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Im unterirdischen Konzentrationslager Mittelbau-Dorafertigten Zwangsarbeiter Hitlers Wunderwaffe V2. Archäologen erforschten die geflutetenStollen und das Inventar - im Wettlauf mit Plünderern und Alt-Nazis.
Dieserdunkle Stollen. Die Feuchte, die Kälte, die Stille. Und dann noch der modrige Geruch, dieTonnen von Schrott in jeder Ecke, in jedem noch so schmalen Gang.
Plötzlich sinddie Erinnerungen wieder da. Willi Kramer schildert, was er damals gesehen hat: Hallen,die aussehen, als wären sie gerade erst verlassen worden. Werkbänke, verwaisteArbeitsspinde. Auch Fetzen von Häftlingskleidung.
"WUNDERWAFFEN": DIE RESTE DESNAZI-TERRORS
DPA DPA MDR/Tony Vaccaro
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"Selbst jetzt läuft es mir noch kalt den Rückenhinunter, wenn ich an diese Anlage denke." Kramer ist Archäologe, Wissenschaftler. AchtJahre sind seit seinem letzten Tauchgang in die überschwemmten Stollen des ehemaligenKonzentrationslagers Mittelbau-Dora vergangen.
Das gigantische Tunnelsystem amStadtrand des thüringischen Nordhausens war im Zweiten Weltkrieg eines der grausamstenLager des Nazi-Reichs. Häftlinge mussten hier sogenannte Wunderwaffen für ein Regimebauen, das nach mehr als vier Jahren Krieg in die Defensive geraten war und tatsächlichnur noch auf ein Wunder hoffen konnte. Sie montierten die "Flugbombe" V1 und die RaketeV2.
Als 1943 in Peenemünde die Produktionsanlagen für die V2 durch einenbritischen Luftangriff teilweise zerstört worden waren, entschloss sich dasRüstungsministerium, die Fertigung unter Tage zu verlegen. Der Kohnstein bei Nordhausenschien dafür genau der richtige Ort. Zentral gelegen, fernab der Front.
ImAugust 1943 erreichte der erste Häftlingstransport das Lager Dora. In den Wochen danachtrafen fast täglich neue Güterzüge mit Arbeitssklaven ein, die das ehemaligeTreibstofflager im Berg Kohnstein zur Waffenfabrik erweiterten. Allein bei denBauarbeiten sollen fast 6000 Menschen gestorben sein. Bis Kriegsende wurden 60.000Menschen in den verschiedenen Lagern des KZ-Komplexes Mittelbau-Dora interniert.Mindestens 20.000 von ihnen kamen um.
Am 11. April 1945 befreiten die Amerikanerdas Lager. Sofort begannen sie, die im Stollensystem vorhandenen Maschinen zu demontierenund nach Übersee zu verschiffen. Auf wenig Interesse stieß dabei eine komplexePumpanlage, mit deren Hilfe der Kohnstein vom Grundwasser freigehalten wurde. Sieverfiel, einige Teile wurden gestohlen.
Im Laufe der Zeit drang immer mehrWasser durch das Gestein und rieselte direkt in die Produktionshallen. Meter für Meterwurden zahlreiche Stollen überflutet, kleine Seen entstanden. Die Raketenprüfhalle 42steht bis zu neun Meter unter Wasser.
Ende der vierziger Jahre wollte diesowjetische Armee schließlich das Tunnelsystem sprengen. Ohne Erfolg. ZerschmetterteBetonplatten, verbogene Stahlträger und Tonnen von Schutt zeugen von der versuchtenVergangenheitsabwicklung mit Dynamit.
Die Stollen blieben geschlossen, bis zurWende. Es war im Jahr 1992, als Kramer gebeten wurde, nach Thüringen zu kommen Er war zudiesem Zeitpunkt einer der wenigen deutschen Archäologen, die auch über ausreichendeTauchkenntnisse verfügten. In der Ostsee hatte er für das Archäologische LandesamtSchleswig-Holstein an Schiffswracks gearbeitet - Routine für einenUnterwasserarchäologen.
Mittelbau-Dora ist anders. Das wurde ihm schon beiseiner Ankunft klar. "Trotz der Verfremdung, verschiedener Sprengungen durch die Sowjetsund der Dunkelheit ist noch immer spürbar, was die Häftlinge in dem KZ durchmachenmussten", sagt er.
GEFUNDEN IN...
SPIEGEL Special 3/05
Versunkene Welten
Christoph Gerigk/ Franck Goddio/ Hilti Foundation
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Das Wasser, in das er und sein Team getaucht sind,ist eine schlimme Giftsuppe. Auf der Oberfläche schwimmt ein dünner Dieselfilm, vermischtmit Betonkrümeln und Staubpartikeln. Die grünliche Farbe kommt von einem Grundstoff zurGipsproduktion, der aus dem Berg herausgewaschen wurde. Die Wassertemperatur liegtkonstant bei sieben bis acht Grad, der Sauerstoffgehalt geht nahe null. Kaum einLebewesen kann hier überleben. Der Nazi-Schrott schon.
Denn wo kein Sauerstoffist, kann auch nichts rosten. Und die niedrige Temperatur hat dazu beigetragen, dass diemeisten der zurückgelassenen Gegenstände wie in einer Zeitkapsel überdauert haben - 60Jahre lang -, ohne größeren Schaden zu nehmen. Nur eine dünne Schlammschicht hat sich mitden Jahren auf das Inventar gelegt, eine Folge der Sprengversuche. Archäologen giltMittelbau-Dora als Fundgrube.
"Als ich vor 14 Jahren hier hinkam, hätte man sichsogar noch eine V1 zusammenbauen können", sagt Kramer. "Die Flügel standen in denüberfluteten Regalen, auch andere Teile. Alles war noch da. Die Bauelemente musste mansich nur zusammensuchen."
"An einer Stelle fanden wir unter Betonplatten einenkomplett mit Wasser gefüllten Raum. Da stand noch die Kaffeetasse auf der Werkbank, dieWerkzeuge im Regal, Lampen waren noch an der Decke. Es war so unheimlich."
Dererfahrene Archäologe hat jedes noch so kleine Detail inventarisiert, Räume vermessen.Später sind daraus 3D-Modelle entstanden, auch eine DVD mit dem komplettenBestandskatalog.
Als Kramer und seine Kollegen zum ersten Mal in dieFertigungshallen des ehemaligen Konzentrationslagers abtauchten, begann ein Wettlauf mitder Zeit. Diebesbanden hatten Mittelbau-Dora schon früh für sich entdeckt. JedesFundstück hat eine Geschichte. Und jedes Fundstück ist Teil einer Geschichte. All dasdrohte auch im Südharz verlorenzugehen.
Kramer schätzt, dass seit der Wende etwa70 Tonnen Material aus den Stollen gestohlen wurden. Das meiste in den Jahren von 1993bis 1998. In dieser Zeit verweigerte ein Bergwerksbetreiber, der auf der anderen Seitedes Kohnsteins Gips abbaute, den Unterwasserarchäologen sämtliche Forschungsarbeit. Zwargehört das Inventar im Berg dem Land Thüringen. Das Hausrecht über das Tunnelsystem hattejedoch der Privatunternehmer.
"Der Stollen ist ein Tatort. Hier haben Verbrechenstattgefunden. Und die Beweisstücke liegen immer noch da", sagt Jens-Christian Wagner.Der Leiter der KZ-Gedenkstätte ist überzeugt, dass Kramers Arbeit von unschätzbarem Wertfür die Geschichtsschreibung sei: "In Ägypten freuen sich die Archäologen, wenn sie einGrab finden, das noch nicht geplündert wurde. Hier freuen wir uns, wenn wir in einenStollen gehen, in dem wir noch alles finden, was damals von Herrn Kramer inventarisiertwurde."
Es waren vor allem Nazis und Pseudohistoriker, die in den Kohnsteineindrangen. Die einen wollten sich ein Andenken daran sichern, was Hitlers Ingenieure inden vierziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts entwickelt hatten. Bei anderen war esblinde Sammelwut. Im April 2002 fasste die Polizei zwei Männer aus Mittelhessen. Siehatten sich über einen Hintereingang in das Stollensystem abgeseilt.
Im Gepäckhatten die Diebe zwar nur ein paar unbedeutende Bauteile, bei einer Hausdurchsuchung imheimischen Herborn stießen die Beamten jedoch auf ein kleines Privatmuseum.Raketenkomponenten, Panzerfäuste, Stabbrandbomben, Handgranaten - alles fein säuberlichausgestellt. Sogar der Kampfmittelräumdienst musste anrücken, weil manche Bombenzündernoch scharf waren.
Seit zwei Jahren ist nun auch der Hintereingang versperrt.Der Bergwerksbetreiber hat Pleite gemacht. Mittlerweile gibt es kaum noch Plünderungen.
Willi Kramer stieg im Jahr 1998 zum letzten Mal in die Unterwasserstollen vonMittelbau-Dora hinab. Fünf Jahre später hat ihn ein kanadisches TV-Team eingeladen, denKohnstein noch einmal zu besuchen. Er hat zugesagt, und es schon kurze Zeit späterbereut. Gemeinsam sind sie durch den gut beleuchteten Besucherstollen gegangen, in demnur ganz am Ende Wasser steht.
Gigantische Wände links und rechts, Decken sohoch wie die einer Kirche. Ein Steg führt durch betonierte Tunnel, seitlich davon türmensich die Überreste der Raketenproduktion: Leitwerke, Lenksysteme, Flügelteile - ingroßen, halb sortierten Haufen. Daneben die Trümmerteile der Ausbauten, Stahlschrott,pulverisierte Betonblöcke. Und diese stickige, feuchte Luft bei konstant neun Grad. "Ichhabe gefühlt, wie es den Häftlingen ging, die damals dort arbeiten mussten", sagt Kramer."Ich bin heilfroh, dass ich nie wieder dort hineinmuss."