EU - erster Schritt zur New World Order?
14.05.2005 um 19:17In glücklicher Verfassung
Europa schafft Angst und Verdruss. In Wirklichkeit ist es eine Erfolgsgeschichte
Von Joachim Fritz-Vannahme
Diese Woche stimmt der Bundestag über den europäischen Verfassungsvertrag ab. In sein klares Ja werden sich nur wenige Gegenstimmen mischen, sehr zum Ärger mancher Bürger, denen das alles gegen den Strich geht. So verständlich ihre Furcht vor sozialem Abstieg sein mag, mit dem Thema dieses großen Tages hat sie nichts zu tun. Der Verfassungsvertrag schreibt eine Erfolgsgeschichte fort – und nicht die angebliche Dekadenz einer alten Welt.
Europa ging es nie so gut wie heute. Hier leben 450 Millionen Menschen nur sechzig Jahre nach Kriegsende in einzigartiger Gemeinschaft. Angesichts dieses Erfolges hat alles Pathos längst ausgedient, es zählt allein die gute Praxis. Der »Europäische Traum«, den der Amerikaner Jeremy Rifkin so bewundert, er ist längst Wirklichkeit.
Vom Atlantik bis zum Bug sind nach und nach alle Diktaturen verschwunden. Vor drei Jahrzehnten verscheuchten Portugiesen und Spanier die Gespenster eines Franco oder Salazar. Vor zwanzig Jahren ächzte Polen noch unter dem Kriegsrecht eines kommunistischen Regimes, heute stehen dort soziale Marktwirtschaft und Demokratie in Blüte. Russlands Präsident Wladimir Putin ließ soeben seine Soldaten zur Siegesparade auf dem Roten Platz aufmarschieren – die kleinen Nachbarn im Baltikum, Esten, Letten, Litauer, verfolgten das zwar misstrauisch, aber doch in dem beruhigenden Bewusstsein, Mitglieder von EU und Nato zu sein.
Dieses Europa ist längst mehr als nur ein gemeinsamer Binnenmarkt, in dem eine größere Zahl von Menschen in relativem Wohlstand lebt als in den Vereinigten Staaten. Heute zählt diese Gemeinschaft 25 Mitglieder, binnen kurzem werden es schon 28 sein, verbunden durch einen gemeinsamen Wertekanon, der sich mit Begriffen wie Menschenrechte, Rechtsstaat, Eigentum, Freiheit und Verantwortung buchstabiert.
Das Kostüm der Römischen Verträge von 1957, maßgeschneidert für den kleinen und feinen Club einer Wirtschaftsgemeinschaft mit sechs Mitgliedern, ist dafür längst zu eng geworden. In den neunziger Jahren versuchten darum Europas Politiker, das gute Stück zu weiten. Vergebens, die Verträge von Maastricht bis Nizza blieben Flickwerk, unpassend für neue Anstrengungen und künftige Erweiterungen.
Erst einem Konvent aus Parlamentariern und Regierungspolitikern gelang der große Wurf. Methode und Anspruch schossen weit übers Gewohnte hinaus: Mitgeschrieben haben in offener Debatte, anders als bei den früheren Verträgen, auch künftige Mitglieder, die Türkei inklusive. Die erweiterte Union braucht diesen Verfassungsvertrag wie Deutschland sein Grundgesetz, das mitnichten abgeschafft oder ausgehebelt wird.
Der Verfassungsvertrag ist das beste Werk, das die Gemeinschaft seit den Römischen Verträgen hervorgebracht hat. Er spannt den Bogen vom Gesetzgebungsverfahren, das erheblich vereinfacht wird und die Kompetenzen zwischen »Brüssel« und den Mitgliedsstaaten klarer regelt, bis zur Charta der Grundrechte, die den EU-Bürgern Freiheit, Gleichheit und Solidarität garantiert. Erstmals haben sich alle neuen und künftigen Mitgliedsstaaten auf die unternehmerische Freiheit wie den Datenschutz verpflichtet, auf ein Recht auf Bildung wie auf kostenlose Arbeitsvermittlung.
Neu erfunden wurde ein Präsident des Europäischen Rates, gewählt für zweieinhalb Jahre; er soll der Arbeit der Regierungschefs die nötige Kontinuität verschaffen. Neu geschaffen wurde eine Bürgerinitiative; mit einer Million Unterschriften kann sie die Kommission zum Handeln zwingen. Gestärkt wird das Europäische Parlament, das künftig über den gesamten Haushalt, auch über das voluminöse Agrarbudget abstimmt und den Kommissionspräsidenten wählt. Und ausgebaut wurde schließlich der Einfluss der nationalen Parlamente, die jedes EU-Gesetz genau wie das Europäische Parlament von Beginn an begleiten und dagegen intervenieren können. Das oft beklagte demokratische Defizit der Union wird mit diesem Werk kleiner.
Gestärkt werden aber nicht nur die Rechte der Bürger oder der Staaten. Europas Auftritt auf der Weltbühne inszeniert sich künftig leichter. Der neue EU-Außenminister, der als einziger Repräsentant der Union einen Ministertitel trägt und zugleich Vizepräsident der Kommission ist, gebietet über den weltweit operierenden Apparat der Brüsseler Behörde. Sollte ein Mitgliedsstaat angegriffen oder Opfer eines Terroranschlages werden, besteht Bündnispflicht.
Manchen Kritikern geht dieser Vertrag viel zu weit, weil er angeblich einem »Superstaat« zuarbeite und den Nationen oder »dem Bürger« die Macht aus den Händen nehme. Anderen hingegen geht es nicht weit genug, im Sozialen etwa oder in Sachen Demokratie. Die einen fordern mehr Europa. Die anderen fürchten genau das und rufen nach weniger Europa. Beiden Einwänden kann selbst das beste Abkommen nicht gerecht werden.
Freilich sind Fehler gemacht worden. Da wäre die Begriffsverwirrung, die dem jugendlichen Überschwang eines großen alten Staatsmannes zuzuschreiben ist. Valéry Giscard d’Estaing, der Präsident des Konvents, brachte früh das Wort von der Verfassung unter die Leute. Ein falscher Zungenschlag, denn dies ist noch keine Verfassung. Im Stil erobern sich allenfalls die ersten 114 Artikel so etwas wie Verfassungsrang. Was folgt, sind Hunderte von Seiten praktischer EU-Politik, wie gehabt komplex-kompliziert, vom Binnenmarkt bis zum Zivilschutz. Wer die knappe Eleganz der Zehn Gebote erhoffte, schaut enttäuscht drein. Wer hingegen in den alten EU-Verträgen blättert, wird erleichtert sein.
Ein Fehler war es auch, über die Vorlage in einem anderthalbjährigen Abstimmungsmarathon beschließen zu lassen. Verworfen wurde die schöne Idee, an ein und demselben Tag in ganz Europa, wenngleich getrennt nach Nationen, zu votieren – egal ob im Parlament oder im Wahllokal. Jedem EU-Bürger wäre in diesem erhebenden Augenblick bewusst geworden, dass er seine Stimme nicht für oder gegen die eigene Regierung abgibt.
In zwei Wochen votieren Franzosen und Niederländer. Dort steht die Abstimmung auf der Kippe. Was geschieht bei einem non oder nee? Manche Franzosen träumen von einem idealen Vertrag, unterfüttert von einer Sozialutopie. Ein gefährlicher Blütentraum. Denn zuerst einmal käme nach einem non die Debatte an einen toten Punkt. Zwar drohte nicht gleich die große Katastrophe, dazu ruht das Europa der alten Verträge zu fest in sich. Aber krisenhafte Lähmung würde die Akteure befallen. Die Gemeinschaft wäre in ihrem Inneren und erst recht auf internationalem Parkett paralysiert. Elan und Ehrgeiz des Verfassungsvertrages wären dahin. Fummeln und Feilschen, mehr liefe dann nicht. Dann schon lieber große Politik, mit diesem Werk in der Tasche.
Mehr muss man nicht sagen, dieser Artikel wurde aus der Aktuellen Zeit entnommen...
Ich teile die Meinung des Autors und verstehe insofern nicht woher die Anti-Europa Hysterie kommt.
Du möchtest die Wahrheit?
Dann lass ab von Worten und Schweigen und lebe dein eigenes Zen.
[Hyakujo Ekai]
Europa schafft Angst und Verdruss. In Wirklichkeit ist es eine Erfolgsgeschichte
Von Joachim Fritz-Vannahme
Diese Woche stimmt der Bundestag über den europäischen Verfassungsvertrag ab. In sein klares Ja werden sich nur wenige Gegenstimmen mischen, sehr zum Ärger mancher Bürger, denen das alles gegen den Strich geht. So verständlich ihre Furcht vor sozialem Abstieg sein mag, mit dem Thema dieses großen Tages hat sie nichts zu tun. Der Verfassungsvertrag schreibt eine Erfolgsgeschichte fort – und nicht die angebliche Dekadenz einer alten Welt.
Europa ging es nie so gut wie heute. Hier leben 450 Millionen Menschen nur sechzig Jahre nach Kriegsende in einzigartiger Gemeinschaft. Angesichts dieses Erfolges hat alles Pathos längst ausgedient, es zählt allein die gute Praxis. Der »Europäische Traum«, den der Amerikaner Jeremy Rifkin so bewundert, er ist längst Wirklichkeit.
Vom Atlantik bis zum Bug sind nach und nach alle Diktaturen verschwunden. Vor drei Jahrzehnten verscheuchten Portugiesen und Spanier die Gespenster eines Franco oder Salazar. Vor zwanzig Jahren ächzte Polen noch unter dem Kriegsrecht eines kommunistischen Regimes, heute stehen dort soziale Marktwirtschaft und Demokratie in Blüte. Russlands Präsident Wladimir Putin ließ soeben seine Soldaten zur Siegesparade auf dem Roten Platz aufmarschieren – die kleinen Nachbarn im Baltikum, Esten, Letten, Litauer, verfolgten das zwar misstrauisch, aber doch in dem beruhigenden Bewusstsein, Mitglieder von EU und Nato zu sein.
Dieses Europa ist längst mehr als nur ein gemeinsamer Binnenmarkt, in dem eine größere Zahl von Menschen in relativem Wohlstand lebt als in den Vereinigten Staaten. Heute zählt diese Gemeinschaft 25 Mitglieder, binnen kurzem werden es schon 28 sein, verbunden durch einen gemeinsamen Wertekanon, der sich mit Begriffen wie Menschenrechte, Rechtsstaat, Eigentum, Freiheit und Verantwortung buchstabiert.
Das Kostüm der Römischen Verträge von 1957, maßgeschneidert für den kleinen und feinen Club einer Wirtschaftsgemeinschaft mit sechs Mitgliedern, ist dafür längst zu eng geworden. In den neunziger Jahren versuchten darum Europas Politiker, das gute Stück zu weiten. Vergebens, die Verträge von Maastricht bis Nizza blieben Flickwerk, unpassend für neue Anstrengungen und künftige Erweiterungen.
Erst einem Konvent aus Parlamentariern und Regierungspolitikern gelang der große Wurf. Methode und Anspruch schossen weit übers Gewohnte hinaus: Mitgeschrieben haben in offener Debatte, anders als bei den früheren Verträgen, auch künftige Mitglieder, die Türkei inklusive. Die erweiterte Union braucht diesen Verfassungsvertrag wie Deutschland sein Grundgesetz, das mitnichten abgeschafft oder ausgehebelt wird.
Der Verfassungsvertrag ist das beste Werk, das die Gemeinschaft seit den Römischen Verträgen hervorgebracht hat. Er spannt den Bogen vom Gesetzgebungsverfahren, das erheblich vereinfacht wird und die Kompetenzen zwischen »Brüssel« und den Mitgliedsstaaten klarer regelt, bis zur Charta der Grundrechte, die den EU-Bürgern Freiheit, Gleichheit und Solidarität garantiert. Erstmals haben sich alle neuen und künftigen Mitgliedsstaaten auf die unternehmerische Freiheit wie den Datenschutz verpflichtet, auf ein Recht auf Bildung wie auf kostenlose Arbeitsvermittlung.
Neu erfunden wurde ein Präsident des Europäischen Rates, gewählt für zweieinhalb Jahre; er soll der Arbeit der Regierungschefs die nötige Kontinuität verschaffen. Neu geschaffen wurde eine Bürgerinitiative; mit einer Million Unterschriften kann sie die Kommission zum Handeln zwingen. Gestärkt wird das Europäische Parlament, das künftig über den gesamten Haushalt, auch über das voluminöse Agrarbudget abstimmt und den Kommissionspräsidenten wählt. Und ausgebaut wurde schließlich der Einfluss der nationalen Parlamente, die jedes EU-Gesetz genau wie das Europäische Parlament von Beginn an begleiten und dagegen intervenieren können. Das oft beklagte demokratische Defizit der Union wird mit diesem Werk kleiner.
Gestärkt werden aber nicht nur die Rechte der Bürger oder der Staaten. Europas Auftritt auf der Weltbühne inszeniert sich künftig leichter. Der neue EU-Außenminister, der als einziger Repräsentant der Union einen Ministertitel trägt und zugleich Vizepräsident der Kommission ist, gebietet über den weltweit operierenden Apparat der Brüsseler Behörde. Sollte ein Mitgliedsstaat angegriffen oder Opfer eines Terroranschlages werden, besteht Bündnispflicht.
Manchen Kritikern geht dieser Vertrag viel zu weit, weil er angeblich einem »Superstaat« zuarbeite und den Nationen oder »dem Bürger« die Macht aus den Händen nehme. Anderen hingegen geht es nicht weit genug, im Sozialen etwa oder in Sachen Demokratie. Die einen fordern mehr Europa. Die anderen fürchten genau das und rufen nach weniger Europa. Beiden Einwänden kann selbst das beste Abkommen nicht gerecht werden.
Freilich sind Fehler gemacht worden. Da wäre die Begriffsverwirrung, die dem jugendlichen Überschwang eines großen alten Staatsmannes zuzuschreiben ist. Valéry Giscard d’Estaing, der Präsident des Konvents, brachte früh das Wort von der Verfassung unter die Leute. Ein falscher Zungenschlag, denn dies ist noch keine Verfassung. Im Stil erobern sich allenfalls die ersten 114 Artikel so etwas wie Verfassungsrang. Was folgt, sind Hunderte von Seiten praktischer EU-Politik, wie gehabt komplex-kompliziert, vom Binnenmarkt bis zum Zivilschutz. Wer die knappe Eleganz der Zehn Gebote erhoffte, schaut enttäuscht drein. Wer hingegen in den alten EU-Verträgen blättert, wird erleichtert sein.
Ein Fehler war es auch, über die Vorlage in einem anderthalbjährigen Abstimmungsmarathon beschließen zu lassen. Verworfen wurde die schöne Idee, an ein und demselben Tag in ganz Europa, wenngleich getrennt nach Nationen, zu votieren – egal ob im Parlament oder im Wahllokal. Jedem EU-Bürger wäre in diesem erhebenden Augenblick bewusst geworden, dass er seine Stimme nicht für oder gegen die eigene Regierung abgibt.
In zwei Wochen votieren Franzosen und Niederländer. Dort steht die Abstimmung auf der Kippe. Was geschieht bei einem non oder nee? Manche Franzosen träumen von einem idealen Vertrag, unterfüttert von einer Sozialutopie. Ein gefährlicher Blütentraum. Denn zuerst einmal käme nach einem non die Debatte an einen toten Punkt. Zwar drohte nicht gleich die große Katastrophe, dazu ruht das Europa der alten Verträge zu fest in sich. Aber krisenhafte Lähmung würde die Akteure befallen. Die Gemeinschaft wäre in ihrem Inneren und erst recht auf internationalem Parkett paralysiert. Elan und Ehrgeiz des Verfassungsvertrages wären dahin. Fummeln und Feilschen, mehr liefe dann nicht. Dann schon lieber große Politik, mit diesem Werk in der Tasche.
Mehr muss man nicht sagen, dieser Artikel wurde aus der Aktuellen Zeit entnommen...
Ich teile die Meinung des Autors und verstehe insofern nicht woher die Anti-Europa Hysterie kommt.
Du möchtest die Wahrheit?
Dann lass ab von Worten und Schweigen und lebe dein eigenes Zen.
[Hyakujo Ekai]