Nemon schrieb:Was die Berechnungen angeht, wird ihm wohl keiner etwas vormachen können.
Hatte ich ja von Anfang an gesagt. Das wird schon hinkommen, daß so ein heftiger Wind sowas unter solchen topographischen Geländebedingungen hinbekommen wird. Was freilich irgendwelche Berechnungen der Machbarkeit, eine solche trockengefallene Passage zu durchwandern (mit Gegenwind, im Schlick, mit Sand in den Augen, ohne Weg-Ahnung, mit Gepäck, Kind und Kegel), betrifft, so bemängele ich es, daß er hierzu Null geliefert hat. Was ich im PLOS-ONE-Artikel gefunden habe, ist geradezu ein Witz:
The passage is 5 km wide, and it remains open for 4 hours under 28 m/s wind forcing. The crossing remains open for 7.4 hours under 33 m/s winds, but these stronger winds may render walking too difficult for a mixed group of people.
Er rechnet also tatsächlich damit, daß da eine "mixed group of people" die 5 km lange Passage unter kontinuierlichem Gegenwind der Geschwindigkeit von 100,8 kmh absolviert hat. Nach 4 Stunden hätte das nachkommende Nilwasser sich nicht mehr aufhalten lassen und die Passage dann doch wieder überflutet. Oder nach 7 Stunden 24 Minuten bei 118,8 kmh Gegenwind. "Immerhin" räumt er dann ein, daß bft 12 frontal in die Fresse geblasen für Wanderer dann doch "too difficult" wären, jedenfalls wenn die Gruppe "mixed" ist. Gehts noch? Bei 28 m/s muß man schon kämpfen, um überhaupt stehen bleiben zu können, und da will der ne "mixed group" fünf Kilometer weit nach Luv laufen lassen? In vier Stunden? Der Hammond oben im Vid, als der voll im Wind stand, konnte er nur stehen, solang er beide Beine auf dem Boden hatte. Als er dann einen Fuß hob, wurde er prompt fortgeschoben (anschließend lief er, aber einen, zwei Meter weiter im windgeschützteren Bereich)
Nemon schrieb:Aber der ganze Rest und wie sich das in den Bibel-Kontext fügt, ich weiß es nicht. Das ist dein Metier.
Ich zeig mal die beiden separaten Erzählungen vom eigentlichen Meerwunder aus 2.Mose14 (also ohne die Vorgeschichte mit dem Geplänkel der Verhandlungen mit dem Pharao und dem eigentlichen Auszug):
1 Und der HERR redete zu Mose und sprach:
2 Befiehl den Söhnen Israel, sich zu wenden und vor Pi-Hachirot zu lagern, zwischen Migdol und dem Meer. Vor Baal-Zefon, diesem gegenüber, sollt ihr euch am Meer lagern!
3 Der Pharao aber wird von den Söhnen Israel denken: Sie irren ziellos im Land umher, die Wüste hat sie eingeschlossen.
4 Dann will ich das Herz des Pharao verstocken, so dass er ihnen nachjagt. Darauf will ich mich am Pharao und an seiner ganzen Heeresmacht verherrlichen, und die Ägypter sollen erkennen, dass ich der HERR bin. Und sie machten es so.
8 Und der HERR verstockte das Herz des Pharao, des Königs von Ägypten, so dass er den Söhnen Israel nachjagte […]
9 So jagten ihnen denn die Ägypter nach, alle Pferde und Streitwagen des Pharao, auch seine Reiter und seine Heeresmacht, und erreichten sie, als sie sich am Meer gelagert hatten, bei Pi-Hachirot, vor Baal-Zefon.
10 Als nun der Pharao sich näherte, erhoben die Söhne Israel ihre Augen, und siehe, die Ägypter zogen hinter ihnen her. Da fürchteten sich die Söhne Israel sehr und schrieen zum HERRN.
15 Und der HERR sprach zu Mose: […] Befiehl den Söhnen Israel, dass sie aufbrechen!
16 Du aber […] strecke deine Hand über das Meer aus und spalte es, damit die Söhne Israel auf trockenem Land mitten in das Meer hineingehen!
17 Ich jedoch, siehe, ich will das Herz der Ägypter verstocken, so dass sie hinter ihnen herkommen. Und ich will mich verherrlichen am Pharao und an seiner ganzen Heeresmacht, an seinen Streitwagen und Reitern.
18 Dann sollen die Ägypter erkennen, dass ich der HERR bin, wenn ich mich am Pharao, an seinen Wagen und Männern verherrlicht habe.
21 Und Mose streckte seine Hand über das Meer aus […] und die Wasser teilten sich.
22 Dann gingen die Söhne Israel auf trockenem Land mitten in das Meer hinein, und die Wasser waren ihnen eine Mauer zur Rechten und zur Linken.
23 Die Ägypter aber jagten ihnen nach und kamen hinter ihnen her, alle Pferde des Pharao, seine Streitwagen und Reiter, mitten ins Meer hinein.
26 Der HERR aber sprach zu Mose: Strecke deine Hand über das Meer aus, damit die Wasser auf die Ägypter, auf ihre Wagen und über ihre Reiter zurückkehren!
27 Da streckte Mose seine Hand über das Meer aus […]
28 So kehrten die Wasser zurück und bedeckten die Wagen und Reiter der ganzen Heeresmacht des Pharao, die ihnen ins Meer nachgekommen waren; es blieb auch nicht einer von ihnen übrig.
29 Die Söhne Israel aber waren auf trockenem Land mitten durch das Meer gegangen, und die Wasser waren ihnen eine Mauer zur Rechten und zur Linken gewesen.
Das ist die eine Story, und nu die andere:
5 Als nun dem König von Ägypten berichtet wurde, dass das Volk geflohen sei, wandte sich das Herz des Pharao und seiner Hofbeamten gegen das Volk, und sie sagten: Was haben wir da getan, dass wir Israel aus unserem Dienst haben ziehen lassen!
6 So liess er denn seine Streitwagen anspannen und nahm sein Kriegsvolk mit sich.
7 Er nahm sechshundert auserlesene Streitwagen und alle [übrigen] Streitwagen Ägyptens und Wagenkämpfer auf ihnen allen.
19 […] und die Wolkensäule vor ihnen brach auf und stellte sich hinter sie.
20 So kam sie zwischen das Heer der Ägypter und das Heer Israels, und sie wurde [dort] Gewölk und Finsternis und erleuchtete [hier] die Nacht, so kam jenes [Heer] diesem die ganze Nacht nicht näher.
21 […] und der HERR liess das Meer die ganze Nacht durch einen starken Ostwind zurückweichen und machte [so] das Meer zum trockenen Land […]
24 Und es geschah: In [der Zeit] der Morgenwache, da schaute der HERR in der Feuer- und Wolkensäule auf das Heer der Ägypter herab und brachte das Heer der Ägypter in Verwirrung.
25 […] Da sagten die Ägypter: Lasst uns vor Israel fliehen, denn der HERR kämpft für sie gegen die Ägypter!
27 […] und das Meer kehrte beim Anbruch des Morgens zu seiner Strömung zurück. Und die Ägypter flohen ihm entgegen. […]
30 [...] und Israel sah die Ägypter tot am Ufer des Meeres [liegen].
Die erste Version ist die sogenannte priesterschriftliche, die zweite nannte man früher die jahwistische (is aber 'n bisserl komplizierter). Einige Passagen des Kapitels fehlen hier, das sind hauptsächlich jüngere Zusätze.
Man kann deutlich erkennen, daß die selbe Situation geschildert wird: das Meerwunder beim Auszug Israels aus Ägypten, als die das Volk verfolgenden Ägypter umkamen. Aber dennoch sind es deutlich zwei verschiedene Versionen. Und die sind nicht willkürlich voneinander getrennt, sondern sprachliche Merkmale zeigen an, daß hier "verschiedene Erzähler" vorliegen. So gibt es markante Vokabeln oder Wendungen, die nur bei der einen Version vorkommen, nie bei der anderen. So wird das Volk Gottes im ersten Bereicht nur "Söhne Israels" genannt, nie anders, und im zweiten Bericht nie "Söhne Gottes", dafür "Israel", "Heer Israels" oder am häufigsten "Volk". Das ägyptische Heer wird nur im ersten Bericht "Heeresmacht" genannt und nur im zweiten "Heer der Ägypter" oder "Kriegsvolk". Nur im ersten werden "Pferd" und "Reiter" erwähnt (Ägypten kannte gar keine Kavallerie), nur im zweiten "Wagenkämpfer". Wie auch sonst in typisch priesterschriftlichen Texten wird das "Sich-Lagern" der Israeliten erwähnt, im zweiten Bericht kommt das nicht vor. Auch das "Nachjagen" der Ägypter findet sich nur hier. Nur im zweite Bericht findet sich dagegen das Verb "Fliehen", sei es, daß die Israeliten geflohen seien, sei es, daß die Ägypter dem Meer entgegen flohen. Daß der Pharao sein Herz verhärtet (oder verhärtet bekommt) findet sich in beiden Stories, doch nur in der Ersten mit dem Verb "verstocken", und nur im zweiten mit dem Verb "wenden", und je ausschließlich mit diesem Verb. Passend zu Priestern als Autoren der ersten Story finden sich nur im ersten Bericht theologisch aufgeladene Wendungen bzw. Details. So taucht Mose nur hier auf, und zwar als Vermittler und als Werkzeug Gottes. Und nur hier sagt Gott (mehrmals), er wolle sich (gegen den Ägyptern mit seinem Handeln) verherrlichen, und nur hier kommt die typische Formel "sie sollen erkennen, daß ich der HERR bin" (mehrmals) vor.
Selbst so eine unbedeutend scheinende Vokabel wie "mitten" findet sich nur in der ersten Version.
Na wie auch immer, es sind zwei Versionen des selben Ereignisses, einmal die Teilung der Wasser durch das Heben der Hand des Mose (nach Auftrag), wodurch ein Weg "mitten" durchs Meer führt, auf dem Israel geht, und auf dem die nachjagenden Ägypter umkommen. Und zum anderen der Ostwind, der das Meer zurückweichen läßt, dann die Ägypter, die ins nun trockene Meer hinein fliehen und vom rückkehrenden Meer getötet werden. Wohingegen die Israeliten während der ganzen Geschichte ihre Position nicht verändert haben.
Die Erkenntnis dieser zwei Versionen ist wirklich nicht neu, sie setzte sich in der theologischen Forschung schon Ende des 19.Jh. durch (ok, die Katholiken brauchten ein bisserl länger, um mit der historisch-kritischen Forschung warmzuwerden). Daß das nicht jeder kennt, ist man klar. Aber wer sich mit Fragen zur Historizität der Meerwunder-Story befaßt, gar wissenschaftlich, der sollte nun mal wirklich den Finger ausm Ar*** kriegen und über diese Quellenscheidung stolpern. Und es ist ja nun auch nicht besonders schwer, diese beiden separaten Erzählstränge im Bibeltext zu erkennen und zu trennen, sowie zu erkennen, daß beide für sich ne praktisch vollständige Erzählung der Ereignisse sind und keine künstlich zerhackte, unvollständige Fragmente mit großen Löchern. Selbst sprachliche Eigenheiten jeder Einzelstory lassen sich finden. Und ich hoffe, ich hab es deutlich gemacht, daß selbst ein theologischer Laie ohne großes Expertenwissen erkennen kann, ob da was dran ist.
Nemon schrieb:Der Fall liegt aber schon ein bisschen anders, ist konkreter, als bspw. eine Sintflut, oder?
Weiß jetzt nicht wirklich, was Du meinst. Ich weiß immerhin, daß auch die Sintflutstory zusammengesetzt ist aus ner priesterschriftlichen und ner sog. "jahwistischen" Version. Diese beiden lassen sich sogar noch einfacher voneinander trennen, und da gibt es auch deutlich mehr sprachliche Merkmale, die je nur einer Version eigen sind und in der anderen fehlen. Die Quellenscheidung ist also dort "konkreter".