@Optimist Die göttliche Zeugung war ein bekanntes Bild
In der Septuaginta ist unter Jesaja 7 zu lesen: "Darum wird der Herr selbst euch ein Zeichen geben: sie, die Jungfrau wird schwanger sein und einen Sohn gebären. Und du wirst ihm den Namen Emmanuel geben."
Der Unterschied sticht ins Auge. In der hebräischen Textfassung spricht der Prophet von einer "jungen Frau", die einen Sohn gebären wird. In der Septuaginta wird die "junge Frau" mit dem griechischen Wort "parthenos" übersetzt – es steht für "Jungfrau".
Im ägyptischen und hellenistischen Mythos war die Vorstellung einer wunderbaren göttlichen Zeugung nichts Ungewöhnliches. So war göttliches Eingreifen in die Geschicke der Menschen zu verdeutlichen, noch mehr die göttliche Legitimität von Herrschern zu beweisen.
"Bei hellenistischen Königen", schreibt der Bamberger Theologe Volker Eid, ein Kenner Israels und der christlichen Archäologie, "war es nicht unüblich, sich auf göttliche Zeugung zu berufen und so eine despotische Herrschaft zu begründen.…
Als unter heidenchristlichem Einfluss die Gottessohnschaft Jesu immer stärker betont wurde, lag die hellenistisch geprägte Vorstellung nahe, Jesus sei durch göttliches Einwirken empfangen und ungeschlechtlich-jungfräulich geboren worden." Es ist der Evangelist Matthäus, der die Vorstellung von der Jungfrauengeburt, die aus dem griechischen Judentum Syriens stammen dürfte, aufgreift und damit der christlichen Theologie eine Richtung weist.
Auch die Schöpfungsgeschichte wird neu definiert
Die Septuaginta gibt weitere Hinweise auf die Breite des jüdischen Denkens um die Zeitenwende. Beispiel Schöpfungsgeschichte: Nach der hebräischen Bibel schuf Gott "den Himmel und die Erde", in der griechischen Übersetzung ist von der Erschaffung des "Kosmos" die Rede.
Und wo Ezechiel, der letzte der so genannten großen Propheten, ins Visionäre schweifend von einem "Tempel" erzählt, geht es im griechischen Text um einen konkreten Tempel, wie er in Alexandrien gebaut wurde.
Die Sammlung alttestamentlicher Schriften in der überlieferten Septuaginta ist zudem umfangreicher als der Kanon hebräischer Texte. Eine Reihe von Büchern, die im heutigen jüdischen Kanon nicht enthalten sind, wird in der griechischen Version als kanonisch (gültig) angesehen.
Dazu gehören: die Bücher Baruch, Tobit, Judit, Jesus Sirach, das Buch der Weisheit, die beiden Makkabäer-Bücher und Teile der Bücher Ester und Daniel.
Über das hellenistische Judentum geht der Bestand der Septuaginta im ersten Jahrhundert n. Chr. ins hellenistische Judenchristentum über. Die LXX ist der Basistext der meisten Verfasser des Neuen Testaments (NT); sie entnehmen nicht nur die meisten ihrer wörtlichen alttestamentlichen Zitate der LXX, auch ihre Schriften.– darunter die Evangelien, vor allem das Evangelium nach Lukas – sind gespickt mit theologischen Begriffen der Septuaginta: etwa Gesetz, Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, Wahrheit, Sühnung.
Dabei kann den NT-Autoren wie Paulus oder Johannes getrost unterstellt werden, dass ihnen der hebräische Text durchaus bekannt war. Sie haben sich aber für die griechische Übersetzung entschieden. Es bestätigt sich, dass die Bibel selbst in ihrer Entstehung schon Produkt von Auslegung ist. Auch Übersetzen ist eine Kunst des Möglichen. Ein übersetzter Text ist niemals völlig identisch mit dem Original. "Wer einen Vers wörtlich übersetzt, ist ein Lügner", sagt der Talmud.
Als die Wege von Judentum und Christentum auseinander gehen, wird die Septuaginta immer eindeutiger zur Heiligen Schrift der Kirche. "Wenn die neutestamentlichen Theologen durchgehend betonen, dass das von ihnen geglaubte Handeln Gottes in Jesus von Nazareth 'gemäß/nach den Schriften' (1. Korintherbrief) geglaubt werden kann, dann meinen sie mit den ,Schriften' immer die heiligen Schriften Israels in griechischer Sprache", resümiert Hubert Frankemölle, katholischer Paderborner Professor für Neutestamentliche Exegese.
"Auch die vielen, eingespielten Zitate aus den heiligen Schriften Israels im Neuen Testament bestätigen diese Kontinuitätsperspektive urchristlicher Theologen. Sie verstehen in Aufnahme und Weiterführung der Aktualisierung der griechischsprachigen jüdischen Theologen ihren eigenen Glauben als Radikalisierung des jüdischen Monotheismus."
Im 2. Jahrhundert n. Chr. wurde noch einmal versucht, eine griechische Übersetzung der Tora für die Juden zu schaffen. Doch aus dem rabbinischen Judentum schlug den Befürwortern strikte Ablehnung entgegen. Vermutlich aus mehreren.– nachvollziehbaren – Gründen.
Ein Motiv könnte sein, dass die Schreiber nicht den rigorosen Vorschriften beim Kopieren der hebräischen Texte folgten und man das Aufbrechen theologischer Differenzen befürchtete. Zudem befand sich das hellenistische Judentum nach der Zerstörung Jerusalems in der Krise. Außerdem wurde christlichen Autoren vorgeworfen, die Septuaginta bewusst zu verändern, um einen Text zu bekommen, der der Lehre des Christentums näher sei.
Umgekehrt hieß es von christlicher Seite, die Septuaginta-Inhalte entsprächen der älteren jüdischen Tradition, derer man sich nun im Judentum entledigen wolle, um das Christentum als nichtjüdisch darstellen zu können. Tatsächlich bevorzugte das Christentum der alten Kirche die Septuaginta, da nur wenige Kirchenväter des Hebräischen mächtig waren. Zudem wurde durch sie die postulierte Einheit von Altem Testament und griechisch abgefasstem Neuen Testament deutlicher hervorgehoben.
Die Diskussion über die alte Frage "Was ist eigentlich der heilige Text?" wird auch die erste Gesamtausgabe der Septuaginta in deutscher Sprache befeuern, die die Professoren Karrer und Kraus nach zehnjähriger Textarbeit von Theologen, Altphilologen, Althistorikern, Judaisten, Ägyptologen und Kirchengeschichtlern in Berlin vorstellen.
Nun rückt endlich eine zweite zentrale Quelle der biblischen Überlieferung wieder in den Fokus; sie wurde in Forschung und Theologen-Ausbildung bisher vernachlässigt: Nur noch wenige Studenten verstanden das schwierige Altgriechisch. Der komplizierte christlich-jüdische Dialog, hofft Wolfgang Kraus, könne jetzt neue Impulse erhalten. Sie sind in der aktuellen Situation auch bitter nötig.
http://www.welt.de/kultur/article3100214/Uebersetzungsfehler-machte-Maria-zur-Jungfrau.html