Interstellare Reisen nüchtern betrachtet
21.12.2023 um 18:43
Nüchtern:
Es gibt zwei Hindernisse für jegliche Form der interstellaren Reise.
1. Energie :
Die ist nun mal nicht in unendlichen Mengen vorhanden und lässt sich nicht beliebig nutzen, umwandeln, speichern...
Selbst ein Raumschiff, das jede beliebige Energiequelle "anzapfen" und in eigenen "Treibstoff" verwandeln könnte, würde nicht unendlich lange funktionieren (egal, welche Technologie man verwendet). Und da wären wir bei...
2. Zeit:
Auf die müssen wir leider Rücksicht nehmen, da es nicht schneller als Lichtgeschwindigkeit geht. Selbst mit unbemannten Sonden (die momentan das einzig Sinnvolle sind, wenn man weiter entfernte Objekte untersuchen will), kommt man hier irgendwann an einen Punkt, der die Sache sinnlos werden lässt.
- Entweder ist die Sonde irgendwann zu beschädigt (z.B. durch Mikrometeorite), technisch veraltet / obsolet, nicht mehr steuerbar, oder ganz einfach aufgrund der Entfernung nicht mehr in der Lage, mit der Erde Kontakt aufzunehmen.
Wir sehen das an den Voyager-Sonden, die immer noch "gerade so" funktionieren, womit niemand gerechnet hat. Sie können noch Daten übermitteln, aber das Ende ist in Sicht (Reichweite des Senders, Beschädigungen, Kapazität der Isotopenbatterien...).
Die Voyager-Sonden repräsentieren also einerseits eine sehr zuverlässige Technik, andererseits würde man das heute anders bauen ("Dawn" und "New Horizons" z.B.). Die Unterschiede der Technik von 1977 (Voyager) und 2006 (New Horizons) sind beträchtlich. Nach 30 Jahren wäre auch eine neue Voyager-Sonde nicht mehr das, was man für viel Geld in den Weltraum schießen würde. Wie sieht es da bei noch längeren Zeiträumen aus?
Ein Experiment
Was wäre, wenn wir wirklich in der Lage wären, eine Sonde nach Proxima Centauri zu schicken?
Fernsteuern könnten wir die nicht mehr. Es müsste eine KI an Bord sein, die das erledigt. Insofern (und wenn es wirklich funktioniert, wie wir das gerne hätten) wäre hiermit der virtuelle Astronaut schon mal an Bord. Von Bewusstsein wollen wir nicht reden, es geht um komplexe Strategien zur Problembewältigung und um möglichst hohe Effizienz bei der Sammlung und Weiterleitung von Informationen über große Distanzen.
Ebenso müsste eine Energieversorgung vorhanden sein, die noch funktioniert, wenn kein Sonnenlicht mehr vorhanden ist (Solarzellen sind jenseits der Jupiter-Bahn nicht mehr sinnvoll). Chemische Energie können wir vergessen, es bleibt eigentlich nur Atomkraft (Kernspaltung) oder Fusion, wenn die wirklich mal funktionieren würde.
Die Reisezeit könnte man - bei 5% der Lichtgeschwindigkeit - auf knapp 100 Jahre festlegen. (Das Raumschiff muss bremsen, beschleunigen und verschiedene Orbitalmanöver ausführen, die 5% LG erreicht man bestenfalls, wenn man zwischen zwei Sonnensystemen unterwegs ist.)
Am Ziel müsste die Sonde dann natürlich noch ihrer Arbeit nachgehen und alles nach Hause senden. Auch dafür muss noch Energie vorhanden sein. Wir sollten also großzügig auf 150 Jahre Betriebszeit aufrunden.
Wir brauchen also (unter den optimistischsten Annahmen) eine Energiequelle, die mindestens 100 Jahre (150 Jahre sind vollkommen überzogen.) verlässlich funktioniert. Kennt hier jemand ein Atomkraftwerk, das seit 100 Jahren ohne Störfall läuft? Selbst davon sind wir noch endlos weit entfernt. Das Ganze so weit zu miniaturisieren, dass man es in eine Sonde einbauen kann, um es dann auf eine Rakete zu montieren und in den Weltraum zu schicken - vergessen wir das mal lieber.
Die Voyager-Sonden hatten übrigens sogenannte Isotopenbatterien an Bord, hier wird durch einen langsamen Zerfall radioaktiver Elemente eher wenig Energie erzeugt. Für Übertragungen aus der Neptun-Bahn mag das noch reichen. Eine Sonde, die aus knapp 5 Lichtjahren Entfernung zuverlässig die Erde kontaktieren muss (ansonsten wäre das ganze Programm gescheitert) braucht etwas Stärkeres. Moderne Übertragungstechniken können den Energiebedarf für den Sender minimieren, aber bei den Entfernungen, über die wir hier reden, hilft das auch nicht mehr.
Das sind nur ein paar Gedanken zu den Problemen, die sich ergeben, wenn man heute versuchen würde, unseren nächsten Nachbarstern zu erreichen. Und das ist noch nicht mal wirklich weit weg!
Immerhin, wir haben es geschafft, Sonden zum Pluto zu schicken, oder auf Titan zu landen, oder inzwischen schon etliche Rover auf dem Mars herumfahren lassen. Selbst Materie von Asteroiden haben wir erfolgreich eingesammelt. Wer hätte das vor 50 Jahren für möglich gehalten?
Was geht wirklich?
Überlichtschnelle Raumfahrt überlassen wir mal der SF. Sich durch Schwarze Löcher (oder Wurmlöcher) zu schlängeln, ist auch nicht realistisch. Was bleibt, ist der mühsame Versuch, mit maximal 10-20% der Lichtgeschwindigkeit durch das Weltall zu humpeln.
Energiequellen für diese Art des Reisens sind nicht verfügbar. Fusion wäre eine Möglichkeit, wenn es sie mal gäbe. Sonnensegel wären auch eine Möglichkeit, wenn man das Problem der Steuerung (kurzfristige Ausweichmanöver) in den Griff kriegen würde. Ein Daedalus-Antrieb (Trägheitsfusion) oder ein Orion-Antrieb (einzelne nukleare Impulse durch hinter dem Raumschiff gezündete Atombomben) wirft mehr Probleme auf, als er löst: Die Raumschiffe müssten riesig sein, und tausende von Mini-Atombomen in den Orbit zu schießen, um sie dann in ein Raumschiff einzubauen, könnte im schlimmsten Fall unsere Atmosphäre verseuchen. (Wir sollten nicht zu sicher sein, dass Raketen grundsätzlich immer im Orbit landen. Manchmal explodieren sie auf halben Weg.)
Das in diesen Raumschiffen keine Menschen unterwegs sein sollten, haben schon die Konzept-Entwickler in den 70ern klargestellt.
Die theoretische Reichweite eines solchen Raumschiffs wird durch viele Faktoren limitiert, optimistische Schätzungen gingen von ca. 12 Lichtjahren aus.
Wie gesagt, das alles geht nur, wenn das Problem der Treibstoff- und Energieversorgung gelöst ist.
Wenn ich mir so anschaue, welche Fortschritte wir momentan machen, und wenn ich mir überlege, welche Probleme alleine eine Sonden-Mission zum nächsten Stern mit sich bringt, dann schätze ich mal, dass wir in 100 Jahren so weit sind.
Alles, was danach kommt, ist reinste Spekulation. Menschliches Bewusstsein im Computer? - Lieber nicht. Menschliche Bewusstseine sind irgendwann nicht mehr zuverlässig. Schneller als das Licht? Ja, vielleicht in einem anderen Universum. Endlose Reisen im Weltraum? Warum nicht, das Problem ist nur, dass er ziemlich groß und ziemlich leer ist (und man garantiert in die falsche Richtung fliegt). Ewiges Leben als sich selbst immer wieder reparierendes, intelligentes Raumschiff? Spätestens, wenn der Protonenzerfall einsetzt, wird das nichts mehr. Und schon lange vorher wird es verdammt langweilig.