@soulhunter Das Thomas-Evangelium ist ein recht kurzer Text, aber schon in einigen Textpassagen sehr aufschlussreich. Es gibt noch eine Hand voll anderer gnostischer Texte, die recht interessant sind, aber man muss hier gut differenzieren, denn einige wenige sind antisemitisch und können somit, da Jesus selbst Jude war, nicht aus Judenchristenquellen stammen.
Beispiele:
(56) Jesus sprach: „Wer die Welt erkannt hat, hat einen Leichnam [πτω̃µα]
gefunden; und wer einen Leichnam gefunden hat, ist der Welt überlegen.“
Dies gleicht der buddhistischen Leere. Es gibt eine Stelle in der Lehre Buddhas, wo Prinz Siddharta erkennt, dass Leben Leiden und Sterben ist und es gibt mehr als eine Stelle, wo er es so lehrt. Jesus und Siddharta könnten also Beide "Erleuchtete" geworden sein.
(67) Jesus sprach: „Wer das All erkennt, sich selbst aber verfehlt, verfehlt
das Ganze.“
Gewinne also Erkenntnis über Dich selbst und die wahre Natur der Dinge; also Erleuchtung.
(84) Jesus sprach: „Wenn ihr eure Ebenbilder seht, freut ihr euch. Wenn ihr
aber eure Bilder seht, die vor euch entstanden sind, die weder sterben noch
sich offenbaren, wie viel werdet ihr dann ertragen?“
Meine Interpretation: Jesus spricht hier von den Reinkarnationen, die unserem derzeitigen Leben vorangingen. Betrachtet man dazu noch Zeit-Theorien aus der Physik, wonach Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gleichzeitig existieren könnten, würde dies erklären, warum Jesus in diesem Logion von Bildern spricht, die weder sterben, noch sich offenbaren.
(83) Jesus sprach: „Die Bilder [ει̉κών] sind dem Menschen offenkundig, und
das Licht in ihnen ist verborgen im Bilde des Lichtes des Vaters. Er wird
sich offenbaren, und sein Bild ist verborgen durch sein Licht.“
(50) Jesus sprach: „Wenn sie zu euch sagen: ‚Woher kamt ihr?’, sagt zu
ihnen: ‚Wir kamen aus dem Licht, wo das Licht aus sich selbst entstand und
sich begründete, und sich in ihrem Bild offenbarte.’
Wenn sie zu euch sagen: ‚Wer seid ihr?’, sagt: ‚Wir sind seine Söhne, und
wir sind die Auserwählten des lebendigen Vaters.’
Wenn sie euch fragen: ‚Welches ist das Zeichen eures Vaters in euch?’, sagt
zu ihnen: ‚Es ist Bewegung und Ruhe.’“
Johannes 14,10: Glaubt mir doch, daß der Vater und ich eins sind. Und wenn ihr schon meinen Worten nicht glaubt, dann glaubt doch meinen Taten.
Ich denke nicht, dass Jesus mit dem Vater Gott meint, denn in einem anderen gnostischen Text, der "Sophia Jesus Christus" spricht er zum einen von Gott, zum anderen von Erkenntnis und vom Vater und zwar als getrennte Begrifflichkeiten.
Deshalb betrachte ich zum Beispiel den Begriff "Vater" in Logion 83 und Johannes 14,10 als die erste Reinkarnation, den "Vater der nachfolgenden Existenzen", der "nicht von einer Frau geboren wurde", wie es in einem anderen Logion heißt. Unterstreichen könnte dies noch folgendes Logion:
(18) Die Jünger sprachen zu Jesus: „Sage uns, wie unser Ende sein wird.“
Jesus sprach: „Habt ihr denn schon den Anfang entdeckt, daß ihr nach dem
Ende fragt? Denn dort, wo der Anfang ist, dort wird auch das Ende sein.
Selig, wer am Anfang stehen wird, und er wird das Ende erkennen und den
Tod nicht schmecken.“
Empfehlen möchte ich Dir das Buch "Die Bibel der Häretiker". Früher war es im Internet frei abrufbar, dann aber aus publizitätsrechtlichen Gründen gesperrt worden und ist seitdem nur noch als Buch erhältlich. Es enthält sämtliche Nag-Hammadi Texte in einer wissenschaftlichen Übersetzung einer deutschen Universität.