Interstellare Reisen nüchtern betrachtet
23.12.2023 um 06:52
Wenn es so einfach wäre.
Wir brauchen Energie nicht nur für den Sender, sondern für sehr viel mehr.
Ganz einfach ausgedrückt: Eine Sonde, die wir in ein benachbartes Sonnensystem schicken wollen, ist etwas ganz Anderes, als eine Sonde, die wir zum Mars schicken. Sie ist eine deutlich größere Herausforderung für Wissenschaft, Technik, Wirtschaft, politische Systeme (Staaten, UNO...) Weltraumagenturen und wahrscheinlich noch sehr viele andere Dinge, an die wir heute noch gar nicht denken. Diese Sonde wird das Größte sein, was man bis dahin auf den Weg gebracht hat, das Teuerste sowieso, und alle anderen Dinge, die die Menschheit bis dahin auf diesem Sektor erreicht hat, werden dagegen winzig wirken.
Größe:
Die Größe der Sonde ergibt sich aus der gestellten Aufgabe.
Natürlich kann auch eine kleine Sonde (wie die beiden Voyagers oder New Horizons) irgendwann ein anderes Sonnensystem erreichen, aber wir wollen in einem absehbaren Zeitraum Resultate sehen. Deswegen sind Reisezeiten von 100 Jahren (5% LG zu Proxima) schon hart am Limit von dem, was man noch als sinnvoll bezeichnen kann. 50 oder 30 Jahre wären deutlich besser.
Der Antrieb (inklusive Treibstoff) braucht auf jeden Fall eine Menge Platz. Die an Bord befindlichen Computer (bei der gestellten Aufgabe bräuchten wir heute eine ganze Serverfarm) brauchen Platz. Alles muss doppelt und dreifach redundant ausgelegt sein. Zum Manövrieren braucht man Korrekturtriebwerke, die (inklusive Treibstoff) auch Platz brauchen. Für die Erkundung des bereits jetzt bestätigten Planeten braucht man mindestens eine Sonde, besser wären mehrere (im Orbit und als Lander / Rover). Die brauchen auch Platz.
Sollte man noch einen Planeten entdecken, oder interessante Asteroiden oder Monde, wären ein paar Reserve-Sonden ganz nützlich. Auch hier wieder: Man braucht Platz.
Am Ziel angekommen, wird die Sonde selbständig navigieren müssen. Für die kleineren Sonden, die zur Planetenerkundung mitgenommen wurden, müssen die für den Zweck optimalen Orbits oder Landezonen auf dem Planeten bestimmt werden. Da kein Mensch an Bord ist, und da man auch schlecht wegen jeder Kleinigkeit auf der Erde nachfragen kann (bis die Antwort kommt, dauert es fast 10 Jahre!) muss hier eine wirklich leistungsfähige KI an Bord sein. Ein ChatGPT-Papagei wird die Sache garantiert vergeigen. Das setzt leider entsprechende Hardware (und den dafür nötigen Platz) voraus.
Ich gehe mal davon aus, dass man unterwegs keine wirklich interessanten Dinge sehen wird, wenn doch, wäre es sinnvoll, noch verschiedene andere Sonden, die speziell für den Kuipergürtel und die Oortsche Wolke entwickelt wurden, mitzunehmen.
Künstliche Intelligenz:
Im Proxima-System angekommen (wenn die Mission es bis dahin geschafft hat, aber ich bin ja optimistisch) wird die Menge an Daten, die zu übertragen ist, sehr schnell anwachsen. Der Sender wird also pausenlos beschäftigt sein. Nebenbei müssen die Daten auch zwischengespeichert und interpretiert werden, die KI muss dann eventuell die Prioritäten umsortieren und den Ablaufplan der Erkundung des Systems ändern. Mit einer Isotopenbatterie kommt man da nicht weit, selbst wenn man eine Tonne Kondensatoren anschließt. Ebenso muss die KI interpretieren können, welche Daten wichtiger (mit höherer Priorität zu senden) sind.
Man könnte jetzt einwenden, dass in den nächsten Jahrzehnten die Miniaturisierung im Computerbereich bestimmt gewaltige Fortschritte machen wird, so dass die Serverfarm an Bord irgendwann nur noch so groß ist wie ein Thin Client. Ich befürchte, dass mit konventioneller Chip-Technik nicht mehr viel möglich ist. Wir sind momentan bei Strukturbreiten von 5 Nanometern angelangt, viel Luft nach unten ist nicht mehr. Alternative Konzepte wie z.B. optische Schaltkreise würden hier gleich mehrere Probleme lösen, die Frage ist nur, wann die in entsprechenden Mengen verfügbar sind. Über Quantencomputer könnte man auch nachdenken, aber in den nächsten 10-20 Jahren sehe ich schwarz, was die Verwendbarkeit außerhalb der sicheren und stabilen Umgebung eines Labors oder Rechenzentrums angeht.
Kommen wir erst mal wieder auf das Problem des Antriebs zurück, hier mal ein paar Gedanken zu verschiedenen Systemen:
1. Sonnensegel
Natürlich könnte man einwenden, dass ein Sonnensegel das Mitführen von eigenem Treibstoff weitgehend überflüssig macht. Allerdings strahlt jeder Stern seine Energie kugelförmig in den Raum ab, und die Leistung des Strahlungsdrucks verringert sich sehr schnell, wenn man erst mal am Jupiter vorbeigeflogen ist. Man könnte das Sonnensegel vergrößern (auch dynamisch, während der Reise) - entsprechend dünne Folien wird man in absehbarer Zeit herstellen können. Für eine dauerhafte Beschleunigung auf 10% LG würde das Segel aber irgendwann die Ausmaße eines Bundeslandes annehmen (und ich meine hier nicht das Saarland!). Selbst aus noch so dünner Folie hätte so ein Segel eine beträchtliche Masse.
Dazu kommt das Problem, dass während der Reise mehrere Asteroidengürtel durchflogen werden. Ich wage mal die Prognose, dass nach einer Teilstrecke von einem Lichtjahr das Segel ziemlich durchlöchert ist.
Natürlich könnte man das Segel auch kleiner machen und mit einem starken Laser von der Erde aus beschleunigen. Aber das bringt auch wieder neue Probleme mit sich: Wir müssten nicht nur eine riesige Sonde im Orbit zusammenbauen, sondern auch noch einen riesigen Laser.
Den Laser könnten wir natürlich mit Sonnenenergie betreiben, die Frage ist nur: Wo soll die Station mit dem Laser hin? Der Laser müsste ungehindert und mit gleichbleibender Präzision auf das Segel der Sonde feuern. Auf der Erde oder dem Mond können wir so etwas nicht installieren, aufgrund der Eigenrotation hätte man täglich nur wenige Minuten, um die Sonde anzuschieben. Dazu kommt, dass der Laser eventuell längere Zeit unterbrochen wird, weil sich ein anderer Planet oder sogar die Sonne zwischen ihn und die Sonde schiebt. Der Laser müsste also deutlich außerhalb der Ekliptik positioniert werden. Wie er dort seine Position halten soll (Lagrange-Punkte gibt es da nicht!) wird die nächste Herausforderung sein.
2. Trägheitsfusion (Daedalus)
Hier wird mit mehreren Lasern auf ein Pellet, in dem sich Wasserstoff (eventuell auch Helium, Helium 3 vom Mond wäre natürlich die erste Wahl) geschossen. Der Inhalt des Pellets fusioniert daraufhin und setzt mehr Energie frei, als durch die Laser hineingepumpt wurde.
Auf der Erde sind die Resultate momentan dürftig, bei einem einzigen Experiment wurde mehr Energie erzeugt als hineingesteckt wurde.
Noch ein Problem ist die Synchronisierung von mehreren Laserstrahlen (bei der National Ignition Facility sind es 192 Stück). Die Größe und der Energiebedarf einer solchen Anlage lässt jeden Einbau in ein Raumschiff absolut unmöglich erscheinen.
Immerhin hätte dieser Antrieb aber einen Vorteil: Anders als beim nächsten Modell ist der Absturz oder die Explosion einer Rakete, die mit solchen Pellets beladen ist, keine wirkliche Katastrophe.
3. Nukleares Pulstriebwerk (Orion)
Hier werden kleine Atombomben als Antrieb benutzt, die hinter dem Raumschiff detonieren und es so "anschieben".
Der große Vorteil ist, dass wir diese Technik heute schon haben. Der noch größere Vorteil wäre, dass wir Atombomben endlich mal für etwas Sinnvolles einsetzen können. Der riesige Nachteil ist, dass wir die Antriebs-Atombomben für unsere Sonde in den Orbit befördern müssen, und dabei kann viel daneben gehen.
Trotz dieses gigantischen Nachteils sehe ich hier die einzige Möglichkeit, ein realistisches, ausreichend schnelles und zuverlässiges Antriebssystem zu bekommen. Ich würde also jederzeit auf diesen Antrieb wetten, da es auch in absehbarer Zukunft für große Entfernungen keine bessere Methode geben wird.
Leider nicht die erste Wahl ist auch der
4. Ionentriebwerk
Tatsächlich startete die erste Raumsonde mit Ionentriebwerk schon 1998 (Deep Space 1), andere bekannte Sonden mit diesem Antrieb waren Hayabusa und Dawn. Alle Sonden mit Ionenantrieb waren bis jetzt eher kleine Raumfahrzeuge. Den Ionenantrieb auf die Größe unserer Sonde zu skalieren, würde wieder neue Probleme mit sich bringen (Energiebedarf). Aus diesem Grund lasse ich den Ionenantrieb mal außen vor, genau wie...
5. Chemische Triebwerke
Es versteht sich von selbst, dass dieser Antrieb bestenfalls für die Steuerdüsen verwendet werden sollte. Chemischer Treibstoff, egal mit welchem Energiegehalt, müsste in solch gewaltigen Mengen mitgeführt werden, dass wir die Sache gleich vergessen können.
Grundsätzliches zu allen Antrieben:
Dass man bei 10 - 20% LG keine Ausweichmanöver fliegen kann, sollte klar sein. Wenn also in einem Lichtjahr Entfernung ein dunkler Kleinplanet in der Flugbahn der Sonde auftaucht, den man nicht bemerkt hat, dürfte es das für die Mission gewesen sein.
Mit einem Sonnensegel könnte man noch nicht mal bremsen. Alle anderen Systeme lassen das zu (z.B. durch "umdrehen" der Sonde). Ob und wie man einen Kleinplaneten überhaupt rechtzeitig erkennen kann, wäre auch noch zu klären. Optisch eher nicht, Infrarot bringt auch nichts (der Planet ist garantiert genau so kalt wie der umgebende Weltraum). Radar würde vielleicht noch gehen, aber auch hier kommt wieder die Frage nach der Energieversorgung und dem Platzbedarf auf. Ein über Jahrzehnte permanent laufendes System zur Erkennung von gefährlich großen Himmelskörpern in der Flugbahn der Sonde wäre aus Sicherheitsgründen optimal, aber der Energieverbrauch und die Zuverlässigkeit in Relation zum Sicherheitsgewinn müsste erst mal geklärt werden.
Energie:
Wenn wir uns für das nukleare Pulstriebwerk entscheiden und einen "gewöhnlichen" Atomreaktor zur Stromversorgung nehmen, sollten die Fragen zum Thema "Antrieb" und "Versorgung" beantwortet sein.
Isotopenbatterien als Notfall-Systeme oder zur Versorgung der mitgeführten kleineren Sonden wären natürlich auch dabei, immerhin haben wir mit diesen Systemen eine erprobte und zuverlässige Technik, die nebenbei auch jetzt schon vorhanden ist.
Schutz vor kosmischem Staub:
Da unsere Sonde unterwegs vielen Gefahren ausgesetzt ist (Strahlung, Mikrometeorite) brauchen wir natürlich auch eine massive Hülle. Der mehrschichtige Aufbau der ISS-Hülle ist z.B. etwas, an dem man sich orientieren könnte. In Flugrichtung brauchen wir leider einen massiven Schild, der in der Lage sein muss, die Sonde (auch bei den erwarteten Geschwindigkeiten) vor kosmischem Steinschlag zu schützen. Ob es momentan wirklich Materialien gibt, die eine solche Belastung aushalten, kann ich leider nicht beurteilen. Die Sonde würde sich mit einer sehr viel größeren Geschwindigkeit bewegen als alles, was wir bisher gebaut haben - entsprechend massiver müsste diese Panzerung sein. Staubkörner, die eventuell mit mehr als 20% LG einschlagen, kann man auf der Erde leider nicht simulieren. Auch hier muss also erst mal Grundlagenforschung betrieben werden, wobei sich die Frage stellt, wo und wie.
Kommunikation:
1858 wurde das erste tranatlantische Seekabel in Betrieb genommen. Übertragen wurden Morsezeichen. Die kamen allerdings so schlecht an, dass die Übertragung von 103 Wörtern 16 Stunden dauerte. Bis dahin hatte noch niemand elektrische Signale über eine so lange Strecke durch ein Kabel gesendet.
Wenn wir davon ausgehen müssen, dass Theorie und Praxis sich immer unterscheiden, dann müssen wir leider auch der Tatsache ins Auge sehen, dass noch nie jemand Funksignale aus knapp 5 Lichtjahren Entfernung gesendet hat. Natürlich kann man berechnen, wie stark der Sender sein müsste, aber wenn selbst der stärkste Sender in der Praxis zu schwach ist, hätten wir keine Möglichkeit, die Erkenntnisse unserer Sonde jemals zu Gesicht zu bekommen.
Aus diesem Grund könnte man z.B. die Nutzlast weiter erhöhen, indem man in Abständen von jeweils einem halben Lichtjahr spezielle Satelliten aussetzt, die dann als Relaisstationen fungieren. Auch dafür braucht man wieder Platz, Energie und Schubkraft. Ein Fass ohne Boden.
Jetzt noch etwas Grundsätzliches:
Eine Sonde dieser Größe erfordert leider eine andere Welt. Hier und heute, auf unserer Erde, kann sie nicht entstehen. Wir haben dermaßen viele andere Probleme, dass wir vielleicht darüber nachdenken sollten, erst mal das Naheliegende zu tun. Die Probleme, die erst mal auf der Erde gelöst werden müssen (wirtschaftlich, politisch, technisch, ökologisch, gesellschaftlich...) sind so groß und so viele, dass eine Expedition in ein anderes Sonnensystem totaler Schwachsinn wäre.
Ich sehe das so:
Der Bau einer solchen Sonde wäre - so sehen das sicher alle - das Größte, was die Menschheit jemals geleistet hat.
Nein. Das stimmt nicht.
Das Größte wäre, erst mal dafür zu sorgen, dass die Probleme auf der Erde gelöst sind. Und dann könnten wir uns selbst belohnen und unseren Horizont über unser eigenes Sonnensystem hinaus erweitern. Vorher sind wir dazu noch nicht reif genug.