Cpt.Germanica schrieb:Vermutlich hätten sie ihn auch flugs entkleidet um die Diskussion, ob jemand mit Selbstmordabsichten angezogen in die Badewanne steigt (ja, ist zu beobachten, wird wohl aus Scham gemacht, hatten wir weiter oben schon) zu unterbinden.
Ich bin kein Psychiater, der sich mit Suizid konkret oder wissenschaftlich auseinander gesetzt hat. Aber mit etwas Empathie für einen Menschen, der am Ende seines Lebens und vor dem Scherbenhaufen seiner Existenz steht (klassischer Bilanzsuizid):
Es war alles da, was er brauchte: Die Medikamente, Alkohol, das Alleinsein, die Einsamkeit. Wobei ich mir die Einsamkeit ziemlich schlimm vorstelle:
Alleine im Zimmer eines großen, edlen Hotels. Mehr oder minder anonym, unbeachtet, "Do Not Disturb"-Schild an der Türe. Er wird vielleicht nochmals mit sich gerungen haben, noch mal alles abgewogen. Doch vor dem Untersuchungsausschuss aussagen? Gegrillt werden, genüsslich seziert werden, auch von den eigenen (ehemaligen) Parteifreunden? Die Schande für die Familie?
Anzug, Hemd und Krawatte hat er jahrzehntelang getragen, immer, wahrscheinlich auch oft zu Hause, ihm dürfte gar nicht bewusst geworden sein, dass er die Krawatte noch trug. Er versuchte auch nicht, seinen Suizid als Mord zu inszenieren, sonst hätte er nicht diese recht eindeutige Art des Suizids gewählt. Nur den geheimnisumwitterten R., der seine Unschuld hätte beweisen können, den erfand er.
Irgendwann nahm er die Medikamente, das dürfte eine Zeit gedauert haben. Die Wirkung der ersten Präparate dürfte nach 15 bis 30 Minuten eingesetzt habe, er hat (soweit ich weiß), nichts zu Abend gegessen. Und der Alkohol. Gut, er war 10mg Lorazepam am Tag gewöhnt, da dürfte die Toleranz gegenüber Benzodiazepinen schon ganz schön stark gewesen sein. Ich habe keine Quelle, wie viel er nun genommen hat, aber irgendwann wird er sie Wirkung gespürt haben: Benommenheit, Müdigkeit, Gleichgültigkeit, irgendwann auch physiologisch: Gleichgewichtsprobleme, Schwindel. Er wird geschwankt haben, sich irgendwo festhalten.
In dem Zustand lässt er die Wanne volllaufen. Warum nicht vorher? Warum sollte er? Die Wanne ist Mittel zum Zweck.
Nicht Wellness. Da legt er sich erst rein, wenn die Arbeit getan ist und wenn er vom Schlaf nicht mehr weit weg ist. Das Wasser wird warm gewesen sein, sicher keine 37 Grad, ein bisschen darunter. Auf dem Weg zur Wanne wurde ihm klar, dass er sich zwar in Kleidung in die Wanne legen würde (denke, das war von Anfang an so geplant, ein bisschen wie Eva Braun im Bunker "Ich will a schöne Leich' sein"). Aber nicht mit Schuhen. Die könnten evtl. auch ein In-die-Wanne-Rutschen verhindern. Derer entledigte er sich also noch, schon ziemlich benommen. Deshalb lagen sie im Hotelzimmer herum. In diesem Zustand nestelt er vielleicht noch an seinem Hemd herum, vielleicht doch die Krawatte aus? Irgendwie ist da ein Hemdknopf abgerissen.
Man darf nicht denken, dass er nach diesen Mengen an Medikamenten noch klar im Kopf war. "Durchgangsstadium" nannten das die Hamburger Pathologen. Er war noch insoweit klar, dass er sein Vorhaben durchzog, aber für Details, die später als "Mordbeweise" dienten, hatte er sicher keinen Kopf mehr. Das Handtuch war vermutlich auch nicht geplant, sondern spontan mit in die Wanne genommen, vielleicht sogar erst, als er sich das erste Mal hinein gelegt und gemerkt hat, dass das in seiner Benommenheit ohne Kopfauflage extrem unbequem war.
Barschel war 43 Jahre alt. Er hatte Familie, Frau, Kinder. Er war Dr. Dr. Bis 1987 Shooting-Star der CDU. Vielleicht einmal Kanzler. Er hatte einen Flugzeugabsturz als Einziger überlebt. Und andere, wie vielleicht Helmut Kohl oder Franz Josef Strauß, die hätten eine solche Affäre, einen solchen Rücktritt ausgehalten. Die wären nach zwei Jahren wieder da gewesen. Aber Barschel war nicht eine solche Rossnatur. Der Mann war nicht nur krankhaft ehrgeizig, sondern auch extrem verletzbar. Er hatte nicht die dicke Haut, die nötig gewesen wäre, durch so eine Niederlage hindurchzureiten. Aber auf die Droge Politik, Macht, Bedeutung und Aufmerksamkeit konnte er nicht verzichten. Vielleicht sah er seine Familie in Gefahr. Er war ein armer Mensch, der an seiner Situation verzweifelte.
Ein Opfer seiner selbst, aber auch der Politik, der Medien, die ihm auch dort nachstellten. Ihn schließlich - pietätlos genug - zum Gespött der Republik tot in der Wanne ablichteten und den Tatort durcheinander brachten. Nicht wenige der Vorwürfe gegen ihn erwiesen sich später als unzutreffend, und nicht nur er, sondern auch Engholm hatte gelolgen, aber was blieb, das war ehrenrührig genug. Das Drama in diesem Hotelzimmer zeigt nicht zuletzt auch die große Hilflosigkeit.