Nemon schrieb:Man darf aber schon sagen: die Location Rotes Meer ist nicht in Stein gemeißelt, quasi?
Streng genommen wissen wir nur, daß der Golf von Akaba jam ßuf hieß. Und daß in der Meerwunder-Erzählung dieser Golf
nicht gemeint gewesen sein kann. Damit ist tatsächlich nichts in Stein gemeißelt.
Das Gewässer aus der biblischen Meerwunder-Erzählung muß irgendwo östlich von der "Ramses-Stadt" gelegen haben, in der Nähe der sog. Fürstenmauer, also der Befestigung der östlichen Grenze Ägyptens zur Sinaihalbinsel hin, die vom Mittelmeer bis zum Golf von Sues verlief. Als große Gewässer kommen da in Frage:
* das Mittelmeer respektive eine Bucht hiervon, wahrscheinlich der Sirbonische See mit seiner Nehrung, welche ihn vom Mittelmeer abtrennt;
* einer der Bitterseen im Südbereich der Landenge zwischen Ägypten und Sinaihalbinsel, von denen der Ballah-See mit N-S max. 24 km und O-W max. 13 km und insgesamt knapp 200 km² Fläche der größte ist;
* der Golf von Sues an seinem Nordende.
Wie gesagt, das Meerwunder wird in zwei Versionen erzählt. Die Version von dem trockenen Weg zwischen zwei Wassermauern paßt zu einem tiefen Gewässer, also zum Golf von Sues, nicht aber zu den Bitterseen oder dem Sirbonischen See. Die Version von der Verlandung eines Gewässers durch einen Ostwind paßt zum Sirbonischen See, nicht aber zum Golf von Sues und nur arg bedingt zu den Bitterseen. Wie es aussieht, hatten also beide Meerwunder-Erzählungen je ein anderes Gewässer vor Augen, mal ein tiefes Gewässer, mal ein flaches mit Abflußmöglichkeit.
Und auch dies wie gesagt: nur für den Golf von Elat ist die Bezeichnung als "Schilfmeer" belegt. Daß damit nicht nur dieser Golf, sondern das gesamte Rote Meer bezeichnet wurde, und zwar einschließlich des anderen Golfes westlich der Sinaihalbinsel, ist streng genommen bereits eine ungesicherte Zusatzannahme. Aber immerhin gut denkbar. Freilich ist ebenfalls denkbar, daß auch weitere Gewässer "Schilfmeer" bezeichnet werden konnten. Insofern hat das Rote Meer nur einen schwachen Vorzug bei der Frage der Lokalisierung.
Nochmal zurück auf die unterschiedlichen Meeres-Vorstellungen in den beiden biblischen Meerwunder-Erzählungen. Wie es aussieht, hat zumindest eine der Versionen kein "historisches Meerwunder-Meer" vor Augen, sondern ein "Meer, das zur Erzählung paßt". Womöglich haben ja beide Versionen kein "echtes" Großgewässer am Ostende Ägyptens vor Augen, sondern wurden nach dem Motto "na irgendein passendes Meer wird da schon irgendwo rumgelegen haben" erzählerisch ausgestaltet. In diesem Falle wäre die Frage "welches echtes Großgewässer ist denn nun wirklich gemeint" genauso unsinnig wie die Frage, welcher echte historische Brunnen nun der sei, durch den Goldmarie und Pechmarie zu Frau Holle gelangt sind.
Wie ich bereits ansprach gibt es für den Sirbonischen See in der Tat Berichte von partieller Verlandung sowie vom Umkommen von Menschen, ja von ganzen Heeren. Hier gibt es also die stärksten Bezüge zum Meer aus der Meerwunder-Überlieferung. Aber auch das muß nicht auf einer historischen Ebene zu verstehen sein, daß also der Sirbonische See das "wirkliche Meerwunder-Meer" gewesen sei. Es reicht, wenn das Gewässer schon damals für solche Schauergeschichten bekannt war und als "urban legend" sogar bis nach Palästina vorgedrungen ist. Ohne daß man hier wußte, welches Gewässer genau das nun war, bei dem sowas passieren konnte.
Letztlich hat es diesen Auszug Israels aus Ägypten so nicht gegeben. Einzelne kleine Grüppchen mögen im Laufe von Jahrhunderten gelegentlich Ägypten verlassen und sich in der Levante angesiedelt haben, wo sie schließlich zum Bestandteil Israels wurden. Und wenigstens eine dieser Gruppen mag historisch korrekt von ägyptischen Grenzposten verfolgt worden sein, und nachdem die Flüchtlinge ein Gewässer überquert hatten, waren sie ihre Verfolger auf
irgendeine Weise losgeworden. Das mag für diese Leute was Großes gewesen sein, weshalb es in der neuen Heimat weiter überliefert und mit der Zeit immer mehr ausgeschmückt wurde. Und als die lokalen Bevölkerungsteile eine "nationale Identität" entwickelt hatten und sich eine "historische Entstehung des Volksganzen mit Herkunft und Vorgeschichte" gaben, war diese Story mittlerweile sowohl bekannt als auch beeindruckend genug, um mit eingearbeitet zu werden. Doch in dieser Ausformung und in diesem Kontext war die Geschichte eben nicht mehr das, was sich historisch wohl wirklich mal ereignet hatte. Welche Gruppe, welches Datum, welches Gewässer, nichts, was "jetzt dasteht", kann als korrekt gelten.
Lustigerweise kommt die Bezeichnung
jam ßuf in 2.Mose14, also in der
eigentlichen Meerwundererzählung (in beiden Versionen) überhaupt nicht vor.
Wohl aber kommt der Ort Baal Zefon vor. Das ist eine nordwestsemitische Benennung, nach dem wichtigsten Gott der Phönikier, dem Baal (= "Herr") des Götterberges Zafon. Als die Hyksos über Ägypten herrschten, brachten sie auch ihre levantinischen Götter mit. Und Baal Zafon setzen sie mit dem Gott Seth gleich, den sie von den ägyptischen Göttern besonders verehrten. Als die Herrschaft der Hyksos unter deren letzten Pharao Apophis zu Ende gegangen war, gerieten auch Seth und Apophis in ein noch schlechteres Licht als zuvor, und auch Baal Zefons ägyptische Karriere nahm dunklere Züge an. Die Griechen lernten diesen dann als Typhon kennen. Andererseits fanden die Griechen und Römer den Baal Zefon, wie er in Syrien und Phönizien verehrt wurde, ganz toll und setzten ihn mit Zeus und Jupiter gleich. Nach dem Berg Kasion, einem wichtigen Zafon-Heiligtum, nannten sie den Baal Zeus-Kasion.
Was hat das jetzt mit dem Schilfmeer zu tun? Nun, zum einen besiegte Zeus der Legende nach irgendwann einmal den bösen Typhon. Und zwar im Sirbonischen See. Und einen Berg Kasion, wo dem Zeus-Kasion ein Heiligtum gebaut wurde, gab es in hellenistisch-römischer Zeit auch auf der westlichen Nehrung des Sirbonischen Sees. Baal Zafon, im Guten wie im Schlechten, hängt also mit dem Sirbonischen See zusammen, und daher dürfte auch die im AT genannte Ortschaft Baal Zefon genau hier gelegen haben. Ohnehin galt Baal Zafon den Syrophöniziern als Schutzherr der Seefahrt, was für Phönizier & co. hauptsächlich die Mittelmeer-Seefahrt war.
Mit anderen Worten, die Meerwunder-Erzählung gibt eine Lokalisierung her, welche auf den Sirbonischen See hinweist. Witzigerweise findet sich diese Ortsangabe aber in der Version mit dem gespaltenen Meer und den hohen Wassermauern, was doch eher zu einem tiefen Gewässer paßt und nicht zum Sirbonischen See mit seinen maximal drei Metern Tiefe.
OK, issn bisserl ausgeufert...