Die Gespräche im Jahr 1980 sind von besonderer Intensität und Tiefe. Krishnamurti macht hier ungewöhnlich eingehende Aussagen über jene Verfassung des Geistes, die zum Vorschein kommt, wenn die Gefangenschaft im herkömmlichen menschlichen Denken und Fühlen ein Ende findet. Ausgangspunkt der Gespräche ist die Frage, wo oder weshalb die Menschheit die falsche Richtung eingeschlagen hat, weg von der unteilbaren Einheit und Ganzheit des Lebens hinein in die Verwicklungen eines Einzelbewusstseins, das sich vom Außen und den anderen zunehmend abtrennt und auch in sich selbst gespalten ist. Im zweiten Gespräch beschreibt er so etwas wie drei Ebenen, Formen oder Verfassungen des Geistes – Einzelbewusstein (particular mind), universelles Bewusstsein und den Grund des Seins. Hier zeigt sich auch der gänzlich andere Seinszustand aus dem Krishnamurti das Leben und die innere Verfassung der Menschheit wahrnimmt:
K: Gibt es also etwas jenseits der kosmischen Ordnung, jenseits des Geistes?
DB: Sagen Sie damit, dass das Universum, dass jener Geist die Natur geschaffen hat, die geordnet ist und nicht bloß mechanisch abläuft? Dass sie einen tieferen Sinn hat?
K: Das ist es, was wir zu entdecken versuchen.
DB: Sie führen das ganze Universum an und auch die Menschheit. Warum tun Sie das? Was ist die Quelle dieser Wahrnehmung?
K: Wir wollen noch einmal anfangen: Da ist das Ende des ›Ich‹ als Zeit, und deshalb kommt es zu keinem Hoffen. Das alles hat aufgehört, ist vorbei. Wenn das aufhört, entsteht diese Empfindung des ›Nichts‹. Und ›Nichts‹ – das ist dieses ganze Universum.
DB: Ja, der Universalgeist, die Universalmaterie.
K: Das ganze Universum.
(Pause)
DB: Was hat Sie dazu gebracht, das zu sagen?
K: Nun, ich weiß. Um es ganz einfach zu sagen: Die Teilung und Trennung hat aufgehört. Nicht wahr? Die Teilung, die durch die Zeit hervorgerufen wird, die vom Denken geschaffen wird, die durch diese Erziehung entsteht und so weiter – das alles. Weil das aufhört, wird das andere offenbar.
DB: Sie meinen, ohne die Teilung und Trennung ist das andere da – kann es wahrgenommen werden?
K: Es kann nicht wahrgenommen werden – aber es ist da.
DB: Aber wie wird man dessen gewahr, dass es da ist?
K: Ich denke nicht, dass man dessen gewahr wird.
DB: Was hat Sie dann dazu veranlasst, das zu sagen?
K: Würden Sie sagen, dass es ist? Nicht, dass ich es wahrnehme oder dass es wahrgenommen wird.
DB: Ja, es ist.
K: Es ist.
DB: Sie könnten fast sagen, dass Es dieses sagt. Irgendwie scheinen Sie anzudeuten, dass Es das ist, was es sagt.
K: Ja, ich wollte das nicht aussprechen – es freut mich, dass Sie es so gesagt haben!
(Pause) ...
Die Ursache des geistigen Konflikts
Krishnamurti (K): Wie wollen wir anfangen? Ich möchte die Frage stellen, ob die Menschheit in die Irre gegangen ist.
David Bohm (DB): In die Irre? Nun, das ist sie wohl, ich denke, schon vor langer Zeit.
K: Ich empfinde das auch so. Vor langer Zeit … Es sieht so aus – warum? Wissen Sie, wie ich das sehe, hat die Menschheit immer versucht, etwas zu werden.
DB: Ja, das ist möglich. Ich las einmal – und das hat mich sehr beeindruckt –, dass der Mensch vor ungefähr fünf- oder sechstausend Jahren in die Irre ging, als er zu plündern und Sklaven zu nehmen begann. Danach bestand der Hauptzweck seines Daseins darin, Beute zu machen und zu plündern.
K: Ja, aber da gibt es noch dieses Gefühl, innerlich etwas werden zu wollen.
DB: Wir sollten also den Zusammenhang klären. Um was für eine Art des Werdens ging es dabei? Der Mensch hielt es zu einer bestimmten Zeit für einfacher, seine Nachbarn zu plündern, als konstruktiv zu sein und neue Techniken und Werkzeuge und so weiter zu erfinden. Was denn wollten diese Menschen werden?
K: Konflikt ist die Wurzel all dessen.
DB: Worin bestand der Konflikt? Wenn wir uns in die Lage jener frühen Menschen versetzen könnten – wie würden Sie diesen Konflikt dann sehen?
K: Was für eine Wurzel hat der Konflikt? Nicht nur der äußere, sondern auch dieser große innere Konflikt der Menschheit? Was für eine Ursache hat er?
DB: Nun, allem Anschein nach sind widersprüchliche Wünsche die Ursache.
K: Nein. Verlangen nicht alle Religionen, dass man etwas werden, etwas erreichen soll?
DB: Aber wie kam es, dass die Menschen das wollten? Warum waren sie nicht mit dem zufrieden, was immer sie waren? Sehen Sie, die Religion hätte keinen Anklang gefunden, wäre es den Menschen nicht verlockend erschienen, mehr zu werden.
K: Ist das nicht eine Ausflucht? – die Unfähigkeit, sich dem Tatsächlichen zu stellen, weshalb man sich woanders hinwendet, nach mehr und mehr und mehr verlangt?
DB: Was war Ihrer Meinung nach dieses Tatsächliche, dem sich die Menschen nicht stellen konnten?
K: Die Christen haben es die Erbsünde genannt.
DB: Aber der Mensch ging lange vorher in die Irre.
K: Ja, lange vorher. Lange vorher hatten die Hindus die Vorstellung vom Karma. Was ist der Ursprung von all dem?
DB: Wir haben festgestellt, dass die Menschen nicht beim Tatsächlichen bleiben konnten. Was immer dies auch war – sie wollten sich etwas Besseres vorstellen.
K: Ja, etwas Besseres – das Werden.
DB: Und Sie könnten sagen, dass sie damit anfingen, Dinge technologisch zu verbessern. Dann aber dehnten sie das aus und sagten: »Auch ich muss mich bessern.«
K: Ja, innerlich besser werden.
DB: Wir alle zusammen müssen besser werden.
K: Das stimmt. Was ist die Wurzel von all dem?
DB: Nun, ich meine, dass es ganz natürlich für das Denken ist, dieses Ziel des Besserwerdens zu projizieren. Das heißt, es ist der Struktur des Denkens innewohnend.
K: Hat sich das Prinzip der Verbesserung im Äußeren auf das Besserwerden im Inneren verlagert?
DB: Wenn es gut ist, sich im Äußeren zu verbessern, warum sollte ich dann nicht auch innerlich besser werden?
K: Ist das die Ursache des Konflikts?
DB: Wir sind nahe dran – kommen der Sache näher.
K: Kommen wir wirklich näher? Ist etwa Zeit der Faktor? Zeit im Sinne von: »Ich benötige Wissen, um dies oder das zu tun«? Ist es das gleiche Prinzip, das im Innern angewandt wird? Ist Zeit der Faktor?
DB: Ich kann mir nicht vorstellen, dass Zeit an sich der einzige Faktor sein kann.
K: Nein, nicht die Zeit – das Werden, das Zeit einschließt.
DB: Ja, aber uns ist nicht klar, warum die Zeit der Faktor sein soll, der Schwierigkeiten verursacht. Wir können doch wohl sagen, dass Zeit, im Äußeren verwendet, keine Schwierigkeiten bereitet.
K: Sie bereitet gewisse Schwierigkeiten. Aber wir sprechen jetzt über die Vorstellung von der Zeit im Innern.
DB: Wir müssen also erkennen, warum die Zeit im Innern so zerstörerisch ist.
K: Weil ich etwas zu werden versuche.
DB: Ja, aber die meisten Leute würden sagen, dass das nur natürlich ist. Sie müssen erklären, was denn am Werden so verkehrt ist.
K: Wenn ich versuche, etwas zu werden, ruft das offensichtlich Konflikt hervor. Das ist ein fortwährender Kampf.
DB: Ja. Das sollten wir noch genauer betrachten. Warum ist es ein fortwährender Kampf? Es ist doch kein Kampf, wenn ich versuche, meine äußere Position zu verbessern.
K: Im Äußeren ist es keiner. Mehr oder weniger ist das im Äußeren in Ordnung. Wenn aber dasselbe Prinzip im Inneren angewendet wird, ruft es einen Widerspruch hervor.
DB: Und der Widerspruch besteht …?
K: Zwischen ›dem, was ist‹, und dem ›werden, was sein sollte‹.
DB: Die Frage ist nun: Warum ist es im Inneren ein Widerspruch und nicht im Äußeren?
K: Im Inneren baut es ein Zentrum, ein egoistisches Zentrum auf. Nicht wahr?
DB: Ja, aber können wir einen Grund dafür entdecken, warum es das tut? Baut es sich auch auf, wenn wir unsere äußere Position verbessern? Das braucht es doch wohl nicht.
K: Nicht unbedingt.
DB: Doch wenn wir das im Inneren tun, versuchen wir, uns selbst dazu zu zwingen, etwas zu sein, das wir nicht sind.
K: Ja, das ist tatsächlich so. Liegt es vielleicht daran, dass das Gehirn so an Konflikt gewöhnt ist, dass man jede andere Weise zu leben verwirft?
DB: Aber warum sind die Menschen zu dem Schluss gelangt, dass Konflikt unvermeidlich und notwendig ist?
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http://www.jkrishnamurti.de/WzS01-1.569.0.html (Archiv-Version vom 10.09.2016)