@Kayla Der monotheistische Jesus jüdische Jesusbilder und ihre Bedeutung für das Christentum. Die „Hohe Christologie" auf dem Prüfstand.
Von Rudolf Krause, Pfarrer i.R. Halberstadt
In Auszügen:
Der Messiastitel ist zumindest kein Gegenstand der Lehre Jesu. In den Gleichnissen geht es nicht um den Messias, sondern um das Reich Gottes. Nur in den legendären Kindheitsgeschichten, im Johannesevangelium und in der Passionstradition spielt der Messias-, der Christustitel eine Rolle. Dass der Messias-, der Christustitel sich durchsetzt, ist wahrscheinlich der früh einsetzenden Polemik gegenüber den Juden zuzuschreiben, die Jesus als Messias, als Christus strikt ablehnten. Und diese Ablehnung resultiert daraus, dass nichts, gar nichts eingetreten ist, was vom Messias und der messianischen Zeit erhofft wurde (Tier- und Völkerfrieden; das, was im Magnifikat besungen wurde: „Er stößet die Gewaltigen vom Thron und erhebet die Niedrigen, die Hungrigen füllet er mit Gütern und lässt die Reichen leer..." Lukas 1,46 ff). Zu der Titulatur Davids Sohn und über die Stammbäume Jesu, in denen sowohl bei Matthäus, als auch bei Lukas David vorkommt, sagt Vermes: „Die sekundäre Genealogie, die sich damit als historisch irrelevant erweist, wird von verantwortlichen Historikern nicht mehr bestritten." Zur Bezeichnung Jesu als „Menschensohn" meint Vermes, dass diese Bezeichnung meist nur indirekt im Munde Jesu vorkommt (in der dritten Person); und diese Titulatur rufe weder Enthusiasmus bei seinen Freunden, noch Ablehnung bei seinen Gegnern hervor. (Er zitiert Wellhausen: Alle lassen die Menschensohnrede „hingehen"). Die 66 Menschensohnlogien, um deren Klärung der Bedeutung (meist wird eine dreifache Bedeutung angenommen) sich die christlichen Neutestamentler unendlich bemüht haben, seien ein Problem deutscher Universitäten.
Wenn Jesus „Menschensohn“ sagt, so sei dies nichts anderes als eine bescheidene Umschreibung von „Ich". Der Ausdruck „Sohn Gottes" habe in der öffentlichen Verkündigung Jesu keine Rolle gespielt. Es muss streng unterschieden werden zwischen dem metaphysischen Gebrauch dieses Titels im Sinne der unjüdischsten Lehre aller Lehren, der Lehre von Nicäa, und einem jüdischen Gebrauch (Israel als Sohn Gottes oder auch die Könige Israels als Söhne Gottes, aber auch jeder Jude kann Sohn Gottes genannt werden, denn, wie Hosea 2,1 sagt "am Ende werden alle Israeliten ‚Söhne des lebendigen Gottes‘ heißen" (Luther übersetzt hier „Kinder Gottes"). Und: „Wenn die Israeliten den Willen des Heiligen, gepriesen sei er, tun werden, werden sie Söhne des Höchsten genannt werden, sagt Rabbi Lazar im 3. Jh." Der Vers Matthäus 11,27 („Alle Dinge sind mir übergeben von meinem Vater; und niemand kennt den Sohn denn nur der Vater …“) sei ein späterer hymnischer Text und Markus 13, 31 f (Auch der Sohn kennt nicht den Zeitpunkt, wo Himmel und Erde vergehen, nur der Vater kennt ihn) soll die beunruhigende Wirkung über das Nichteintreffen der Ankunft des Menschensohnes abschwächen. Wie sich jüdische Charismatiker (Heiler) als Söhne Gottes bezeichnen, so könnte Jesus sich auch in diesem Sinne als Sohn Gottes gewusst haben. Oder auch, weil er ein intimes Verhältnis zu seinem himmlischen Vater habe. In diesem Sinne sei auch die Taufstimme zu verstehen, eine Art Hallstimme, die Bibelverse zitiert hier Jesaja 42,1. Im Judentum sei das keine ungewöhnliche Erscheinung.
Zusammenfassend sagt Vermes: Der Titel ‚Sohn Gottes‘ sei ursprünglich ein Auferstehungstitel (bei Paulus Römerbrief 1,4), dann ein Adoptionstitel (Taufe, besonders deutlich bei Mar-kus 1,11), dann ein Geburtstitel (Matthäus und Lukas berichten ja Geburtsgeschichten, z. B. Lukas 1,32) und zum Schluss dieser Entwicklung ein präexistenter Titel (bei Johannes vor allem im Prolog) . Und weiter wörtlich: „Obgleich er selbst demonstrativ den Titel ‚Messias‘ vermied, wurde dieser ihm doch bald verliehen und ist im christlichen Sinne untrennbar mit ihm verbunden. Obwohl er der Bezeichnung ‚Prophet‘ zustimmte, war diese eine der frühes-ten von der Kirche aufgegebenen Bezeichnungen, die getilgt wurde, um sodann niemals wie-der aufgenommen zu werden… Dies alles hatte zur Folge, dass das orthodoxe Christentum unfähig oder unwillig war, die historische Bedeutung der von den Evangelisten aufgezeichneten Worte zu erkennen oder anzuerkennen, und an Stelle dessen den Weg eines Lehrgebäudes wählte. Dieses Lehrgebäude, auf der Basis einer willkürlichen Interpretation der Evangelienworte errichtet, konnte durch begründete Kritik ins Wanken gebracht werden. Dies erklärt, warum heute zahlreiche christliche Neutestamentler die Frage nach der Authentizität der meisten Worte offen lassen. Manche gehen sogar so weit, selbst die Möglichkeit, historisch irgendetwas über Jesus selbst zu wissen, von sich zu weisen."
Vermes fragt nun weiter nach dem Evangelium des Juden Jesus. Die Hauptzüge des Lebens Jesu stehen für ihn als Historiker fest: Jesus begann sein öffentliches Wirken im Kontext der Umkehrpredigt Johannes des Täufers, er hatte größeren Erfolg in Galiläa, er stand in Konflikt mit den Autoritäten in Jerusalem, er starb dort am Kreuz, und all dies trug sich während der mittleren Jahre der Präfektur des Pontius Pilatus zu, der Judäa von 26 - 36 n. Chr. verwaltete. Wenn verschiedene Äußerungen Jesu in Konflikt mit dem späteren Christusbild der Urkirche stehen, so beweist das eben die Historizität dieser Äußerungen (z.B. die herabsetzenden Bemerkungen über Nichtjuden, das strikte Verbot an die Jünger, ihn als den Messias zu verkündigen). Und Vermes betont noch einmal, dass für ihn Jesus ein Prophet, „mächtig in Taten und Worten" (Lukas 24,19), war, der zu den „verlorenen Schafen des Hauses Israel" (Matthäus 15,24) gesandt wurde. Eine apostolische Mission, wie sie später Jesus an- und aufgetragen wurde, lag völlig außerhalb seines Gesichtskreises. Die sogenannten Ebjoniten, eine judenchristliche Gruppierung, haben sich nicht umsonst von der hellenistischen Gemeinde getrennt, denn sie sahen eine fatale Fehldarstellung Jesu im Entstehen. Dass Jesus ein Exorzist war („er verlieh dem Kampf gegen den Teufel Realität" ), dass er ein „weiser Mann" war, eben „ein Prophet, mächtig in Taten und Worten", das wurde ihrer Meinung nach, die Vermes teilt, verdeckt.
Vermes widerspricht der Meinung, dass die Vaterbezeichnung Gottes sozusagen von Jesus erfunden worden sei. Antike jüdische Gebete sind voll von Anrufungen Gottes als Vater. Auch die intime Anrede „Abba" ist im Judentum bezeugt (das betont Vermes gegen den Neutestamentler Jeremias, für den dieses kindliche „Lallwort", dieses kindliche „Papa" im Munde Jesu ohne Parallele sei). Ganz wichtig für Vermes ist aber das Vaterunser, in dem Gott die Funktion eines Vaters erfüllte, nämlich für das Notwendige zu sorgen (4. Bitte), den Bußfertigen zu vergeben (5. Bitte) und vor dem Bösen zu schützen (6. Bitte).
Im letzten Kapitel „Jesus und das Christentum" fragt Vermes noch einmal, und zwar etwas schärfer, wodurch sich der wahre Jesus abhebe von dem Bild, das sich das Christentum von ihm mache, und zitiert den anglikanischen Neutestamentler T.W. Manson mit einem Zitat aus dem Jahr 1935: „Wir sind zu Recht daran gewöhnt, Jesus als Gegenstand der Religion zu se-hen, dass wir dazu neigen, zu vergessen, dass er in den frühesten Berichten nicht als Gegens-tand der Religion geschildert wird, sondern als religiöser Mensch."
Die theozentrische Frömmigkeit bei Jesus wird ab Paulus von einer christozentrischen Frömmigkeit überlagert (mit einem pessimistischen Sündenbegriff, mit der Vorstellung vom Sühnetod Christi, Gebete nicht nur zu Gott, sondern auch zu Christus, u.a.m.). Zwei abschlie-ßende Sätze von Vermes: „Viele Zeitalter sind vergangen, seit der einfache, jüdische Mensch der Evangelien in den Hintergrund trat, um für die prächtige und majestätische Figur des kirchlichen Christus Platz zu machen". Und: Die Welt habe noch nicht das Letzte von die-sem heiligen Galiläer gehört „In der sogenannten nachchristlichen Ära scheint Christus als eine göttliche Gestalt für eine wachsende Anzahl von Menschen ... den Nöten des Menschseins nicht gerecht zu werden. Könnte es da nicht sein, dass Jesus, der Heiler, Lehrer und Helfer doch noch eingeladen wird, aus dem Dunkel seines langen Exils herauszutreten? Und dies nicht nur von Christen. Vor allem, wenn man sich an seine Lehre von der gegensei-tigen, liebenden und direkten Beziehung zum Vater im Himmel erinnern und anerkennen würde hätten die Kinder Gottes auf Erden dann nicht eine größere Chance, aus dem Ideal menschlicher Brüderlichkeit mehr zu machen als einen großen Traum".
Vermes schildert Jesus als gewiss herausragenden, einmaligen Juden, aber eben als Juden auf dem Hintergrund der Treue zur Tora. Manche sagen, die Jesusdarstellung von Vermes sei die ausgereifteste Jesusdarstellung (z.B. der Alttestamentler Rolf Rendtorff, der auf den Evangelischen Kirchentagen sich oft mit dem christlich-jüdischen Dialog beschäftigt hat).
Die drei vorgestellten Theologen und andere jüdische Jesusforscher sprechen unisono von der überragenden Bedeutung Jesu für das Judentum, ja für die ganze Welt. Diese Wende in der Darstellung Jesu vom Zauberer, wie ihn die gehässige „Toledot Jeschu Literatur" dargestellt hat, hin zu einem bedeutenden Juden, vielleicht zu dem bedeutendsten Juden aller Zeiten, wie diese und andere jüdische Jesusforscher sagen, scheint in der Theologie und vor allem in den Gemeinden noch gar nicht so richtig wahrgenommen zu sein.
Mit Leidenschaft wendet Buber sich aber gegen jedwede „Vergottung Jesu", die er zuerst bei dem Bekenntnis des Thomas feststellt (Johannes 20,28). Der Brückenbauer Buber ist da höchst kritisch: „Jesus ist mein älterer Bruder, aber der Chris-tus der Kirche ist ein Koloss auf tönernen Füßen.“ Auch an anderer Stelle sagt er: „Von den messianischen Gestalten der jüdischen Geschichte, von Bar-Kochba bis zu dem infamen Lügner Jakob Frank, ist Jesus die erhabenste, die großartigste aber der Messias ist er nicht...
Die Welt blieb auch nach ihm unerlöst, und wir spüren, wie diese Unerlöstheit uns direkt in die Poren dringt..." Zum Schluss noch einmal sein Bekenntnis zum „Bruder Jesus" (dar-über hat dann geistesverwandt Ben-Chorin sein Buch geschrieben): „Jesus habe ich von Jugend auf als meinen großen Bruder empfunden. Dass die Christenheit ihn als Gott und Messias angesehen hat und ansieht, ist mir immer als eine Tatsache von höchstem Ernst er-schienen, die ich um seinet- und um meinetwillen zu begreifen suchen muss ...
Leo Baeck (1873 -1956)
Baeck äußert sich zu Jesus in seinem Hauptwerk „Das Wesen des Judentums", das 1905 er-schien (darin setzte er sich kritisch mit den Positionen des evangelischen Theologen Adolf von Harnack auseinander, der kurz vorher sein „Wesen des Christentums“ geschrieben hatte und der die jüdische Religion als Gesetzesreligion am liebsten aus der Bibel entfernen wollte), und ferner in seiner 1938 erschienenen Schrift „Das Evangelium als Urkunde der jüdischen Glaubensgeschichte" (die er im Evangelium nach Abtragung urchristlicher, nichtjüdischer, nämlich hellenistischer Übermalungen in den Synoptikern herausgestellt zu haben glaubte).
In diesem von Baeck so rekonstruierten hebräisch-aramäischen „Urevangelium“ stoße man auf den Juden Jesus ein Jude unter Juden. „Er war ein Jude unter Juden; aus keinem anderen Volk hätte ein Mann, wie er, hervorgehen können, und in keinem anderen Volk hätte ein Mann, wie er, wirken können." Wenn Baeck sagt, dass das Judentum der große Nonkon-formist in der Geschichte gewesen war, so war Jesus gewiss einer der größten Nonkonfor-misten. Und eingebettet ist er als Jude in dieses jüdische Urevangelium, das von „ jüdischem Glaube und jüdischer Hoffnung, jüdischem Leid und jüdischer Not, jüdischem Wissen und jüdischer Erwartung durchklungen wird."
Pinchas Lapide (1922 1997), jüdischer Religionswissenschaftler
und Neutestamentler).
Von Pinchas Lapide habe ich gelernt, dass Jesus zu den Liebespharisäern zuzurechnen ist, welche unter den Pharisäertypen den höchsten Rang haben. Weiter ist bei Lapide zu lesen, dass er in Jesu Geschick das Abbild des Geschickes des Volkes Israel erblickt, sowohl seines Adels, als auch seines Elends und fragt: „Ist dieser leidende, am Heidenkreuz verblutende Rabbi nicht die Inkarnation seines ganzen Volkes, das, gepeinigt und verhöhnt, immer wieder am Kreuz des Judenhasses ermordet wird?" Wichtig für Lapide sind drei Sätze: l. Jesus hat sich nicht als Messias gewusst (weil sich keine Spiritualisierung des von Haus aus politischen Messiasbegriffes bei Jesus findet und ein unpolitischer Messias wäre in damaliger Zeit ein Selbstwiderspruch gewesen. Die Entpolitisierung, d.h. die Spiritualisierung des Messiasbegriffes zum Christusbegriff findet erst in der Jungen Kirche statt).
Dass Jesus sich als Messias gewusst habe, sei bei der großen Zahl von Messiasprätendenten nichts Außergewöhnliches. Und dass er sich möglicherweise als Sohn Gottes gewusst habe, sei nicht unmöglich, weil sich die israelitischen Könige am Tage ihrer Thronbesteigung ausdrücklich als Söhne Gottes bezeichnet haben.
dass diese jüdische Jesusforschung, sozusagen als Messias-„Spezialist", die christliche Jesusforschung darauf aufmerksam gemacht hat, dass es nicht einen Messias und nicht eine Messiasvorstellung gibt, sondern eine bunte Palette verschiedenster Gestalten von dem Perser Kyros bis zum Lubawitscher Rebbe, also mindestens einige Dutzend, und dass es sowohl politische als auch unpolitische, priesterliche, unscheinbare, davididische wie auch nichtdavididische (also sich auf Erzvater Jakob berufende) Messiasvorstellungen gibt. Im liberalen Judentum ist die messianische Zeit sogar wichtiger als eine Messiasgestalt, d.h. der Messias ist die messianische Zeit (Gabriel Riesser [1806 – 1863] sagte z.B. im preußischen Parlament, dass der Glaube an die Macht und den endlichen Sieg des Guten unser Messiasglaube sei). Es gab zwar viele „falsche Messiasse", aber Reinhold Mayer sagt, dass die Messiasgestalten und überhaupt die Messiashoffnung „frischen Wind" in die jüdische, ja in die allgemeine Geschichte gebracht hätten (neben natürlich auch destruktiven Impulsen).
Wie ist es nun zu dem sog. „Auseinandergehen der Wege" zwischen Juden und Christen gekommen, zu diesem „Geschwisterkonflikt" (Ulrich Luz), diesem Prozess der gegenseitigen Abgrenzung und damit in Folge zur Ausbildung einer zunehmend antijüdischen Christologie bzw. zu der „Hohen Christologie", wie jüdische Forscher diese nennen. Es ist fast einhellige Meinung sowohl der jüdischen, als auch der christlichen Neutestamentler, dass Juden und Christen sich getrennt haben (und zwar relativ spät, etwa um 90-100 n. Ch.), weil die Tora zunehmend dämonisiert wurde (z. B. Paulus in Galater 3,13), während Jesus von Nazareth zunehmend als Gott verehrt wurde. Dabei war aber nicht strittig, ob Jesus sich als Messias gewusst habe oder nicht. Sondern, wie der in Berlin geborene, amerikanische Religionsphilo-soph Michael Wyschogrod auf dem Kirchentag in Hannover gesagt hat, als im kleinen Kreis, den ich miterlebt habe, diskutiert wurde, wie es zu der o.g. „Hohen Christologie" gekommen sei: „Wir Juden können schlecht schlafen, wenn Menschen zu Gott gemacht werden".