Palio schrieb:@perttivalkonen: Deine Meinung ist, dass es sich um ein sich-Aufmachen handelt, im Sinne von sich in Gang setzen, der Beginn einer Aktivität aus einer passiven Situation heraus und dass Hesekiel nur das gemeint habe. Das könnte passen, wenn es zuerst genannt würde. Zuerst genannt wird aber das Gehen.
Wieso macht die Reihenfolge einen Unterschied? Wieso sollte die Reihenfolge von Belang sein? Ist es ebenfalls von Belang, daß die Reihenfolge der erwähnten Gesichter der Lebewesen in 1,10 und 10,14 voneinander abweicht?
Du hast recht, ich habe die Reihenfolge der Aktionsbenennungen geändert. Eben weil im Deutschen eine "inhaltliche Abfolge" als Ordnungsprinzip empfunden wird, geradezu "nötig" erscheint. Aber ist das so auch im Hebräischen? Durchweg?
Bei Ordnung und Abfolge im Hebräischen fiel mir spontan die Kategorisierung der Tierwelt im ersten Schöpfungsbericht ein:
1) Fische / Wassertiere - 1.Mose1,20a.21a.26
(1)2) Vögel - 1,20b.21b.26
(2)3) Vieh - 1,24
(1).25
(2).26
(3)4) kriechende Tiere - 1,24
(2).25
(3).26
(5)5) (wilde) Tiere - 1,24
(3).25
(1).26
(4)Wie Du sehen kannst, ist die Reihenfolge der Landtiere im Erschaffungsbeschluß (V.24) eine andere als in der Erschaffungsausführung (V.25). Und sinnvoll wäre die Reihenfolge 3-5-4 gewesen, da mit den drei Kategorien deren Bedeutung für den Menschen gemeint ist:
Nutzvieh - jagbares oder gefährlich werdendes Getier - der ganze Rest, alles was sonst noch so rumkreucht. Die kommt dann in V.26 vor, wo den Menschen die Herrschaft über die Tiere zugesprochen wird.
Im Sintflutbericht, also der Erzählung vom drohenden Rückgängigmachen der Schöpfung, tauchen viele Elemente und Vokabeln des ersten Schöpfungsberichts wieder auf. Es wird auch aufgezählt, welche Tiere in der Arche gerettet werden, und dabei kommen die obigen Kategorien wieder vor. Mit Ausnahme von 1), da die Erzählung davon ausgeht, daß Fische von einer Flut nicht bedroht werden. Hier mal die Reihenfolgen:
6,20: 2-3-4
7,14: 4-3-5-2
7,21: 2-3-5-4
7,23: 3-4-2
8,17: 2-3-4
8,19: 5-4-2
Und nicht nur die Reihenfolge wird hier bunt durcheinandergewürfelt, es werden regelmäßig auch Gruppen ausgelassen, obwohl doch von allen die Rede ist. Offensichtlich gibt es im biblischen Hebräisch andere Gewichtungen einer "sauberen Aufzählung" als im Deutschen.
Und obwohl manche dieser Auflistungen nicht mal vollständig sind, ein komplementäres Element also auch mal fehlt, wird jedes Mal deutlich, daß auch die nichtgenannten mitgemeint sind, und daß es sich um komplementäre Kategorien handelt, zusammen eine Gesamtheit meinend, nicht irgendne wahllose Auflistung beliebiger, nicht zusammenhängender Sachen.
Und das ist nur das erste Beispiel, was mir eingefallen ist. Ein anderes wäre "Himmel und Erde", was manchmal auch als "Erde und Himmel" daherkommt, zuweilen sogar nur in Form von "Himmel" (wo trotzdem "Erde" mitgemeint ist).
Also: wieso meinst Du, es komme auf die
Palio schrieb:richtige Reihenfolge
an? Das würde mich dann doch mal sehr interessieren.
Palio schrieb:Der (von dir behauptete) Aktionsbeginn steht zweimal am Ende. Das passt nicht, der gehört an den Anfang, wenn es denn einer wäre. Zu erkennen ist daher nur eine Aufzählung von verschiedenen Bewegungen, bei denen die Räder der Bewegung der Cherubim folgen.
Das ist keine Erklärung, sondern eine Behauptung, es verhielte sich so.
Palio schrieb:In der Wahl der Reihenfolge unterstelle ich eine Steigerung.
Was schon mal blöd ist, wenn bei zwei allgemeinen Aktionsauflistungen zwei verschiedene Reihenfolgen vorkommen (10,19 ist ja keine allgemeine Benennung, was generell so passiert, sondern ein konkretes Geschehen; hat freilich die dritte Reihenfolge-Version, die "richtige": sich erheben zwecks hinausziehen, sich stellen).
Nee, eine Bedeutsamkeit der Abfolge läßt sich da nicht drin erkennen.
Palio schrieb:Das Erheben bedeutet also mMn. sehr wohl aufsteigen, fliegen, schweben, durch die Luft getragen werden.
Doch wird nirgends ein Fliegen, Schweben, Windgetragen odgl. erwähnt, auch keine Verortung des Gefährtes irgendwo fern vom Boden beschrieben. Weswegen diese Interpretation, nun ja, irgendwie "in der Luft schwebt".
Palio schrieb:Hesekiel benutzt das Verb für fliegen ansonsten nur in Verbindung mit Vögeln. Vielleicht war es ihm ein stilistisches Gebot, die Herrlichkeit der Erscheinung in seiner Vision nicht mit dem gleichen Bewegungsverb wie dem von Vögeln zu entwerten.
Sich irgendwas zusammenphantasieren ist noch kein Argument, kein Indiz. Hesekiel schrickt nicht mal davor zurück, den Thronenden zu beschreiben. Und auch das ist jetzt nicht das erste Mal, daß ich darauf hinweise, daß Hesekiel ziemlich nah an der Gesetzesüberschreitung dran ist, so "offen", wie er über "das Göttliche" spricht. Ein Jesaja ist da weit zurückhaltender, in seiner Visionsschilderung in Kap.6 erwähnt er gerade noch die äußersten Gewandenden Gottes, die Säume; näher wagt er sich nicht ran an die "Beschreibung" Gottes, den er wie kein anderer Prophet ständig den "Heiligen" nennt und von dessen Heiligkeit spricht. So steht denn auch ein Schmeichlerchor von Seraphim vor dem HERRN und singt das Trishagion, das "Heilig, heilig, heilig!". Sind jetzt keine Cherubim, sondern Seraphim, aber trotzdem Mythengeflügel. Und was soll ich sagen: in Vers 6 spricht Jesaja doch glatt vom "Fliegen"!!! Keine fromme Scheu, ganz klar. Aber bei Hesekiel kommste auf so nen Trichter??? Wieso? Ich sags Dir: damit das Fliegen doch noch vorkommen kann! Nee Du, ein Fliegen der Cherubim wie der Räder
kommt nicht vor, that's it. Sachen in den Text
reinlesen ist der falsche Weg.
Palio schrieb:Flügel sind zum Fliegen da
Schon mal gesagt (Ignorieren ist hier wie's scheint ein Volkssport), Pferde haben Sprungbeine, springen über Gräben und Zäune. Aber spann die mal vor ne Kutsche! Gehst Du da noch immer von über den Graben springenden Pferden aus? Und hier nun haben wir geflügelte, flugfähige Cheruben als "Zugtiere". Also erwartest Du ein Fliegen???
Ist ja nicht mal so, als wäre ein Fliegen mit ner Kutsche ausgeschlossen. Nur kannste es nicht einfach aus dem "schließlich können Cherubim fliegen" folgern. Mußt schon schauen, ob der Text selbst es hergibt. Und? Gibt er es her?
Du machst den gleichen Mist wie so viele andere hier. Weil eine Vokabel rein lexikalisch auch die Bedeutung XY haben kann, habe ich die Berechtigung, sie auch im Kontext AB als gemeint vorzufinden. Nee Du, bloß weil Kehren ne Aktion mit Besen, Handfeger und Kehrschaufel erlaubt, setzt niemand dergleichen ein, wenn er jemandem den Rücken kehrt. Der Kontext entscheidet, welche Bedeutung gemeint ist und welche nicht. Und so entscheidet eben auch der Hesekieltext mit seinen Ausführungen darüber, wie sich die flugfähigen Cherubim verhalten.
Und? Kommt Fliegen vor? Wird wenigstens irgendein Aufenthalt oberhalb des Bodens, ohne Bodenkontakt, erwähnt? Irgendwas? Nein? Na dann! Mülleimer auf, Ausgedachtes rein, Mülleimer zu.
Palio schrieb:Die folgende Auslegung erachte ich außerdem im Zusammenhang für sinngemäß und beachtenswert:
Hier ist vor allem die Ausstattung des Keruben mit Flügeln wichtig, da sie die Mobilität JHWHs unterstreicht.
https://www.bibelwissenschaft.de/wibilex/das-bibellexikon/lexikon/sachwort/anzeigen/details/keruben-kerubenthroner/ch/da7d0f54fe1b728192fdb1cc049a2cf9/
Na dann erachte mal. Mehr als ne Behauptung ist auch das nicht. Nicht mal ne völlig falsche. Denn die geflügelten Cherubim dienen dem HERRN an anderer Stelle durchaus zum Ausdruck eines Fliegens. Jeder, der mit ner Pferdekutsche daherkommt, ist mobil genug, umzusatteln und auf nem Pferd über Gräben und Zäune zu kommen. Die Kutsche aber, die bleibt dennoch am Boden. Sollte der Wibilex-Artikel das anders gemeint haben, wäre das wirklich nur eine haltlose Behauptung.
Palio schrieb:1) Warum sollte sich Gott einer Mobilitätsbeschränkung unterwerfen, wenn er die Flügel seiner Reit-/Tragewesen als fluguntauglich konzipiert? Oder anders, nicht aus der Perspektive von Gott, sondern aus der von Hesekiel: Warum sollte er Gott einen grundlosen Konstruktionsfehler oder einen Mangel (Flügel ohne Nutzbarkeit zum Fliegen) unterstellen, ausgerechnet bei Wesen, die eine Transportaufgabe haben?
Mit solchen Fragen kannste echt nicht punkten. Warum sah Gott auf das Opfer des Abel gnädig herab, aber Kains Opfer sah er nicht an? Das wird nicht erklärt, ist eben so. Benötigt wird es als "Ausgangssituation" für einen sich daraus entspinnenden Konflikt, um den es in der eigentlichen Geschichte geht. So dachten die Leute damals, so erzählten sie, so verteilten sie ihre Wertigkeiten des Erklärens eines Warum. Wir denken anders, haben andere Prioritäten. Aber versuch nicht, eine andere Kultur mit deinen eigenen kulturellen Prägungen zu erfassen.
Davon mal ab: wieso flugunfähig?
Palio schrieb:2) Da Flügel selbstverständlich den Grundnutzen haben, seinen Träger fliegen lassen zu können, wäre die Erwähnung zu erwarten, dass diese Wesen dennoch damit nicht von der Erde abheben konnten.
Klar doch, da beschwer ich mich auch jedes Mal, wenn ich was von Straußen lese - wieso sagense nicht, daß die zwar Flügel haben, aber nicht fliegen? Also kann die Flugunfähigkeit definitiv nicht gegeben sein, sonst würde es erwähnt.
Oder Gänse, die können ja fliegen. Aber wenn ich lese, die Gänse bewegen sich auf XY zu (ein Fuchs vielleicht), schlagen mit ihren Flügeln und fauchen, dann denk ich aus irgendnem unerfindlichen Grund
eben nicht an ein Fliegen. Wohl weil ich aus einem kulturellen Kontext komme, durch den ich weiß, was da gemeint ist, was dort beschrieben wird. Auch ohne daß es mir extra noch im Text miterklärt wird.
Frag Dich also erst mal, was die damaligen Leute zu Hesekiels Zeiten so alles wußten, wie sich so'n flugfähiges Mythengeflügel verhält, wenns nen Götterthron aufm Buckel trägt oder ne Götterkutsche zieht. Nachher war das allen damals klar, wann schlagende Flügel zum Fliegen führen und wann nicht. Wenn Du es nicht kannst, dann schau Dir halt den Text an. Wenn Gänse sich auf so nen Fuchs zubewegen, zischen und Flügel schlagen, dann geht es wie es scheint um ein Vertreiben. Ein Fliegen dabei wäre denkbar, aber nicht notwendig, womöglich wäre das Laufen sogar effektiver, da es anders als ein Kommen von oben den Fuchs effektiver in eine bestimmte Richtung (die von den Gänsen abgewandte) abzudrängen geeignet ist. Auch hier also kann man sich durch Betrachten des Kontextes behelfen.
Palio schrieb:Ich bin daher nicht von deiner Interpretation überzeugt.
Indem Du meine Darlegungen als Interpretationen deutest statt als Verweis auf die Faktenlage des Textes und Kontextes. Indem Du Ausführungen von mir ignorierst. Indem Du Dir Sachen ausdenkst, zurechtwünschst, und diese in den Text hineinliest. Hinein
interpretierst. Wie ich schon mal sagte, mein Part ist gerade nicht das Interpretieren, sondern die Analyse dessen, was wirklich dasteht, das Betrachten der Faktenlage.
Palio schrieb:Keiner kann mit Fug und Recht behaupten, er wüsste ganz genau, was Hesekiel aussagen wollte
Was das "damit aussagen" betrifft, geb ich Dir voll recht. Warum kommt der Wagen von Norden, warum von der Wolke umhüllt, was bedeutet es überhaupt, daß Gott persönlich zum Propheten kommt? Lauter "was will der Text damit aussagen", die eben nicht sicher zu beantworten sind, nicht endgültig. Aber wenn er von vier Gesichtern der Cherubim spricht, dann ist die Aussage definitiv "vier Gesichter" und nicht "fünf Gesichter". Sehr wohl kann man ganz genau wissen, was der Text / Hesekiel da "aussagt".