29.05.1919 ... ist zwar erst morgen so weit, bin aber jetzt schon fertig, außerdem darf man das als TE
:DHeute soll es mal um Vorhersagen gehen, genauer gesagt um jene Vorhersagen, die komplett ohne Kristallkugel auskommen.
Die Methodik moderner Naturwissenschaften hat ja bekanntlich ihren Ursprung im 16. bzw. 17. Jahrhundert, und wurde maßgeblich von Galileo Galilei und Isaac Newton geprägt. Das Prinzip ist einfach und effektiv: physikalische Theorien
müssen im Experiment bestätigt werden! Auch wenn einzelne Philosophen und Naturforscher wie z.B. Roger Bacon bereits im 13.Jhd. für einen höheren Stellenwert der Empirie plädierten, basierten Erkenntnisse über die Natur bis dahin zum großen Teil auf rein philosophischen Erklärungsversuchen.
Ja ich weiß, ich plappere nun mal gern, und einige werden sich inzwischen fragen, was das mit dem heutigen Jahrestag zu tun hat ...
:D ... und da ich die Leser hier nicht unnötig auf die Folter spannen will, gehts auch schon los:
Genau heute vor 99 Jahren wurde eine Vorhersage mit Hilfe einer anderen Vorhersage bestätigt. Dabei ist eine der beiden Vorhersagen (entgegen meiner Vorbetrachtung) bereits seit der Antike bekannt, und die Bestätigung der anderen Vorhersage machte einen der bedeutendsten Wissenschaftler quasi übernacht zu einem "Superstar der modernen Physik".
Spätestens jetzt sollten eigentlich jene, die hier öfter mitlesen, wissen um wen es geht. Die Rede ist natürlich von Albert Einstein. Am 25. November 1915 stellte er der Preußischen Akademie der Wissenschaften den Kern seiner
Feldgleichungen der Gravitation vor, in der er noch einige Fehler seiner ersten Arbeit zur Allgemeinen Relativitätstheorie korrigierte. Die in dieser korrigierten Fassung enthaltenen 10 Gleichungen sollten später das Grundverständnis über die Schwerkraft und das Universum revolutionieren.
Doch die Anerkennung ließ noch einige Jahre auf sich warten, denn die Theorie war so revolutionär, dass sie anfangs von vielen nur belächelt wurde. Und hier kommt die andere Vorhersage ins Spiel: die Sonnenfinsternis. Einsteins Theorie sagte u.a. voraus, dass sich der Weg des Lichtes bei Anwesenheit großer Massen ändert. Und da unsere Sonne die größte Masse im Sonnensystem besitzt, ist es naheliegend, diesen Umstand auch für eine Bestätigung zu nutzen. Das Blöde dabei ist nur, die Sonne strahlt selbst so stark, dass es nicht möglich ist, die Ablenkung des Lichtes eines anderen Sterns zu messen, der sich in einer geeigneten Position zur Sichtachse Erde/Sonne hinter der Sonne befindet, ... es sei denn, es gäbe da einen anderen Himmelskörper, der die Sonnenscheibe komplett verdecken könnte ...
:Dhttps://www.mpg.de/9236014/eddington-sonnenfinsternis-1919Und was soll ich sagen, "zufällig" dreht ein solcher Körper seit ewigen Zeiten zuverlässig seine Runden um die Erde, so dass schon die alten Antiker dank aufmerksamer Beobachter hinreichend zuverlässig eine Sonnenfinsternis vorhersagen konnten.
Einstein war übrigens nicht der Erste, der Hypothesen über die massebedingte Lichtablenkung aufstellte. Da bereits seit Newton bekannt war, dass Licht aus winzigen Teilchen bestand, fragten sich viele Gelehrte, welchen Einfluss Massen auf die Lichtwege haben könnten. Im Jahr 1783 behauptete der Engländer John Mitchell, dass Licht nicht immer geradlinig läuft, sondern von der Schwerkraft eines Körpers abgelenkt werden kann. Weiterhin beschrieb er einen "Riesenstern", dessen Schwerkraft so gewaltig wäre, dass Licht nicht mehr entweichen könne, und das lange bevor der Begriff "Schwarzes Loch" geprägt wurde. Der französische Mathematiker Pierre-Simon Laplace kam unabhängig von Mitchell zum gleichen Ergebnis, und berechnete zudem noch den Durchmesser von 6Km, den die Sonne haben müsste, um zu einem solchen Körper zu werden.
Im Jahr 1801 veröffentlichte Johann Georg von Soldner, der spätere Direktor der Münchener Sternwarte in Bogenhausen, einen Aufsatz unter dem Titel „Die Ablenkung eines Lichtstrahls von einer geradlinigen Bewegung durch die Attraktion eines Weltkörpers, an welchem er nahe vorbei geht“. Er berechnete damals eine Ablenkung von 0,875 Bogensekunden, was in etwa dem entsprach, was Einstein zunächst ausrechnete (0,83 Bogensekunden). Um das mal zu veranschaulichen, 0,8 Bogensekunden ist in etwa das, was wir von einer 1 Euro Münze in 5km Entfernung sehen, wenn wir sie denn sehen könnten
:DEinstein beschäftigte sich ab dem Jahr 1911 näher mit der Lichtablenkung. Die erste Möglichkeit einer Überprüfung bot sich bei der Sonnenfinsterniss 1912 in Brasilien, dieser Termin fiel aber dem schlechten Wetter zum Opfer. Der nächste Termin (21. August 1914) war blöderweise in Russland, und da gerade 3 Wochen zuvor der 1. Weltkrieg ausgebrochen war, wurde die deutsche Expedition unter Leitung von Erwin Freundlich von den Russen interniert. Ein amerikanisches Team um William Campbell hatte sich südlich von Kiew postiert, dort machte wiederum das Wetter den Forschern ein Strich durch die Rechnung, was sich dann nachträglich als Glücksfall für Einstein herausstellen sollte, denn .... Achtung! Einstein hatte sich verrechnet! Klingt komisch, is aber so.
Einstein hatte 1911 wie bereits erwähnt einen Wert von 0,83 Bogensekunden berechnet. Zu diesem Zeitpunkt war ihm jedoch noch nicht der Zusammenhang zwischen Schwerkraft und Raumzeitkrümmung bekannt gewesen, und so wurden in seiner ersten Berechnung einige Effekte nicht berücksichtigt. Nach der Korrektur veröffentlichte er im Mai 1916 in den Annalen der Physik einen Wert von 1,75 Bogensekunden.
Nun musste man nur noch auf eine neue Gelegenheit warten, und die kam am 29. Mai 1919. Man hatte 2 Orte für eine ideale Beobachtung ermittelt, die Insel Principe vor der Küste Spanisch-Guineas sowie das Dorf Sobral im Norden Brasiliens. Einstein wurde während dieser Zeit auf Betreiben von Max Planck zum Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Physik berufen. Nach nur 5 Jahren übertrug Einstein sein Amt an Max von Laue, da er 1922 wegen zahlreicher Morddrohungen Deutschland verlassen musste.
Aber zurück zur
Sonnenfinsternis vom 29.05.1919, bereits am 8. März 1919 brachen 2 Expeditionen unter Führung von Arthur Eddington nach Süden auf, eine führte auf die Insel Principe, die andere nach Sobral. Ungeachtet der ohnehin schon zahlreichen Probleme mit dem Equipment regnete es zudem am Morgen des 29.05.1919 pausenlos. Gegen Mittag riss dann die Wolkendecke zeitweise für wenige Sekunden auf, und den Forschern gelangen 16 Aufnahmen, von denen nur 2 zu gebrauchen waren. Das Team in Brasilien hatte mehr Glück, ihnen gelangen 8 brauchbare Aufnahmen.
Nach Rückkehr und Auswertung in England verkündete Eddington anfang September 1919 das vorläufige Resultat auf einer Tagung in Bournemouth. Das endgültige Ergebnis wurde am 6. November in einer gemeinsamen Sitzung von Royal Society und Royal Astronomical Society bekannt gegeben (bei einen Teleskop 1,98 +/- 0,18 Bogensekunden, bei dem anderen 1,60 +/- 0,31 Bogensekunden).
Bereits am Tag darauf verkündet die Londoner Times: „Wissenschaftliche Revolution. Neue Theorie des Universums. Newtons Vorstellung gestürzt“. Die Amerikaner brauchten 3 Tage länger, dafür war die Überschrift ein wenig "anschaulicher": "Lichter am Himmel alle schief"
:DJa, so war das damals, als eine physikalische Theorie ihren ersten echten Test mit Bravour bestand, ebenso wie eine andere, die seit der Antike unzählige Male immer wieder aufs Neue bestätigt wird. Nur in Deutschland dauerte es noch bis zum 14. Dezember, bis ein Beitrag in der "Berliner Illustrierte Zeitung" erschien. Einstein selbst war der Rummel um seine Person eher lästig, und so schrieb er an seinen Freund Max Born: "
Bei mir ist es so arg, dass ich kaum mehr schnaufen, geschweige zu vernünftiger Arbeit kommen kann." Heute wissen wir, dass er auch diese Phase gut gemeistert hatte, und bereits 1930 konnte er auf einer Bank vor der britischen Universität Cambridge gemeinsam mit Sir Arthur Eddington herzlich darüber lachen....