off-peak schrieb:Was auch ein eigenartiges Denke ist. Erst jemanden auffordern, "die Wahrheit" zu erkunden, und dann aber nicht wollen, dass "die Wahrheit" verkündet wird.
Indeed, das wäre komisch. Nur ist dieses "
nicht wollen, dass "die Wahrheit" verkündet wird" eben gar nicht gegeben. Es lag gar kein Interesse vor, "die Wahrheit zu unterdrücken". So nahm die Katholische Kirche gut hundert Jahre nach Galilei sämtliche Schriften zum Heliozentrismus aus dem Index der Verbotenen Bücher wieder heraus. Aber selbst 1820 verweigerte der damalige katholische Chef-Zensor Filippo Anfossi noch immer einem Buch des katholischen Klerikers und Astronomen Giuseppe Settele das Imprimatur (die amtliche katholische Druckgenehmigung), weil der in seinem Buch die Heliozentrik als physikalische Tatsache bezeichnete. Das steckte den Katholen noch arg lang in den Knochen: "geh davon aus, aber nenn es bloß nicht Tatsache, Fakt, Wahrheit".
off-peak schrieb:Wobei es eigentlich für den Glauben doch egal sein kann, wer sich hier um wen dreht, wenn man nicht gerade die Sonne als Gott anzubeten gedenkt.
In der Tat, und es ist erst eine spätere antikirchliche Legendenstrickerei, die Kirche habe was dagegen gehabt, daß die Erde nicht mehr der Mittelpunkt sei. Diesen Unsinn hat Freud mal als die erste der drei großen
Kränkungen der Menschheit genannt.
Freud nennt drei große Einschnitte, die der naive Narzissmus des menschlichen Bewusstseins durch den historischen Fortschritt wissenschaftlicher Erkenntnis erlitten habe:
Die kosmologische Kränkung: Die erste Erschütterung sei die mit dem Namen Kopernikus verknüpfte Entdeckung gewesen, dass die Erde nicht der Mittelpunkt des Weltalls ist (vgl. Kopernikanische Wende).
Die biologische Kränkung: Die zweite Kränkung lag in der Entdeckung, dass der Mensch aus der Tierreihe hervorgegangen ist (Charles Darwin und andere).
Die psychologische Kränkung: Die dritte Kränkung sei die von ihm entwickelte Libidotheorie des Unbewussten; ein beträchtlicher Teil des Seelenlebens entziehe sich der Kenntnis und der Herrschaft des bewussten Willens. Die Psychoanalyse konfrontiere das Bewusstsein mit der peinlichen Einsicht, (…) daß das Ich nicht Herr sei in seinem eigenen Haus.
Dabei wird den Katholen, vor allem der Kirche im Mittelalter, ebenfalls gerne vorgeworfen, sie würden den Menschen gerne klein halten, als unbedeutenden Wurm, quasi "Gott ist alles, Du nichts!" - und erst Humanismus und Aufklärung hätten den Menschen in der Wahrnehmung groß gemacht (bis hin zu Nietzsches Übermenschen). Ja was denn nu: Gekränkt, weil der Mensch nicht im Mittelpunkt haust, oder sauer, weil der Mensch weit mehr ist, als Katholen ihn kleinreden wollen? Die einzige Gemeinsamkeit dieser Sichtweisen ist die antikirchliche Tendenz. Die Kopernikanische Wende ist von großer Bedeutung, aber nicht, weil da die Erde bzw. der Mensch ausm Zentrum gekickt wurde.
off-peak schrieb:Welcher Philosoph war denn das?
Aristoteles, in der Schrift "über den Himmel".
EnyaVanBran schrieb:Hab ich das richtig verstanden: Es ging bei dem Streit zwischen Galilei und der Kirche rein um die Interpretation, bzw. die Bezeichnung des ganzen? Nämlich, dass es eine Hypothese ist und keine Wahrheit?
Yepp. Aber als die Katholen den renitenten Galilei mit seinem "Is Wahrheit, nicht Hypothese" (was er gar nicht wissen konnte damals) vors Gericht zerrten, verwarfen sie dummerweise nicht nur den Wahrheitsanspruch, sondern die ganze These als falsch. Überzogen reagierten beide Seiten.
Hätte Galilei von ner Hypothese gesprochen, seine Publikation wäre durchgewunken worden.