Islam: Die wahre Religion?
05.10.2010 um 13:16
Asklepios
Hermes: Ein Gott hat dich zu uns geführt, Asklepius! Wahrhaftig ein Gott! Auf dass du an einer Unterredung teilnehmen mögest, bei der er gegenwärtig ist, einer heiligen Unterredung, die mehr als alle unsere bisherigen Gespräche, die uns die Gottheit eingab, von ihrer Gegenwart zeugen soll. Wenn du sie verstehst und durch sie zu einem Schauenden wirst, dann wird dein Herz die Fülle alles Reichtums besitzen, sofern es denn viele Reichtümer gibt und nicht nur einen einzigen, der alle anderen in sich schließt.
Denn das wissen wir doch, dass das Eine und die Mannigfaltigkeit der Dinge zusammengehören, dass alle Dinge aus dem Einen hervorgehen oder dass das Eine alles ist. So sehr durchdringen sich Einheit und Vielheit, dass keines sich vom andern trennen lässt. Aber das wirst du schon begreifen, wenn du gesammelt und aufmerksam an der heutigen Unterhaltung teilnimmst. – Doch nun, Asklepius, geh rasch hinaus und rufe Tat herbei.
Als Tat hereingekommen war, schlug Asklepius vor, auch Ammon teilnehmen zu lassen.
Trismegistos sprach: Auch Ammon möge teilnehmen. Hat er doch schon manches meiner Sendschreiben gelesen. Rufe also Ammon herbei, aber niemand sonst, damit nicht diese Unterredung über die heiligsten Dinge durch die Dazwischenkunft Unverständiger entweiht werde. Denn unfromm wäre es, ein Gespräch, das der Vergegenwärtigung einer Gottheit dienen soll, vor den Ohren Unwissender zu führen.
Nun trat auch Ammon in das Heiligtum. Der Raum war erfüllt von der Andacht der vier Männer und von der erhabenen Gegenwart der Gottheit. Da gebot die Gottheit durch den Mund des Hermes Schweigen und als alle mit Herz und Sinn an seinen Lippen hingen, begann die göttliche Liebe durch ihn zu sprechen:
O Asklepius, jede menschliche Seele ist unsterblich, aber nicht alle sind auf die gleiche Art unsterblich, die einen sind es auf diese, andere auf jene Art.
Asklepius: So sind also nicht alle Seelen gleich, o Trismegistos?
Trismegistos: O Asklepius, wie rasch ist dir der Sinn unserer Worte entfallen! Sagte ich nicht, alles sei eine Einheit und das Eine sei alle Dinge, da doch alles im Schöpfer war, ehe es geschaffen wurde? Deswegen heißt es ja auch, er selber sei das All, denn alles, was ist, ist Teil von ihm. Ihn, den Ureinen, der zugleich Alles ist, den Schöpfer aller Dinge, halte in deinen Gedanken fest, solange wir reden.
Alles steigt vom Himmel herab: die Erde, das Wasser, die Luft. Das Feuer aber, das nach oben strebt, spendet Leben. Was nach unten sinkt, muss ihm dienen. Oder anders: Alles, was aus der Höhe herabsteigt, ist zeugend, was aber von unten nach oben steigt, ist nährend. Die in sich ruhende Erde ist der Mutterschoß, der alles in sich birgt. Sie bringt die Arten, die sie einmal in sich aufgenommen hat, immer wieder neu hervor. Dieses Ganze nun, das All, das alles umfasst, gliedert Seele und Stoff von sich ab und legt sich in der Natur auseinander in eine unendliche Vielfalt von Gestalten. Zahllose Einzelwesen bevölkern die untere Welt mit den unterschiedlichsten Eigenschaften, und dennoch sind alle Eins, denn sie bilden eine Einheit und stammen alle aus dem Einen. Es sind zwar vier Elemente, aus denen die untere Welt zusammengesetzt ist, aber es ist doch nur eine Welt, eine Seele, ein Gott.
Nun aber biete deine ganze Geisteskraft auf und spitze deinen Verstand zu! Denn die Idee der Gottheit können wir nur erfassen, wenn die Gottheit selbst unser Denken mit ihrer Gegenwart erfüllt. Sie gleicht einem Bergbach, der sich aus höchster Höhe in den Abgrund stürzt und mit seinem Ungestüm unsere gesammelte Denkkraft mit sich reißt.
Der sichtbare Gott, die Urbilder und die Welt der Engel
Höre also. Der Himmel, dieser sichtbare Gott, waltet über allen Dingen der sichtbaren Welt. Sonne und Mond regeln ihr Werden und Vergehen. Der Herrscher des Himmels, der Weltseele und des Alls, ist der Schöpfergott. Von den Gestirnen des Himmels, deren Lenker der Schöpfergott Gott ist, ergießt sich ein ununterbrochener Strom des Lebens durch die Welt, durch die Seelen aller Wesen und die Natur. Die Natur aber, die die Einzelwesen hervorbringt, führt zum Entzücken des Schöpfers die untere Welt über die vier Elemente wieder zum Himmel empor .
Alles aber hängt von der oberen Welt und ihren Urbildern ab. Die Einzelwesen gehen aus ihren urbildlichen Ideen hervor, die Urbilder sind die sie durchdringende Einheit, die sie zur Ganzheit zusammenfasst. Die Einzelwesen sind als Teile in den Urbildern enthalten. Die einzelnen höheren Engelwesen gehen aus einem Urbild hervor. Die Urbilder der niederen Engelwesen, der Menschen, der Vögel, die Urbilder aller Wesen, die die Welt bevölkern: sie bringen Einzelwesen hervor, die ihrem jeweiligen Urbild gleichen. Es gibt noch eine andere Art von Lebewesen, die zwar keine denkende Seele, wohl aber eine Empfindungsseele besitzen. Sie ergötzen sich an allem, was ihnen wohl tut, können aber auch Schaden und Mangel empfinden. Ich meine die Pflanzen, die darauf angewiesen sind, dass sie mit ihren Wurzeln und Trieben in der Erde verankert sind. Die einzelnen Pflanzen sind über die ganze Erde verbreitet.
Der Himmel ist voller Engel. Die Lebewesen erfüllen den Raum unterhalb der himmlischen Wohnungen der Engel. Die Einzelwesen sind sterblich, nicht aber die Urbilder dieser Einzelwesen. Denn das Einzelwesen ist ein Teil des Urbildes, das sich zum Einzelwesen verhält, wie eine Gattung - ein Mensch ist ein Teil der Menschheit - und dieser Teil trägt alle Eigenschaften des Urbildes in sich. Alle Gattungen sind unsterblich, nicht aber alle Einzelwesen. Bei den Engeln sind sowohl die Gattung als auch die Einzelwesen unsterblich. Bei allen übrigen ist nur das Urbild, die Gattung unsterblich, die Einzelwesen vergehen. Die Gattung sterblicher Einzelwesen bleibt durch die endlose Reihe der Geburten erhalten. Sterblich ist der Mensch, unsterblich die Menschheit.
Obzwar alle Einzelwesen die Eigenschaften ihrer Gattung besitzen, mischen sich doch die Individuen der verschiedenen Gattungen miteinander. Manches existiert in der Gestalt, in der es geschaffen wurde, anderes ist aus dem Geschaffenen durch Mischung entstanden. Zu schaffen vermögen die höheren und niederen Engel und die Menschen. Gattungen können nur durch das Wirken der höheren Engel entstehen, Einzelwesen nur durch die Hilfe der niederen Engel und Unbelebtes durch den Menschen. Niedere Engel, die aus ihrer eigenen Gattung aufsteigen und sich mit einem höheren Engelwesen vereinigen, werden durch diesen Umgang den höheren Engelwesen ähnlich. Andere, die sich mit Menschen verbinden, werden Freunde der Menschen genannt. Ähnlich verhält es sich mit dem Menschen als Einzelwesen. Der Mensch erscheint in vielerlei Gestalten und kann sich mit fast allen anderen Einzelwesen vermischen. Ein Mensch, der sich im Geiste mit den höheren Engeln verbindet, was er zum Beispiel tut, wenn er sie verehrt oder ihnen Opfer darbringt, wird diesen höheren Engelwesen ähnlich. Denn durch seien Geist ist der Mensch ohnehin den Engeln verwandt. Und den niederen Engeln wird ähnlich, wer sich mit ihnen verbindet. Menschen, die nicht über die mittlere Stellung hinausstreben, die sie als Gattung einnehmen, bleiben was sie sind. Andere wieder nehmen die Eigenschaften der Gattungen an, mit deren Einzelwesen sie sich verbinden.
Der Mensch, ein großes Wunder
Darum ist der Mensch ein großes Wunder, o Asklepius, ein Wesen, das Anbetung und Verehrung verdient. Denn er gleicht sich Gott an, als wäre er selbst Gott, er ist mit den niederen Engeln verwandt, da er gleichen Ursprungs ist wie sie. Was bloß menschlich ist an ihm, achtet er gering und strebt dem anderen Teil zu, der göttlich ist. Um wieviel glücklicher ist die Natur des Menschen gemischt als die anderer Wesen! Er ist den höheren Engeln verwandt und verbunden durch seine eigene Engelsnatur, und schaut mit Geringschätzung auf das, was bloß irdisch an ihm ist. Und dennoch: alle anderen Wesen, denen er durch seine irdische Natur auf Grund einer himmlischen Anordnung verwandt ist, knüpft er durch ein Band der Liebe eng an sich. Er blickt verehrend zum Himmel empor und pflegt die Erde hier unten. So lebt er in einer gesegneten mittleren Region, liebt, was unter ihm ist, und wird von denen geliebt, die über ihm sind. Alles ist ihm zugänglich: mit seinem Geist taucht er hinab in die Tiefen des Meeres und erklimmt den Himmel mit seinem Scharfsinn. Dank seiner Wandlungsfähigkeit vereinigt er sich mit den Elementen: keine Trübung in den Lüften vermag seinen Geist zu verwirren, kein Gestein sein Werk zu behindern und selbst die tiefste Tiefe des Wassers ist für sein Auge kein Hindernis. Er ist alles zugleich und bleibt doch überall derselbe.
Nun siehe! Die mit einer Geistseele begabten Wesen wurzeln im Himmel und wachsen nach unten, die mit einer Lebensseele begabten sprossen aus einer Wurzel unten und wachsen dem Himmel entgegen. Manche ernähren sich von zweierlei Nahrung, andere nur von einer Art. Es gibt nämlich Nahrung für den Leib und Nahrung für die Seele. Die Seele des Kosmos ernährt sich durch rastlose, unaufhörliche Bewegung, die irdischen Lebewesen ziehen ihre Wachstumskräfte aus der Erde und dem Wasser, den Nährstoffen der unteren Welt. Und der göttliche Lebensatem mischt sich mit allem und belebt alles. Beim Menschen aber fügte der Schöpfer zum Denkvermögen, dem Verstand, die Vernunft, das Organ der Geistschau hinzu, indem er den kosmischen Äther in seine denkende Seele pflanzte. Deswegen ist der Mensch allein unter allen Lebewesen imstande, die Absichten des Schöpfers zu erkennen , nur der Mensch ist aufgerichtet und vermag sich zur göttlichen Welt zu erheben.
Bald werde ich euch genauer erläutern, was es mit diesem Geist auf sich hat. Überaus heilig und bedeutsam ist das Wissen vom Geist, so wie das Wissen von Gott. Jetzt aber lasst uns zu Ende führen, was wir begonnen haben. Von der Gemeinschaft mit den höheren Engeln haben wir gesprochen, einer Gnade, die nur den Menschen zuteil wird, wenigstens jenen Menschen, die so glücklich sind, das Organ der Geistesschau, die Vernunft, in sich zur Entfaltung zu bringen. Göttlich ist dieser Geist, der in Gott wohnt und in der Gnosis, dem schauenden Wissen des Menschen.
Asklepius: Dann ist also der Geist nicht auf gleiche Art in allen Menschen, o Trismegistos?
Trismegistos: Nicht alle, o Asklepius, erlangen die wahre Gnosis. Viele jagen wie Aktaion in blinder Begier Trugbildern nach, ohne die wahre Natur der Dinge zu suchen und verfallen der Täuschung. Die Täuschung aber erzeugt in ihren Herzen Bosheit und macht aus dem Menschen, dem höchsten aller Lebewesen, eine Kreatur, die wilden Tieren gleicht. Denn aufgrund seines Doppelwesens, seines Geistes, der ein Ebenbild des Schöpfers ist und seines Leibes, der aus den vier Elementen zusammengesetzt ist, vermag sich der Mensch sowohl der himmlischen als auch der irdischen Welt zuzuwenden.
Der Sinn der leiblichen Existenz
Asklepius: Warum aber, o Trismegistos, musste der Mensch in die irdische Welt verbannt werden? Warum durfte er nicht im Reiche Gottes bleiben und mit ihm die höchste Seligkeit genießen?
Trismegistos: Lass uns Gott bitten, Asklepios, er möge unserem Denken genügend Kraft geben, die Antwort auf diese Frage zu finden! Hängt doch alles von seiner gebenden Güte ab. Höre also.
Der Schöpfer aller Dinge, den wir Gott nennen, ließ aus sich einen zweiten Gott hervorgehen, den wir mit den Sinnen des Körpers wahrnehmen können. Lasst uns diesen zweiten Gott einen sinnlichen Gott nennen, nicht etwa, weil er selbst sinnlich wahrnimmt, sondern weil unsere Sinne ihn wahrnehmen können.
Als der Schöpfer aller Dinge diesen zweiten Gott gebildet hatte, den Ersten der Geschaffenen, den Zweiten nach ihm selbst, entzückte ihn seine Schönheit und Güte. Und er liebte ihn wie ein Kind oder einen Sohn, der er ja auch war. Nun verlangte den Schöpfer nach einem Wesen, das gleich ihm sein Geschöpf bewundern konnte und sein Verlangen wurde Wirklichkeit: der Mensch ging aus diesem Verlangen hervor, das Ebenbild seiner Weisheit und seiner Liebe. Denn wenn Gott nach etwas begehrt, dann ist sein Begehren zugleich Erfüllung. Als er nun den Menschen in geistiger Form geschaffen hatte, sah er sogleich, dass ihm die stoffliche Hülle fehlte, um sich in der stofflichen Welt zu bewegen. Und so schloss er ihn in das Haus des Körpers. Er verschmolz beide Seiten, die himmlische und die irdische zu einer Einheit, indem er sie im rechten Verhältnis mischte. Aus Geist und Körper, einer ewigen und einer vergänglichen Natur bildete er den Menschen, auf dass er ein Bild seines doppelten Ursprungs sei, und das Himmlische zu bewundern und anzubeten, das Irdische zu pflegen und zu lenken vermöge.
Das Irdische aber schließt nicht nur die beiden Elemente Erde und Wasser ein, sondern alles, was der Mensch auf dem Lande und dem Wasser tut oder vollbringt: ob er nun Landwirtschaft betreibt, oder Vieh weidet, Gebäude oder Häfen errichtet, mit seinen Schiffen die Meere befährt oder anderen hilft. Denn jener Teil des Kosmos, der aus Wasser und Erde besteht, ist dem Menschen anvertraut. Durch seine Kenntnisse und Fähigkeiten, Künste und Wissenschaften pflegt und erhält der Mensch diesen Teil des Kosmos. Ohne diese menschlichen Zugaben wäre der Kosmos unvollendet, so hat der Schöpfer die Schöpfung eingerichtet. Was aber der Schöpfer begehrt, das wird sogleich Realität. Irrig wäre der Glaube, Gott könnte etwas in Zukunft missfallen, was ihm einst gefiel, wusste er doch schon im Voraus, was geschehen wird.
Die wahre Anbetung Gottes
Aber o Asklepius, dein Herz ist mit Ungeduld erfüllt und verlangt zu hören, wie der Mensch dem Himmel seine Liebe und Verehrung erweisen kann. So höre also.
Den Himmelsgott und alle, die darin wohnen verehren, heißt nichts anderes, als ihn unentwegt in liebender Hingabe anbeten. Dazu ist weder ein höherer Engel noch irgendein Lebewesen imstande außer der Mensch. Und über die Verehrung und Anbetung, die Hymnen und die Hingabe der Menschen freuen sich alle Himmelsbewohner. Wurde doch der Chor der Musen vom Schöpfergott zu den Menschen herabgesandt, um die irdische Welt zu veredeln und zu schmücken. Der Liebreiz der Lieder sollte sie durchklingen, und durch sanfte, wohklingende Weisen aus dem Mund des Menschen sollte der Vater des Alls verherrlicht werden, der allein alles ist. So wie es ihm im Himmel an Lobpreis nicht fehlt, sollten ihm auch von der Erde süße Harmonien entgegendringen. Einige wenige Menschen mit einem reinen Herzen sind berufen, voller Anbetung zum Himmel emporzusehen. Alle anderen aber, die durch die Last des Körpers beschwert, zu einem geringeren Grad von Einsicht herabgesunken sind, sollen die untere Welt und die Elemente, aus denen sie besteht, ehren und pflegen.
Zu einem Teil also ist der Mensch sterblich. Das mindert aber nicht seinen Wert, im Gegenteil, denn seine Sterblichkeit gewährleistet, dass er die ihm zugedachte Bestimmung zu erfüllen vermag. Trüge er nicht beide Naturen in sich, könnte er seiner zweifachen Aufgabe nicht gerecht werden. Deswegen ist er aus Geist und Stoff gebildet, damit er das Irdische zu pflegen vermag und zugleich das Himmlische in Freiheit liebt.
Nun aber, o Asklepius, spanne nicht nur dein Denken an, sondern lausche auch mit den Kräften deines Herzens. Denn was ich dir jetzt anvertraue, ist nicht für die Menge bestimmt. Wer aber lauter und wahrhaftig ist, wer ein reines, hingebungsvolles Herz besitzt, sollte imstande sein, es zu verstehen.
Erster Gott und zweiter Gott
Der Herr der Ewigkeit ist der erste Gott. Der zweite Gott ist der Kosmos. Der dritte ist der Mensch. Gott, der Schöpfer des Kosmos und alles dessen, was ist, regiert das Ganze. Aber er hat den Menschen als zusammengesetztes Wesen geschaffen und zu seinem Mitregenten bestellt. Wenn sich der Mensch dieser Bestimmung vollständig hingibt, die seiner Liebe und Sorge anvertraut ist, dann gereicht er dem Kosmos und der Kosmos ihm zur Zierde.
Der Mensch versteht sich und auch den Kosmos, sofern er seine Bestimmung nicht vergisst und unterscheiden kann, was ihm dienen und wo er dienen soll. Er möge Gott loben und Dank sagen und im Kosmos sein Abbild verehren, dessen eingedenk, dass er selbst das zweite Abbild Gottes ist. Denn zwei Abbilder gibt es vom Schöpfer: den Kosmos und den Menschen.
So wie der Kosmos aus Himmlischem und Irdischem zusammengesetzt ist, so auch der Mensch: mit seinem göttlichen Anteil, seiner Seele und seinem Geist, vermag er in den Himmel hinaufzusteigen, mit seinem irdischen Anteil, der aus Feuer, Wasser, Erde und Luft besteht und sterblich ist, bleibt er auf der Erde, damit nicht verwaist und verlassen zurückbleibt, was seiner Pflege anvertraut ist.
Die Harmonie in diesem Doppelwesen wurzelt in seiner wirklichen Verbundenheit mit Gott. Deren Frucht ist die Güte. Güte vollendet sich erst da, wo der Mensch dem Begehren trotzt und geringachtet, was ihm fremd ist. Fremd sind seinem göttlichen Wesen alle irdischen Dinge, nach deren Besitz der Körper verlangt. Daher spricht man bei ihnen von Besitz, da sie nicht mit uns geboren, sondern erst später unser Eigentum geworden sind. All diese Dinge sind dem inneren Menschen fremd, auch der Körper ist ihm fremd. Daher sollten wir nicht nur die Gegenstände unserer Begierden, sondern auch ihn, aus dem unsere Begierden stammen, gering achten.
Wenn nun ein Wesen, das die höchste Gottheit zu solchem Welt- und Gottesdienst berufen hat, der Welt mit seiner Arbeit dient, Gott fromm verehrt, und nach beiden Seiten, der himmlischen und der irdischen, dem göttlichen Willen gehorcht, was glaubst du, wird sein Lohn sein?
Wenn die Welt eine Schöpfung Gottes ist, dann wird der, der ihre Schönheit mit pflegsamer Liebe bewahrt und vermehrt, durch sein tägliches Mühen an der Verwirklichung des göttlichen Wollens teilhaben und wenn er, gestützt auf seinen Leib, darum ringt, der Welt eine Form zu geben, die den Absichten des Schöpfers entspricht, wie sollte er dann nicht den gleichen Lohn empfangen wie unsere Vorfahren? Möge die Güte Gottes auch uns diesen Lohn zukommen lassen: dies wünschen wir und dafür beten wir. Möge sie uns von unserer Wacht in der irdischen Welt befreien und uns, der Fesseln der Sterblichkeit ledig, gereinigt und geheiligt in unsere wahre Heimat, die himmlische Welt, entlassen!
Asklepius: Gut und wahr sprichst du, o Trismegistos.
Trismegistos: Dies ist der Lohn all derer, die von frommer Ehrfurcht für Gott und von hegender Liebe für die Welt erfüllt sind. Jenen aber, die böse und gottlos sind, bleibt die Rückkehr in den Himmel versagt. Sie müssen die schmachvolle Wanderung in Körper antreten, die ihren unheiligen Seelen entsprechen.
Wahre und falsche Gnosis
Asklepius: Also können Menschenseelen durch ihren Wandel auf Erden die Aussicht auf ein unsterbliches Leben im Himmel verspielen?
Trismegistos: So ist es. Die einen glauben nicht an die Unsterblichkeit der Seele, andere halten sie für ein Märchen oder finden sie gar lächerlich. Denn die Verlockungen der unteren Welt und ihrer Besitztümer sind groß. Sie packen die Seele und lassen sie nicht mehr los, so dass sie im Leib versinkt, wie im Morast. Aber es gibt auch eine Bosheit, die aus Neid auf die Unsterblichkeit nicht zulassen will, dass die Seele ihren göttlichen Anteil zur Entfaltung bringt. Um mich einer prophetischen Redeweise zu bedienen: wahrlich, ich sage dir, keiner von denen, die nach uns kommen, wird sich mit reinem Herzen und reiner Liebe der Philosophie zuwenden, um die Gottheit durch immerwährende Hinlenkung des geistigen Auges auf sie zu erkennen. Viele werden kommen, die die Philosophie zur Verwirrung der Geister und Seelen missbrauchen.
Asklepius: Wie wird das gehen?
Trismegistos: Voller Schlauheit ersinnen sie Studiengänge, die untergeordnete Wissenschaften wie die Arithmetik, die Geometrie und die Musik mit der Philosophie vermischen.
Die reine Philosophie aber, die in der unablässigen Hingabe an das Göttliche besteht, darf sich auf diese Wissenschaften nur so weit einlassen, als nötig ist, um durch die Betrachtung des Kreislaufs der Wandelsterne, ihrer Wiederkehr zu ihren Ausgangspunkten und ihrer regelmäßigen Bahnen Bewunderung für die Weisheit zu erwecken, die dies alles so gut geordnet hat. Auch die Weiten der Erde, die Tiefen des Meeres, die Bewegung der Luft, die Gewalt des Feuers, ihr Wesen und ihre Wirkungen soll sie erkennen, um in ihnen die kunstvolle Anordnung Gottes zu bewundern, anzubeten und zu lobpreisen.
Musik wirklich zu verstehen, heißt die Ordnung des Kosmos zu verstehen und zu wissen, welcher Platz in ihr nach göttlicher Absicht jedem Ding zukommt. Vereinigt doch der Kosmos alle Einzelwesen zu einem Ganzen wie ein Kunstwerk seine Teile und bringt eine Harmonie hervor, deren himmlische Klänge vollkommener und süßer sind als alle Musik auf Erden.
Aber die, die nach uns kommen, sie werden sich von der Schläue der Sophisten täuschen lassen, und von der wahren, reinen und heiligen Philosophie abwenden. Mit reinem Herzen und lauterem Denken der Gottheit dienen, sie in ihren Werken ehren, dem göttlichen Willen, der die vollkommene Güte ist, danken: das ist die einzig wahre Philosophie.
Der Geisthauch des kosmischen Lebens
Doch lasst uns nun vom Geisthauch des Lebens reden.
Erst war Gott und das, was die Griechen Hyle, die Welt der Elemente, nennen. Und mit dieser Welt war der Geisthauch des Lebens verbunden oder besser, das schöpferische Leben war in der Welt, aber nicht so wie es in Gott war. Und die Elemente, aus denen die Welt besteht, sie waren nicht Gott. Darum existierten sie nicht, solange sie noch nicht geboren waren, und doch existierten sie schon in dem, aus dem sie geboren werden sollten.
Nun aber heißt ungeboren nicht nur das, was noch nicht geboren ist, sondern auch das, was keine Zeugungskraft besitzt, aus dem etwas entstehen könnte. Alles aber, was existiert und von Natur aus zeugungsfähig ist, das zeugt auch, aus ihm können neue Wesen hervorgehen, sogar dann, wenn es aus sich selbst entstanden ist. Denn niemand wird zweifeln, dass aus dem, was aus sich selbst entstanden ist, ohne Schwierigkeit das hervorgehen kann, woraus alles andere entsteht. Gott also, der Immerwährende, Ewige, kann und konnte nicht geboren werden. Er ist, er war, er wird immer sein. Aus sich selbst alles zu sein, das ist das Wesen Gottes.
Die Hyle aber, oder die Natur und der Lebenshauch der Welt, haben die Kraft des Gebärens und Zeugens in sich, auch wenn nicht von Anfang an. Die Quelle der Fruchtbarkeit liegt gerade in dieser Besonderheit der Natur, die die Kraft und den Stoff zu Empfängnis und Geburt in sich enthält. Sie ist, ohne Befruchtung von außen, für sich allein zeugungsfähig. Von ihr aber müssen wir unterscheiden, was die Kraft der Empfängnis durch die Verbindung mit einem anderen Wesen erhält, so wie wir unseren Weltraum von dem unterscheiden, was in ihm ist. Auch er scheint ungeboren und trägt doch die ganze Natur in sich. Raum ist das, in dem sich alles befindet. Denn die Dinge könnten nicht existieren, wenn es keinen Raum gäbe, der sie in sich trägt. Bei allem, was entstehen soll, muss daher zuerst der Raum da sein. Dinge, die nirgends sind, könnten weder Qualität noch Quantität, weder Lage noch Wirkung, sie könnten keinerlei Eigenschaften besitzen. Auch die Welt der Urbilder trägt die Kraft in sich, alles zu gebären. Obwohl sie selbst nicht geboren, physisch sichtbar ist, bietet sie doch ihren fruchtbaren Mutterschoß allen künftigen Wesen zur Empfängnis dar. Darin also besteht das Wesen der stofflichen Welt, dass sie Schöpferkraft in sich trägt, auch wenn sie selbst nicht physisch in Erscheinung tritt. Da nun die Natur die Kraft der Zeugung schlechthin in sich trägt, ist sie fruchtbar im Guten wie im Bösen.
Nun sollt ihr aber nicht wie die Vielen reden. Sie sagen nämlich, Gott hätte die Welt gänzlich frei vom Bösen halten sollen. Menschen, die so denken, sollte man gar nicht erst antworten. Um Euretwillen aber will ich den Grund für das Böse in der Welt erläutern. Gott konnte das Böse nicht ganz von der Welt fernhalten, denn es ist gleichsam ein Teil von ihr. Dennoch hat er gegen das Böse so weit vorgesorgt, als es möglich war, indem er dem Menschen die Kraft der Erkenntnis, die Selbstbeherrschung und die Gnosis zuteil werden ließ. Und aufgrund dieser Fähigkeiten vermögen wir den Täuschungen, den Ränkespielen und den Versuchungen des Bösen zu widerstehen. Wer schon seinen Anblick meidet, noch ehe es sich seiner bemächtigen kann, ist dank der Klugheit und Einsicht Gottes gegen das Böse geschützt. Denn alle menschliche Weisheit kommt aus der Güte Gottes.
Vom Geisthauch des Lebens aber wird alles in der Welt befruchtet und zum Wachsen gebracht; die Lebenskraft ist wie ein Organ, das vom Willen Gottes benutzt wird. Soviel sollten wir vom Schöpfergott verstehen, den nur unser Geist zu begreifen vermag, dass er der Lenker und Herr jenes sichtbaren Gottes ist, der den Raum in sich fasst, die Substanz aller Dinge und die Elemente, aus denen alles, was zeugt und schafft, besteht. Vom Geisthauch des Lebens werden alle Einzelwesen in der Welt bewegt und gelenkt, ein jedes gemäß der ihm von Gott verliehenen Natur. Die Natur aber ist die Urmutter und der Schoß aller Wesen, in ihr wandeln sie sich und folgen aufeinander in ununterbrochener Kette. Ihr Lenker ist Gott, der einem jeden Ding in der Welt zuteilt, was ihm gebührt. Alles erfüllt er mit Lebenskraft: jedes Wesen wird entsprechend seiner Eigenart von ihr durchdrungen.
Der Kosmos aber ist einer unsichtbaren sphärischen Hohlkugel vergleichbar. Blicktest du von einem beliebigen Punkt an der Oberfläche einer solchen Hohlkugel nach unten, du würdest nicht erkennen können, was zuunterst ist. Darum glauben viele, der Kosmos sei wie ein Raum und habe bestimmte Eigenschaften. Aber nur wegen der Einzelwesen, deren Abbilder in ihn eingeprägt sind, kann man den Kosmos mit sinnlichen Augen sehen. Nur das Abbild des Kosmos erscheint unseren Augen, seinem wahren Wesen nach ist er unsichtbar. Daher nennen die Griechen seinen untersten Teil Hades (»aides«), was unsichtbar bedeutet, denn den untersten Teil einer Sphäre kann man nicht sehen. Die einzelnen Wesen aber nennen sie ideai, das heisst die »Sichtbaren«. Was die Griechen Hades nennen, heisst bei den Römern »inferi« (Unterwelt), weil die Unterwelt am äußersten Ende der Hohlkugel liegt.
Das also sind die Urwurzeln, die Urelemente für alles andere; denn alles andere existiert in ihnen oder durch sie oder geht aus ihnen hervor.
Asklepius: Und was ist dieses andere, o Trismegistos?
Trismegistos: Es ist das Irdische, Physische an den Einzelwesen, das einem jeden seiner Natur entsprechend eingeprägt wird. Die Elemente ernähren die sichtbaren Körper, der Geisthauch des Lebens die Seelen, die Gnosis aber den Geist. Nur dem Menschen wurde dieses himmlische Geschenk der Gnosis zuteil, weil er allein Geist besitzt. Aber nur wenige sind imstande, die Gnosis zu empfangen. Wie die Welt aufleuchtet im Licht der Sonne, so leuchtet der Menschengeist auf im Licht der Gnosis, ja er leuchtet noch mehr. Denn was von der Sonne beschienen wird, versinkt immer wieder in Dunkelheit, wenn die Nacht hereinbricht.
Wenn sich aber die Gnosis in der Seele des Menschen einwohnt, verwächst sie so sehr mit ihr, dass kein finsterer Nebel des Irrtums den Geist zu verwirren vermag, der von ihr erfüllt ist. Zu Recht wird daher die Gnosis die Seele der Götter, die Seele der Engel genannt. Allerdings scheint mir, dass dieses Erkenntnislicht nicht allen Engeln auf gleiche Art zukommt, sondern den großen, alten und ursprünglichen höheren Geistwesen auf vorzüglichere Art.
Die vielen Arten von Geistwesen
Asklepius: Welche Geistwesen, o Trismegistos, sind die Häupter der Welt und ihre Herrscher von Anbeginn?
Trismegistos: Große und göttliche Geheimnisse breite ich hüllenlos vor dir aus und so erflehe ich für dieses Unterfangen den Segen des Himmels.
Es gibt viele Arten von Geistwesen. Einige sind nur dem Geiste zugänglich, andere auch den Sinnen. Geistig heißen die höheren nicht deshalb, weil sie von uns nicht wahrgenommen werden – im Gegenteil, wir nehmen sie in einem tieferen Sinne wahr als die sichtbaren. Aber diese erhabenen göttlichen Ideen gehen so weit über das Vorstellungsermögen des Menschen hinaus, dass sie sich verflüchtigen, zurückströmen in ihren himmlischen Urquell und sich mit dem Weltenozean wieder vereinen, wenn du nicht deine ganze Geisteskraft bündelst, um sie in deinem Denken zu vergegenwärtigen.
Bestimmte Geistwesen sind die Urheber der gesamten Erscheinungswelt. Andere, die Herrscher der Planetensphären, unterliegen den Gesetzen der sichtbaren Welt. Das sind die sinnlich wahrnehmbaren Götter, die alles bewirken, was im sichtbaren Kosmos geschieht. Einer wirkt durch den anderen und jeder gießt sein belebendes Licht in seine Wirkungen. Der Herrscher des Himmels aber ist Jupiter. Denn durch den Himmel spendet er allen das Leben. Der Herrscher des Jupiter ist das Licht. Denn Jupiter durchschreitet die 36 Dekane, die Häuser der Stundenwächter, der Götter, welche die 10-Grad-Abschnitte der Sternzeichen regieren, von denen alles Licht ausströmt. Deren Herrscher ist der allgestaltige Gott, der den einzelnen Wesen ihre Gestalten verleiht.
Über die sieben Sphären der Wandelsterne herrscht Fortuna, die Göttin des Schicksals, die alles verwandelt, ohne das göttliche Gesetz, das den Kosmos beherrscht, aufzuheben.
Das Pneuma, der geisterfüllte Lufthauch, der kosmische Äther aber, ist das Organ oder Werkzeug aller Götter, er ist das Medium, das all ihre Wirkungen vermittelt. Ihr Herrscher ist (unlesbar). Auf diese Art ist das Sterbliche mit dem Unsterblichen, das Sinnliche mit dem Übersinnlichen verknüpft. Die oberste Lenkung aber liegt in der Hand des Schöpfergottes. Und weil dies so ist, sind alle Wesen untereinander in einer Kette verbunden, die vom untersten bis zum obersten Gliede reicht, so dass die Wesen nicht eine Vielheit, sondern eine Einheit bilden. Denn von einem einzigen Wesen hängen alle ab, aus ihm strömen sie alle aus, und nur weil sie unseren Sinnen einzeln und getrennt erscheinen, glauben wir, es seien ihrer viele. Sehen wir sie aber auf geistige Art, erkennen wir ihre Einheit. Von diesem Einen kommt alles, von ihm wird alles geschaffen und durch seinen Willen entsteht alles ausser ihm.
Das Wesen der Urgottheit
Asklepius: Und was ist diese Urgottheit selbst, o Trismegistos?
Trismegistos: Mit dieser Frage steigen wir auf zur Weihevollendung, o Asklepius. Die Menschen nennen Gott voll Ehrerbietung »Vater« oder »Herr aller Wesen« oder mit noch reineren Namen. Und der Name Gottes muss uns heilig sein. Aber wenn wir die Größe der Gottheit bedenken, wird uns kein Name genügen. Denn was ist ein Wort? Ein Ton, der entsteht, wenn unser Atem die Luft in Schwingung versetzt, ein Ton, der unsere Wünsche kundtut, unsere Empfindungen oder unsere Gedanken. Worte sind so eingeengt und umgrenzt, damit ein Gespräch unter Menschen stattfinden kann. Aber der wirkliche Name Gottes begreift alles in sich: Geist und Lebensodem und Pneuma, alles, was auf diesen beruht oder durch sie zustande kommt oder aus ihnen geschaffen wird. Und ein solcher Name für den Inbegriff aller Erhabenheit, den Vater und Herrn des Alls, und sei er auch noch so komplex zusammengesetzt, lässt sich nicht finden, geschweige denn aussprechen. Daher nennen wir ihn auch den Namenlosen oder besser den Allnamigen, ist er doch Eins und Alles zugleich. Alle Dinge müssten seinen Namen tragen oder er müsste die Namen aller Dinge tragen. Dieser Schöpfergott, der Eins und Alles ist, trägt die Fülle der Schöpferkraft des Männlichen und des Weiblichen in sich. Immer ist er schwanger durch seine eigene Zeugungskraft, immer zeugt er alles, was er gebären will. Sein Wille jedoch ist die vollkommenste Güte. Diese Güte lebt in allen Dingen, die aus ihm hervorgehen, damit alle seien, wie sie sind und die Natur auch künftig alle Wesen aus sich gebären kann. Dies, o Asklepius, soll dir begreiflich machen, warum und wie alles entsteht.
Asklepius: Gott trägt also das männliche und das weibliche Geschlecht in sich, o Trismegistos?
Die Macht der Liebe
Trismegistos: Ja, Asklepius. Aber nicht nur Gott allein, sondern alle beseelten und unbeseelten Wesen. Denn es gibt kein Lebewesen, das unfruchtbar wäre. Nähme man dem, was ist, seine Fruchtbarkeit, so könnte es unmöglich bleiben, was es ist. Darum trägt auch der Kosmos diesen Schöpfertrieb in sich, der alles, was geboren wird, am Dasein erhält. Beide Geschlechter besitzen Zeugungskraft und ihre Vereinigung ist etwas Geheimnisvolles, das du Eros oder Aphrodite nennen magst. Dieses Geheimnis erfasse mit deinem Herzen - denn es ist gewisser und einleuchtender als alles andere. Jener große Gott der Allnatur hat allen Wesen das Mysterium ewiger Schöpferkraft mitgeteilt und dieses Mysterium, mit dem die höchste Freude, die größte Heiterkeit und Lust verbunden ist, ist zugleich der höchste Wert, denn ihm ist die göttliche Liebe eingegossen.
Bedenke, wie groß die Gewalt und die zwingende Macht dieses Mysteriums ist, das du ja auch an dir selbst erfährst! Fasse jenen Moment ins Auge, in dem die beiden Naturen, die männliche und die weibliche, angeregt durch ihre dauernde Wechselwirkung, ihre Zeugungskraft in einander ergießen, und die eine den Samen der anderen gierig in sich einsaugt und in sich verschließt! Durch die innige Verschmelzung der beiden erlangt dann die weibliche Natur die Kraft der männlichen und die männliche sinkt in weiblicher Erschlaffung dahin. Dieses geheimnisvolle Geschehen, das voller Liebreiz für die Sinne ist und doch von eherner Notwendigkeit beherrscht, vollzieht sich zu Recht im Verborgenen, auf dass nicht das Göttliche beider Naturen erröte über die Vereinigung der Geschlechter, was gewiss der Fall wäre, wenn sie vor aller Welt geschähe und dem Spott der Unerfahrenen oder den Augen unfrommer Menschen ausgesetzt wäre. Und du weißt ja, es gibt nicht viele fromme Menschen auf der Welt, sondern so wenige, dass man sie zählen kann. Deswegen wohnt in vielen die Bosheit, da es ihnen an Wissen und Gnosis mangelt. Denn aus der Erkenntnis des göttlichen Willens erwächst die Verachtung für alle Laster der Welt, aber auch das Heilmittel gegen sie. Wer sich aber von Torheit und Unwissenheit nicht befreit, in dem erstarken alle Fehler und verwunden die Seele bis zur Unheilbarkeit, so als ob sie von einem Gift angesteckt und von Aussatz überzogen würde. Nur jene sind gefeit, deren Seele durch die beste aller Arzneien, durch Wissen und Gnosis geheilt wird.
Darum ist unsere Unterredung, möge sie auch nur wenigen nützen, doch nicht wertlos. Warum nun hat der Schöpfergott nur den Menschen Anteil an seiner göttlichen Gnosis gegeben? Höre und du wirst verstehen!
Als Gott der Vater und Herr nach den himmlischen Geistwesen die Menschen schuf, indem er die niederen und die höheren Elemente zu gleichen Teilen abwog, da verbanden sich die Mängel der niederen Stoffe mit den Körpern und blieben an ihnen haften. Andere Übel drangen durch die Nahrung in sie ein, deren ja alle Lebewesen bedürfen. Und daher haben sich in den Menschenseelen Triebe und Begierden und andere Leidenschaften festgesetzt. Die Götter aber sind aus dem reinsten Teil der Natur geschaffen und bedürfen keiner Stütze von seiten der Vernunft und der Gnosis. Unsterblichkeit und ewige Jugend ersetzen bei ihnen den Verstand und die Weisheit. Dafür stellte der Schöpfergott sie unter das Gesetz der ehernen Notwendigkeit. Den Menschen aber verlieh er Vernunft und Gnosis, damit sie die Mängel, die aus dem Körper stammen, ausgleichen und sich von ihnen frei zu machen vermögen. Der Mensch sollte die Hand ausstrecken nach der Unsterblichkeit, damit er den Göttern nicht zu ferne sei. Auch die guten und zur Unsterblichkeit befähigten Menschen schuf der Schöpfer aus zwei Naturen, aus der sterblichen und der unsterblichen, damit diese Zwienatur mehr sei als die Geistwesen, die nur die Unsterblichkeit besitzen, und mehr als alle bloß sterblichen Wesen. Darum verehrt auch der Mensch, der den höchsten Geistwesen verwandt ist, diese Wesen im Kultus und in seinem lauteren Herzen. Die Götter aber blicken mit zärtlicher Liebe auf alles Menschliche und behüten es.