Islam - Eine friedliche Religion?
22.09.2018 um 18:04JakeGabriel schrieb:1. Rechtfertigen Koran und Sunna einen Krieg gegen die Andersgläubigen?Weiterhin zur Dynamik und Heterogenität der Traditionsentwicklungen; Rahmung der Interpretationsräumlichkeit: (Siehe dazu auch "3. 1 Die Vorväter des Islamismus" u.A. Said Qutub, H. Al-Banna...)
Dogmatik und Standpunkte:
"Eine ähnliche Verabsolutierung, allerdings schon recht früh, erfuhren die Kriegsziele, die im Koran nicht unbedingt die Islamisierung des gesamten Erdballs umfassen. Die einschlägigen Koranstellen sind: „Und kämpfet wider sie, bis kein Bürgerkrieg mehr ist und bis alles an
Allah glaubt. Stehen sie ab, siehe, so sieht Allah ihr Tun.“Und „Und so sie ablassen, so sei keine Feindschaft, außer wider die Ungerechten.“ Das nächstliegende Ziel des Kampfes ist nicht Angriff und Expansion, sondern Verteidigung: Wenn die fitna aufhört, ist auch der Krieg beendet. Aggression wird im Koran ebenso verboten wie das Töten Unschuldiger. Eine Rechtfertigung für den Terrorismus des modernen Dschihad, der unterschiedslos Kämpfer und Zivilisten, selbst Frauen und Kinder ins Visier nimmt, lässt sich aus dem Koran also nicht ableiten. Dazu bedarf es kruder interpretatorische Verdrehungen, ebenso wie zur Legitimation der Selbstmordattentate, wo doch der Koran den Selbstmord verbietet."
"Während Mohammed wohl hauptsächlich die Islamisierung der arabischen Halbinsel im Auge hatte, sollten seine Nachfolger und die Hadithe aus späterer Zeit schon bald universale Ziele proklamieren: „Aus Muhammads ‚ Und bekämpft sie, bis die Versuchung aufhört’ wurde ‚Und bekämpft sie, bis der Unglaube aufhört’ […]. “Im Gegensatz zur religiös-doktrinären Interpretation des Dschihad stellt er sich in der Realgeschichte, vor allem in den ersten vier Expansionswellen der islamischen Eroberung bis 750, durchaus als kriegerisches Expansionsprojekt dar. Die Vorstellungen von Krieg und Frieden basieren dabei auf der Dichotomie von Dar al-Islam (Haus des Islam) und Dar al-harb (Haus des Krieges). Wirklichen Frieden kann es nur im Haus des Islam geben: Zwei etymologische Komponenten
des Wortes „Islam“ werden damit vereint: „salam“ (Friede) durch „islam“ (Unterwerfung). Der Islam als die dem Menschen naturgemäß bestimmte Religion (din-al-fitra) will alle Menschen ins Haus des Islam einladen und damit den Krieg abschaffen. Die kämpferische
Variante des Dschihad (Qital) wird daher nicht als Krieg (harb) und auch nicht als Aggression (idwan) betrachtet, sondern als Öffnung (al-Futuhat) der heidnischen Gesellschaften für die Heilsbotschaft des Islam; die Da’wa, der Aufruf zur Annahme des Islam muss daher der Kriegserklärung vorangehen. Ein Ende des Krieges wird es in dieser universalistischen Deutung erst geben, wenn die gesamte Menschheit sich dem Islam unterworfen hat. Somit kann es einen dauerhaften, zeitlich unbegrenzten Waffenstillstand (hudna) zwischen dem „Haus des Islam“ und dem „Haus des Krieges“ nicht geben: Das würde den eschatologischen Prozess der Befriedung der ganzen Menschheit durch den Islam ja einfrieren."
Kern der Traditionsvielfalt und -bewahrung: Heterogenität = sytemimanenter Pluralismus u.a. durch Itschtihad?
"Ein Widerstandsrecht gegen einen ungerechten Kalifen z.B. wurde in der sunnitischen Staatsrechtsforschung des 13. Jahrhunderts zugunsten der Einheit des Islam unter jedwedem Kalifen abgelehnt (Lewis 1981, S. 259 f.). [...].
Wenn der „Jihad gegen die Ulema“ als ein Versuch verstanden wird, sich der Quellen des Glaubens zu bemächtigen und sie einer eigenständigen Deutung zu unterziehen, führt sein Weg also über „Ijtihad“. Anläufe, die orthodoxen Rechtsschulen zu übergehen und neue Interpretationen der göttlichen Offenbarung vorzunehmen, hat es in der islamischen Geschichte mehrere gegeben. Der folgenschwerste Ansatz kam dabei von Mohammed Ibn Abd Al-Wahhab (1702/3-1792), der in eigenständiger Interpretation des Koran und der Sunna lehrte, einzig und allein die absolute Hingabe zur Einheit Gottes und der Hass aller Ungläubigen führe auf sicherem Wege ins
Paradies. Mehrfach wurde Al-Wahhab wegen ketzerischer Anmaßung verbannt. Nur sein Bündnis mit dem mächtigen Mohammed Ibn Saud sicherte ihm und seiner Lehre Überleben und Erfolg (Allen 2006, S. 51 ff.).
Der Wahhabismus sieht eine Öffnung des Tores des Ijtihad nur für seinen Gründer vor, er kann quasi als fünfte der orthodoxen Schulen gesehen werden. Allerdings wirft die eigenständige Interpretation der Schriften durch Al-Wahhab die Frage auf,
kraft welcher Autorität jemand Ijtihad betreiben kann. Trotz des aggressiven Selbstbewusstseins des Wahhabismus, die einzig wahre Lehre zu vertreten, steht an seinem Anbeginn doch eine eigenständige Koran- und Sunnaexegese durch einen zwar gebildeten, aber sonst in keiner Weise herausragend qualifizierten Laien. Der Wahhabismus hat somit gezeigt, dass es möglich war, die Quellentexte des Islam in die eigenen Hände zu nehmen und sich mit einer eigenständigen Deutung durchzusetzen. So energisch er es auch hinter sich zugeworfen hatte, man hatte Al-Wahhab doch durch das Tor des Ijtihad gehen sehen, und das musste die Frage aufwerfen, wer den erneuten Versuch unternehmen könne, es wieder zu öffnen."
2008 - Jihad gegen die Gelehrten“. Sind wir Zeitzeugen einer Reformation im Islam? (Archiv-Version vom 04.11.2018)