@ZaphodBSchön geschrieben, musste Dir das einfach mal posten. Zitat von Eckhard Bieger S.J. :
Gebaute Harmonie
Wie faszinieren mittelalterliche Kirchenräume?
Wer in eine mittelalterliche Kirche eintritt, spürt eine besondere Harmonie. Wir suchen diese Räume nicht zuletzt deshalb auf, weil sie uns einen Platz geben, wir fühlen uns aufgehoben und in eine andere, eine mystische Welt versetzt. Wie erzeugen diese Kirchenräume heute noch eine solche Wirkung?
Die Kirchen und Kathedralen wurden aus einer bestimmten Philosophie gebaut, sie haben sogar eine Philosophie in ihren Baumaßen dargestellt. Dabei wurden Vorstellungen der platonischen Philosophie aufgegriffen.
Kirchen als Widerspiegelung der Baugesetze des Kosmos
Die Grundannahme war, daß die Welt nach bestimmten Baugesetzen geschaffen war. Wenn man diese Gesetze für die Architektur zugrunde legt, würde der Bau die Harmonie des Kosmos widerspiegeln. Es überrascht nicht, daß diese Größenverhältnisse sich in Zahlengrößen wiederfinden, denn Wände, Säulen, die Räume müssen entsprechend bestimmten Zahlengrößen gebaut werden. Für einen Raum, der die Vollkommenheit des Kosmos abbilden soll, mußten Längenverhältnisse gefunden werden, die als vollkommen galten. Bereits Pythagoras hatte diese Verhältnisse in Zahlen definiert: 1:1 und 1:2, 2:3 und 3:4 galten seit diesem Mathematiker des Altertums als vollkommen. Plato hatte diese Lehre in seinem Dialog Timaios über den Aufbau des Kosmos weitergeführt und im 5. Jahrhundert hat der Theologe Augustinus die gleiche Auffassung vertreten. In der Schule von Chartres wurden diese Theorien im 12. Jahrhundert aufgegriffen und theologisch interpretiert. Man konnte an Augustinus anknüpfen, denn dieser hatte bereits die Geometrie als etwas Ewiges erklärt, d.h. die Geometrie gilt nicht nur für die geschaffene Welt, sondern auch für den Himmel. Die irdische Welt unterscheidet sich von der Himmlischen also nicht durch ihre Konstruktionsprinzipien, sondern durch ihre Materialität. Die ewig gültigen Maße sind durch den Schöpfer der Materie eingeformt. Dieser Gedanke lag schon der Vorstellung des Plato zugrunde. Dieser ging jedoch davon aus, daß die Materie als etwas völlig Ungeformtes ewig wäre. Aus dieser formlosen Masse hat der Demiurg, der Weltenschöpfer, unter Anwendung der geometrischen Prinzipien den Kosmos geformt und damit der Materie eine Struktur und Ordnung gegeben. Für das griechische Denken bedeutete Kosmos zugleich auch Ordnung. Für den christlichen Theologen gab es die ewige Materie nicht, sie war für ihn ebenfalls von Gott geschaffen, erhielt aber, so wie es der Schöpfungsbericht der Bibel beschreibt, durch Gott in sieben Tagen eine Ordnung und eine Gestalt. Gott legte für seine Gestaltung des Kosmos die Harmonien des Pythagoras zugrunde. So kann der Mensch im Betrachten der Schöpfung den Gestaltungswillen Gottes erkennen und in der Raumkonzeption einer Kirche abbilden.
Kirchen als Abbild des Himmels
Da die Gesetze der Geometrie auch im Himmel gelten, sind die Kirchen ein Abbild des Himmels, wenn man für die Größenverhältnisse des Raumes die Zahlenverhältnisse zugrunde legt, die seit Pythagoras als die vollkommenen galten. Wer eine romanische oder gotische Kirche ausmißt, stellt fest, daß z.B. die Höhe einer Säule zur Breite des Säulenabstandes sich wie 1:2 oder 3:4 verhält oder ein anderes Verhältnis von Zahlen wiedergibt. Die Baumeister haben also die Kirchen in den Längenverhältnissen gebaut, die seit den Griechen als vollkommen und damit auch für den Himmel galten. Allein die Anwendung der Geometrie machte den Kirchenraum zu einem Abbild des Himmels. Glasfenster, die Zahl Acht, der Platz des Altares, Skulpturen unterstreichen diese Bedeutung des Raumes.
Bestätigung im Alten Testament
Die mittelalterlichen Baumeister suchten natürlich auch in der Bibel nach Anhaltspunkten, wie sie die Kirchen als Haus Gottes konstruieren konnten. Denn wenn in der Bibel Bauanleitungen zu finden sind, kann der Baumeister davon ausgehen, daß er nicht nur ein Menschenwerk vollbringt, sondern ein Bauwerk errichtet, das die Menschen zu Gott führt.
Vier Texte wurden im Mittelalter herangezogen, die Vorgaben beinhalteten für den Bau
1. der Arche, (Genesis 6, 14-16)
2. des ersten Tempels, den der König Salomo errichten ließ (1. Buch der Könige, Kap. 6), und
3. für den Wiederaufbau des Tempels, für den sich beim Propheten Ezechiel genaue Zahlenangaben finden, und schließlich (Ezechiel Kap. 41 und 42)
4. für das neue Jerusalem, das nach der Offenbarung des Johannes nicht mehr auf der Erde gebaut werden muß, sondern das vom Himmel herab schweben wird. (Apokalypse Kap.21)
Die Breite der Arche war mit 50 Ellen, die Höhe mit 20 Ellen vorgegeben (2:5), die Längenverhältnisse des salomonischen Tempels mit dem Verhältnis Höhe zu Breite mit 20 zu 30 Ellen, also 2:3. In all diesen Vorgaben, die nicht vom Menschen erdacht, sondern durch Gott geoffenbart wurden, finden sich die gleichen Größenverhältnisse, wie sie bereits von Pythagoras herausgestellt wurden. Das bestätigte die mittelalterlichen Denker darin, daß die Erkenntnis der Schöpfung zur Erkenntnis Gottes führt. Zu dieser Erkenntnis soll nach dem Willen der Bauleute und ihrer Auftraggeber der Mensch geführt werden, der eine Kirche betritt.
Die Harmonie des Raumes und seine Musikalität
Das Wissen um die Raumkonzeption einer mittelalterlichen Kirche war damals vielen Menschen geläufig. Wir müssen es heute mühsam durch Studium der mittelalterlichen Texte wieder gewinnen. Doch auch ohne dieses Wissen üben diese Kirchenräume eine besondere Wirkung auf uns aus. Die Harmonie, die wir spüren, wird durch die Längenverhältnisse bestimmt und berührt uns wahrscheinlich auch deshalb, weil sie zugleich die musikalischen Baugesetze widerspiegeln, die wir als besonders harmonisch empfinden. Denn die Verhältnisse 1:2 oder 2:3 oder 3:4 entsprechen den Tonabständen der Oktav, der Quint und der Quart. Diese Töne lassen sich durch die entsprechende Unterteilung einer Saite erzeugen. Da die mittelalterliche Architektur dieselben Größenverhältnisse für die Maße des Raumes zugrunde legt, die auch für die Musik gelten, kommt es zu einer Übereinstimmung von Musik und Architektur. Deshalb spüren wir die Harmonie körperlich. Die Musik des Mittelalters, der gregorianische Choral bringt diese Räume in besonderer Weise zu Klingen.