Euer letzter Traum
27.06.2015 um 23:49
Die ganze Familie sitzt beisammen, im Dämmerlicht heruntergelassener Rollo's und erstickender Vorhänge.
Man schweigt und die Stille ist Herausforderung.
Soviel ist geredet worden in der nächsten Vergangenheit, immer dieselben Worthülsen, hallen immer noch nach,
kleben wie die Mumien toter Fliegen im Gespinst der Erinnerung.
Das, worauf man jetzt wartet, ist genauso unausweichlich wie die eitle Lügenflut vorher.
Es gibt keinen Grund für mich dies Schweigen weiter zu verlängern, dieses dräuende Gewitter das auch
Vorfreude ist, die Vorfreude auf das letzte Opfer, die letzte Bewegung der Seele derer man noch ansichtig
sein will, mit den Augen und Ohren verschlingen will um wohlige Schauer falscher Selbstsicherheit zu
nähren auf immer, ein Proviant für Tage der wild hereinbrechenden Wahrheit.
Und ich rede, beschenke jeden mit den Gaben der eigenen Lieblosigkeit, der starren Dummheit und den bitteren Früchten ihrer Trägheit.
Eine Langeweile, ein Graus, das letzte Geschenk, ein heftiges Ziehen und Saugen bevor der Kälberstrick reißt.
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...und niemand ist so unwillig wie ich.
...und niemanden schmerzt es mehr als denn mich.
In diesen Zug steigen, in tiefster Nacht wo allen fröstelt, sich fressen lassen um ausgespien zu werden
an einem Ort, der mich nicht will.
Die Anderen, sie atmen nicht, etwas atmet durch sie, sie gehen nicht etwas geht mit ihnen, sie sprechen
nicht, etwas spricht aus ihnen und durch sie und direkt durch mich hindurch ohne Halt, ohne Wirkung sackt es weg
ins Vergessen.
Diese Geräusche, kälter denn als laut, dieser aseptische Schmutz, diese totbunten Farben, diese unlesbaren Zeichen eingeritzt in
die Scheibe, meine Finger spüren ihnen nach, nutzlose Artefakte eines falschen Mutes, ein Strohhalm voll
mit Kot und auf den Rücken gefesselte Hände, beiß drauf, auf das auch er reiße.
-
Die Stadt besteht aus einer Straße an der Häuser stehen,manche aus Holz, manche aus einem Stein der
so weiß ist, daß mir die Augen schmerzen wenn ich etwas zu lange darauf schaue.
Die Straße aber führt durch die Wüste, sie ist gelb und ocker und umbra in allen Schattierungen.
Bald wird es Abend sein und ich schlendere durch die Stadt, immer noch hängt große Hitze über allem
aber es ist eine trockene Hitze die auf der Haut brennt doch das Herz unberührt lässt.
Überall liegen Steine herum, kleine Trümmer, Felsbrocken, große Monolithe.
Es gibt nicht viel zu sehen und schnell stehe ich in der Wüste, die Häuser und den toten Ball der untergehende Sonne
im Rücken.
Mein Blick geht zu den riesigen Maisfeldern am Horizont, den Dutzenden Landmaschinen und
Bewässerungsanlagen, den Arbeitern dort die wie Ameisen umher hasten.
Verrückt, denke ich so bei mir, wieviel Aufwand man doch betreibt um Mutter Natur ein paar Wimpern
am großen Zeh wachsen zu lassen, und dieser Mais ist noch nicht einmal zum essen da.
Ich bin nicht mehr alleine, das Pferdemädchen hat sich zu mir gesellt, steht plötzlich neben mir wie ein Gespenst, das Pony am Zügel haltend.
Ein vielfarbig gescheckter Appaloosa ist das, einen ganz kleinen, zarten Kopf hat er, sehr hübsch.
"Er ist noch nicht so schnell aber er liebt dich sehr" sag ich zu ihr und sie fummelt verlegen an ihrem zerfransten T- Shirt das sie unordentlich in die viel zu enge, bis zur Bleiche ausgewaschene Jeans gestopft hat.
Und sie erzählt das sie in der Cantina war, viel gegessen hat, süßen Mais und Kartoffelbrei und frittierte Frösche und derlei redend , gehen wir langsam miteinander zurück, zurück in die Stadt.
Am Pferdestall endlich trennen sich unsere Wege, "Friss nicht soviel!" ,rufe ich ihr lachend nach und sie holt weit
aus, klatscht sich geräuschvoll auf das ausladende Hinterteil und grinst über die Schulter während ich
ihr Verhalten mit einem erhobenen Daumen quittiere.
Die Dämmerung schreitet voran und mir fällt ein Besuch ein, den ich noch abzustatten habe.
Viele Gedanken gehen mir durch den Kopf, viele Bilder der Vergangenheit,alle ein wenig verfremdet und
verändert, wie die Körperteile eines wilden Tieres das, sich wälzend und drehend, in einem erbarmungslos teilnahmslosen Moor versinkt.
Der starrende Mann im Pickup, regungslos, der Greis in der kurzen Hose, so jung, die vielen Parabolantennen, Weiß überall, der aufgeheizte Monolith, kalt strahlend, die alte Frau mit dem halben Bauch, selbstvergessen, der wirbelnde, tanzende Sand am Horizont, Blau schreiend.
Ich erreiche mein Ziel, es ist die Polizeistation.
In der dortigen Zelle wird Lucy die heutige Nacht verbringen, das kommt nicht zum ersten Mal vor denn Lucy macht dauernd Dummheiten.
Inmitten der Gitter steht sie da wie vom Himmel gefallen, Anfang 30, korpulent, mehr einen schwarzen Haarhelm auf dem Kopfe denn eine Pagenfrisur, ein unförmiges, altmodisches Kleid am Leibe, dunkelblau
und weiß an den Säumen, ein Schleifchen am Halse.
Ihre Mutter sitzt wie immer auf dem braunen Plastikstuhl an der Wand und weint sich die Augen aus, fahrig rupft sie ein Papiertaschentuch nach dem anderen aus der Verpackung.
Immer dasselbe...
Also trete ich wieder neben die Mutter, lege die Hand auf ihre Schulter und sage, zu Lucy gewand :"Mach mal!"
Und sie hebt ihren Kopf , blickt zur Zellendecke so als wolle sie beten und langsam, langsam wird sie durchsichtig, wie stehendes,klares Wasser und dann verebbt auch das letzte Flirren und Pulsieren und Wabern und sie ist vollständig verschwunden.
"Sehen sie?" fordere ich die Mutter auf aber die schluchzt nur noch heftiger, schüttelt vehement den Kopf
und verbirgt ihr Gesicht hinter dem handballgroßen Knäuel aus feuchten Taschentüchern.
Die Frau ist so stur!
"Kannst wieder auftauchen" entfährt es mir resigniert und ganz ohne Verzug, vollkommen aus dem Nichts ist Lucy wieder da.
Ganz nah an den Gittern ist sie aufgetaucht, lässig im Kontrapost stehend, den rechten Arm entspannt auf den
Querstab gelegt, er ragt hinaus dieser weiche, weiße Arm so als gehöre er nicht zu ihr.
" Ich hol dich morgen früh ab und wir frühstücken" sag ich im weggehen und sie lächelt verhalten.
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Vater und Mutter sitzen auf dem Bettrand, das Holz schneidet sich gut sichtbar in ihre Beine, sie sind erstarrt in einträchtiger Zwistigkeit.
Fleischpuppen, Puppenfleisch...tiefgrau ist diese Praxis.
Im Kopfkissen haben sich die Federn zu feuchten, harten Klumpen geballt.
Das gibt Kopfschmerzen.
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https://www.youtube.com/watch?v=eHwqu_kfhAQ (Video: The Beatles - Things We Said Today - Lyrics)