Optimist schrieb:Inwieweit können denn eigentlich geschichtliche Aufzeichnungen glaubwürdigef sein, als biblische?
Erst mal: Was sind historische Fakten? Also nicht, was gilt umgangssprachlich als historische Fakten (333 große Keilerei etc), sondern was sind für die modernen Geschichtswissenschaften Fakten?
Um Historisches beschreiben, "rekonstruieren" zu können, können wir auf zwei Kategorien zurückgreifen. Auf Geschriebenes sowie auf materielle Hinterlassenschaften (Ruinen, Krugscherben, Werkzeuge, Knochen...). Diese materialen Hinterlassenschaften, das sind Fakten. aber alles, was wir in Textform haben, das uns über damalige Zeiten etwas mitteilt, das sind keine Fakten, sondern Behauptungen von Fakten. Und Behauptungen müssen nicht stimmen. Stimmen sogar regelmäßig nicht. Das merkt man ganz schnell, wenn sich Ägypten und Assyrien eine Schlacht geliefert haben, und in den Texten beider Reiche wird der Schlachtausgang dann als großer Sieg der eigenen Seite verkauft. Es kann auch passieren, daß irgendein Herrscher von einer siegreichen Schlacht erzählen läßt, die überhaupt nicht stattgefunden hat. Wenn das ein anderer Herrscher ebenfalls tut, könnten sie sogar beide von einer Schlacht gegen den je anderen im selben Zeitfenster sprechen, und wir denken "Hey, da haben wir ja gleich zwei unabhängige Belege für eine historische Schlacht!"
Schriftliche Dokumente sind also stets weniger zuverlässig als materiale Funde.
Nun kann man diesen Schlachtort vielleicht sogar finden und dort Ausgrabungen durchführen. An Waffen und Kleidungsresten kann man erkennen, daß hier ägyptische und assyrische Soldaten gegeneinander gekämpft haben, kann wahrscheinlich sogar das Zeitfenster recht eng setzen. Vielleicht lassen sich sogar Details des Schlachtverlaufs erkennen, sicher das Verhältnis der Verluste auf beiden Seiten. Aber wer nun gesiegt hat, wird man da schwerlich herauslesen können, höchstens mit ner Wahrscheinlichkeitsangabe. Herauszufinden, warum die sich da bekriegt haben, worum es überhaupt ging, wird nochmals schwieriger.
Fakten sind besser, aber sie "erzählen" nicht so gut, müssen erst mal interpretiert werden. Historische Dokumente sind da "beredter".
Aber bei Schriftzeugnissen bleibt eben stets das Manko, daß es nur Behauptungen von Tatsachen sind, keine Tatsachen selbst. Deswegen gelten sie stets als nachrangige Dokumente. Will man sie für eine historische Aufbereitung nutzen, so muß man sie irgendwie "verifizieren".
Am besten geht das natürlich, wenn ein Schrriftzeugnis von einer Schlacht berichtet, und man hat den Schlachtort archäologisch gefunden und erschlossen. Passen die gefundenen Details zur geschilderten Schlacht, gilt das Dokument als mehr oder weniger stark zuverlässig, und selbst die weiteren Angaben des Textes, die nicht durch Archäologisches bestätigt wurden, können dafür herangezogen werden. Finden sich archäologisch allerdings auch Sachen, die der Schilderung widersprechen, so wird die Glaubwürdigkeit des Textes wieder eingeschränkt.
Auch wenn historische Texte durch andere historische Texte bestätigt werden, kann das ihre Glaubwürdigkeit stützen. Jedenfalls wenn es sich um zwei voneinander unabhängige Schriftdokumente handelt. Etwa der Siegesbericht der Ägypter und Assyrer zur selben Schlacht. Kann zwar weiterhin ne zufällig übereinstimmende Erfindung beider sein, aber nicht sonderlich wahrscheinlich. - Allerdings wissen wir in diesem Falle schon mal: es kann maximal einen Sieger gegeben haben; wenigstens eine Seite hats also mit den Tatsachen nicht so genau genommen.
Hätten wir nur eines der beiden Schriftzeugnisse der Ägypter und Assyrer von jener einen Schlacht, hätten wir weiterhin eine archäologische Ausgrabung zu dieser Schlacht, und würde das eine Dokument zu sämtlichen archäologischen Fakten passen, würden wir normalerweise dem Dokument eine hohe Glaubwürdigkeit zumessen. Hätten wir nun nicht dieses, sondern das andere Schriftzeugnis, dann eben eine hohe Glaubwürdigkeit für dieses. Doch da wir nun beide Dokumente haben und wissen, daß nicht beide gesiegt haben können, so lehrt uns das, daß selbst eine völlige Übereinstimmung eines Textes mit greifbaren archäologischen Fakten den Text nicht zu einer völlig sicheren Quelle macht.
Das zeigt, schriftliche Zeugnisse zur Geschichte können nur unter Vorbehalt verwendet werden
Nun gibt es aber recht unterschiedliche Texte. Eine mesopotamische Liste, die notiert, aus welcher Gegend welche Produkte in wie großer Menge für den Gott des Tempels in XY als zu zahlende Abgaben geliefert wurden, und ein grandioser Siegesbericht eines kleineren Herrschers über einen mächtigen Feind haben auch noch mal "aus sich selbst heraus" eine unterschiedliche Glaubwürdigkeit. Während der letztere Text schon per se nach "Propaganda" stinkt und damit gute Chancen auf ne Propagandalüge hat, erscheint die "behördliche" Auflistung von Gütern doch sehr glaubhaft. Selbst wenn wir mal annehmen, daß der Schreiber einige Waren für sich selbst angezweigt und hier dann die Zahlen frisiert hat, so mußte er diese Zahlen dennoch glaubwürdig erscheinen lassen, um nicht aufzufallen. Auch wenn sie also nicht stimmen, so bewegen sie sich dennoch im Rahmen des damals Möglichen an Abgabenmengen für den Tempel.
Wir müssen an einem antiken Textdokument also nicht nur herausfinden "was steht da", sondern genauso auch, wer schrieb das mit welchem Anliegen usw. Je mehr wir an Motiven erkennenwelche die Darstellung eines historischen Tatbestandes "lenken" können, desto unsicherer ist dieser Text dann für die Auswertung. Und da gehören religiöse Texte nun mal automatisch dazu. Womit nach recht langer Ausführung Deine Frage beantwortet sein sollte.
Immerhin aber sind religiöse Texte deswegen nicht überhaupt keine Quellen. Aber sie bedürfen halt einer verstärkten Verifizierung.
Und auch dies: Ein Text, der stark unter dem Verdacht steht, Historisches ungenau, verzerrt bis falsch wiederzugeben, kann zugleich auch als recht verläßlicher Text gelten. Beides zugleich, meine ich. Wenn also die Ägypter wie die Assyrer von der selben Schlacht berichten, ist keiner der beiden Texte darin glaubhaft, der eigenen Seite den Sieg zuzuschreiben. Aber wenn einer der beiden Texte erwähnt, daß es in dem Jahr ne Dürre gab, zwei Tage vor der Schlacht aber der Regen einsetzte, dann diente das ja nicht der "Propaganda" und wäre ziemlich glaubwürdig. - Außer, der Regenfall hätte es der eigenen Seite schwer gemacht, den Feind zu besiegen, aber man hätte es dennoch geschafft. Oder der Regenfall hätte für eine Flut gesorgt, welche viele Feinde getötet habe. Oder Regenfall ist ein Omen. Oder... Dann wäre es wieder Teil der Propaganda und weniger glaubhaft.