Eintritt des Schadensereignisses muss demjenigen, der haften soll, irgendwie vorhersehbar gewesen sein und er muss eine gewisse Beziehung zum Geschädigten aufweisen.
Und da wird die Frage der Haftung der Eltern schon kompliziert: Ich mache das mal an einem Beispiel deutlich:
a) Ich gehe die Leopoldstrasse entlang und sehe, dass in einem Haus auf dem Balkon im 7. Stock ein grosser Blumentopf halb über der Balkonbrüstung steht, genau über dem Bürgersteig. Ich denke mir noch: na, das ist ja eine wacklige Angelegenheit, und gehe weiter.
Am nächsten Tag lese ich in der Zeitung, dass nur 10 Minuten nach mir, die 80 jährige Frau Gmeinwisser ebenfalls auf diesem Bürgersteig entlang gegangen ist, und leider in diesem Moment ein leichter Windstoss den Blumentopf endgültig über die Brüstung beförderte, so dass er genau auf ihrem Kopf landete. Sie liegt nun im Spital.
Hafte ich, weil ich nichts unternommen habe, obwohl ich die Möglichkeit eines solchen Schadens gesehen habe? Nein. Warum nicht? Es ist nicht mein Blumentopf, nicht mein Haus, und ich kenne Frau Gmeinwisser nicht. Ich habe keine Beziehung zu ihr, keine Garantenstellung.
Das wäre anders, wenn ich z.B. der Hausmeister dieses Hauses gewesen wäre. Oder der Besitzer des Blumentopfs. Die mögen Frau Gmeinwisser zwar nicht kennen, aber sie haben eine Verpflichtung allen gegenüber, die sich unter ihrem Balkon so bewegen - wenn sie, wie ich, vorhersehen konnten, dass da was passieren kann.
Die Lufthansa hat hier nach internationalem Recht sogar eine noch strengere Haftpflicht, denn als "common carrier" unterliegt sie Bedingungen, die zum Teil sogar die Voraussicht als Bedingung der Haftung ausser Acht lassen.
So, schauen wir uns also nun die Eltern des Piloten an, dann sehen wir ein paar Dinge:
1. Konnten sie voraussehen, dass sich ihr Sohn zu einem Massenmörder entwickeln wird? Hier schon ist vermutlich zu sagen: nein. Wie konkret sich eine Gefahr darstellen muss, bevor ein Dritter hier eventuell haftbar gemacht werden kann, ist auch wieder Sache einer Interpretation durch ein Gericht. Auch hier ein Beispiel:
Alois hat im besoffenen Zustand die Zenzi auf dem Weg vom Wirtshaus nach Hause umgefahren. Die Frage ist nun: hätten seine Eltern das voraussehen können? Sie wussten, Alois geht am WE gerne ins Wirtshaus. Sie wissen auch, dass einige Leute, wie die Zenzi, spät abends noch in der Stadt zu Fuss unterwegs sind. Sie wissen weiterhin, dass Alois mit seinem Auto fährt. Aber sie wissen nicht, ob und wie er sich betrinkt, sie wissen nicht ob er, wenn er sich betrinkt, das Auto üblicherweise stehen lässt und mit dem Taxi heimkommt, sie wissen nichts, was die Einzelheiten seiner Wirtshausbesuche angeht.
Nur von der Tatsache, dass ihr Sohn am WE ins Wirtshaus geht und dort auch mal was trinkt, kann man den Eltern kein schuldhaftes Verhalten unterstellen, dass sie den Unfall mit Zenzi hätten voraussehen müssen.
Ob sie eine Garantenstellung gegenüber Zenzi hatten ist eh noch ein anderes Thema.
2. Hier also auch: die Eltern des Piloten sollen von der merkwürdigen Gemütslage ihres Sohnes gewusst haben. Aber sind ihre Kenntnisse ausreichend, um vorhersagen zu können, dass er eine solche Gefahr darstellt? Das ist vermutlich hier ebenfalls zu verneinen.
Eine andere Sache ist, wie weit die Lufthansa, die ja auf ärztliche Untersuchungen usw. zurückgreifen konnte, hier ein gefährliches Verhalten des Piloten voraussehen konnte. Das wird Gegenstand von Gerichtsverfahren werden.
Die Eltern trifft zumindest juristisch, soweit ich das mit den vorhandenen Informationen beurteilen kann, keine Schuld.