OpLibelle schrieb:Mir erscheinen in der Vielzahl der Fälle, die "harmvollen" Erklärungen plausibler als die "harmlosen".
kleinundgrün schrieb:Das ist möglich aber unter den beiden genannten Alternativen die weniger wahrscheinliche.
Der Fall JFK unterscheidet sich natürlich elementar von Barschel, es gibt aber auch ein paar Parallelen, die vermutlich sehr viel stärker als die objektiven Tatumstände die Ursache sind, warum sich so unterschiedliche Ansichten bilden und halten können:
Barschel schied ohne jede Erklärung für das "warum" aus dem Leben, das gilt für Suizid wie für Mord in gleicher Weise. Es verbleibt ein offener Raum für Fragen, Erklärungen und Mutmaßungen. Verstärkt wird das durch den Ort der Tat und den (vorgeblichen?) Anlass der Reise dorthin. Ob Suizid oder Mord - Barschel hinterlässt ein Rätsel. Der Fall sähe selbst dann nur ein wenig weniger rätselhaft aus, wenn Barschel in einer Badewanne in Gran Canaria in genau der selben Art und Weise ums Leben gekommen wäre.
Dann gibt es auch noch höchstpersönliche und politische Motive, der einen oder anderen Version zugeneigt zu sein. Die einen sympathisieren schon deshalb mit Suizid, weil er wie ein Schuldeingeständnis erscheint, wie das Drama eines Politikertyps, der alle Grenzen überschritten hatte, wie eine gerechte "Strafe". Die anderen wollen gerade kein Schuldeingeständnis sehen, sehen andere Personen (Pfeiffer, Engholm usw.) mitverstrickt, glauben, der Person Barschel sei Unrecht zugefügt worden. Der Mord passt da hinein, ist eine Rehabilitation.
Das "warum" bleib auch bei JFK offen, der mutmaßliche Mörder hat seine Motive nie erläutert, das gilt erst recht für andere oder weitere Mörder. Es kann nur spekuliert werden, warum LHO (oder wer auch sonst) JFK erschossen hat. Vermutlich hätte es "JFK" nie so gegeben, wenn Ruby Oswald nicht am 24.11.1963 erschossen hätte und LHO der Prozess gemacht worden wäre.
Auch hier gibt es starke Motive, der einen oder anderen Variante zuzuneigen. Wer Vertrauen in die Integrität der staatlichen Institutionen hat, wird deren Erklärungen gelten lassen, wer ihnen von vorneherein misstraut, wird die offizielle Version stärker anzweifeln. JFK ist hierbei von der Bürgerrechtsbewegung und vom Vietnamkrieg nicht zu trennen. Ohne die Lügen der Johnson- und Nixon-Administration über Vietnam und die Arbeit der Geheimdienste hätten die VT zu JFK nicht so Oberwasser bekommen.
Im Detail bleibt Barschel als Fall deutlich übersichtlicher, der Tatort beschränkt sich auf ein Badezimmer und die Beteiligung weniger Gutachter und Ermittler. Der Fall ist bei Weitem nicht so komplex, da er sich nicht in der Öffentlichkeit und unter Beteiligung von hunderten von Sicherheitskräften, Beratern und Mitarbeitern abgespielt hat. Die medizinischen und toxikologischen Gutachter sind sich bei genauer Betrachtung eigentlich nur in Details nicht einig, wobei immer noch zu berücksichtigen ist, dass die Gutachtens selbst nicht veröffentlicht und wir auf die Bewertungen der Ermittlungsbehörden angewiesen sind.
Warum der OStA Wille als erfahrener Ermittlungsbeamter angesichts der objektiven Beweislage von Mord überzeugt ist ("Der Mord, der keiner sein durfte."), ist mir ein Rätsel. Selbstverständlich lässt sich eine Dritteinwirkung (in welcher Weise auch immer, auch Sterbehilfe wurde diskutiert) nicht mit Sicherheit ausschließen. Ob diese - theoretische - Möglichkeit auch Relevanz erlangt, ist eine ganz anderer Frage. Man mag - bei wohlwollender Betrachtung - einen Anfangsverdacht noch annehmen. Nach Durchführung eines mehrjährigen Ermittlungsverfahrens ist aber kein Pünktchen mehr herausgekommen. Es musste eingestellt werden. Nicht, weil kein Täter ermittelt werden konnte, sondern weil der Anfangsverdacht für Mord sich in in keiner Weise irgendwie konkretisiert oder verdichtet hätte. OStA Wille hatte und hat nichts in der Hand. Außer seiner Überzeugung und ein paar Erkenntnislücken. Das reicht für keinerlei Beweisführung. Herr Wille ist Fachmann genug, das zuzugeben und zu bedauern.
Nur: Dann kann ich trotzdem aus fast jedem Suizid ohne Abschiedsbrief einen Mord machen. Und das finde ich - ehrlich gesagt - rechtsstaatlich spätestens dann erschreckend, wenn ich mir noch einen Verdächtigen hinzudenke.