19.12.1938
Tja, heute ist mal wieder einer dieser Tage, an denen ich froh bin, diesen Thread erstellt zu haben, denn er gibt mir die Gelegenheit, an ein denkwürdiges Ereignis zu erinnern, welches zu den bedeutendsten in der Geschichte der Naturwissenschaften zählt.
Wo fange ich da am besten an? Im Grunde fand das entscheidende Ereignis sogar 2 Tage zuvor statt, am 17.12.1938. Heute, am 19.12. vor genau 79 Jahren wurde nämlich "nur" ein Brief geschrieben, und zwar vom jüngsten Sohn eines Frankfurter Glasermeisters an die dritte Tochter eines jüdischen Rechtsanwaltes aus Wien. Ob sich der Verfasser des Briefes zu diesem Zeitpunkt bereits über die weitreichende Bedeutung seiner Entdeckung und deren Folgen im Klaren war, ist soweit mir bekannt ist nicht überliefert. Eines geht aus den Zeilen jedoch hervor, die er am späten Abend am Berliner Kaiser-Wilhelm-Institut schrieb, während er auf seinen Mitarbeiter Fritz Straßmann wartete, es war etwas bis dahin gänzlich Neues und Unerwartetes, für das es nur eine "phantastische Erklärung" geben kann.
Hier ein Auszug aus dem Brief:
Es könnte noch ein höchst merkwürdiger Zufall vorliegen. Aber immer mehr kommen wir zu dem schrecklichen Schluß: unsere Radium-Isotope verhalten sich nicht wie Radium, sondern wie Barium. {...} Vielleicht kannst Du irgendeine phantastische Erklärung vorschlagen.
Ich nehme an, spätestens jetzt wissen die wissenschaftlich Interessierten unter euch, von wem die Rede ist.
:DOtto Hahn (1938
Nun, die Kernphysik war zu dieser Zeit zwar eine noch recht junge Disziplin, aber man wusste dennoch schon sehr viel. So war z.B. seit den Experimenten von Ernest Rutherford im Jahre 1919 bekannt, dass sich Atomkerne durch Beschuss mit Teilchen verändern ließen. Jedoch unterschieden die entstandenen Elemente sich im Gewicht nur wenig von den ursprünglichen Elementen. Rutherford beschoss damals Stickstoff mit Alphateilchen, und verwandelte diesen in Sauerstoff.
Otto Hahn und Fritz Straßmann gingen dementsprechend auch mit vollkommen anderen Erwartungen an ihre Experimente heran, bei denen sie wie bereits 1934 in den Versuchen von Enrico Fermi, Uran mit thermischen Neutronen beschossen. Gerechnet hatten sie mit etwas, das schwerer als Uran sein sollte, einem sogenannten Transuran. Erhalten haben sie jedoch etwas viel leichteres, von dem sie anfänglich glaubten, es wäre ein Radiumisotop, was sich dann jedoch als Barium entpuppte, ein Element, welches nur etwa halb so schwer wie Uran ist.
Lise Meitner (1946)
Die Ergebnisse waren so spektakulär, dass Hahn ihnen zunächst nicht traute. Aus diesem Grund schrieb er auch diesen besagten Brief an Lise Meitner, die zu dieser Zeit bereits im Exil in Stockholm war. In diesem Brief schrieb er "Wir wissen dabei selbst, daß es eigentlich nicht in Ba zerplatzen kann.", und bat sie um eine "phantastische" Erklärung, die dann auch wenige Tage später folgen sollte.
Inzwischen veröffentlichte Hahn seine Ergebnisse als Anhang an einen Aufsatz für die Zeitschrift "Die Naturwissenschaften". Die Ausgabe erschien Anfang Januar 1939.
In einer ersten Antwort vom 21.12.1938 schrieb Meitner:
Mir scheint die Annahme eines so weitgehenden Zerplatzens sehr schwierig, aber wir haben in der Kernphysik so viele Überraschungen erlebt, dass man auf nichts ohne weiteres sagen kann: es ist unmöglich.
... und über die Weihnachtsfeiertage hinweg erarbeitete sie zusammen mit ihrem Neffen Ernst Frisch eine physikalische Erklärung auf der Grundlage des gerade erst entwickelten Tröpfchenmodells des Atomkerns. Erst mit dieser Erklärung wurden die Ergebnisse weltweit bekannt.
Otto Hahn erhielt dafür 1944 den Nobelpreis für Chemie, Lise Meitner, Ernst Frisch und Fritz Straßmann gingen diesbezüglich leer aus.
Dies soll zunächst einmal genügen, auch wenn es noch unendlich viel über dieses Thema zu schreiben gäbe, insbesondere zu Lise Meitner, einer herausragenden Wissenschaftlerin, die sich trotz widrigster Umstände behauptete, und ihren Weg ging. Bei Gelegenheit komme ich ganz sicher noch mal auf sie zurück.