Die Zeugen Jehovas
15.04.2011 um 07:55
Die paradoxe Auslegung des Bibel-Zitates "Hütet euch daher vor schlechter Gesellschaft" wurde in der Wachtturm-Organisation von den Gläubigen nie ernstlich hinterfragt, sondern vorbehaltlos übernommen und weitergegeben. Fast überall, wo die Wachtturm-Schriften diesen Spruch zitieren, sind die Erklärungen auf Basis der Differenzierung zwischen den sogenannten "Aussenstehenden" und den Zeugen Jehovas innerhalb der Versammlung gemeint. Also ein deutlicher Trennstrich zwischen dem Umgang eines Zeugen Jehovas mit Personen in der sogenannten bösen Welt und dem Zusammensein mit Gleichgesinnten in einem imaginären "geistigen Paradies". Vereinfacht ausgedrückt: Dort die Bösen oder die "schlechte Gesellschaft", hier die Guten, also die Gemeinschaft der Zeugen Jehovas. Paradox? Ganz bestimmt, weil der eigentliche Sinn, den die Bibel zum Ausdruck brachte, von den Wachtturm-Autoren völlig verdreht wurde!
Es folgen einige Auszüge aus der Wachtturm-Literatur, wie unterschiedlich der Paulus-Begriff in 1.Kor15:33, "schlechte Gesellschaft", interpretiert und immer auf Personen, Ereignisse oder andere Umstände ausserhalb der Wachtturm-Organisation angewendet wurde:
Schlechte Gesellschaft...
...vor dem Fernseher:
Heutzutage verbringt ein Kind durchschnittlich sieben Stunden täglich vor dem Fernseher. Wenn es die Grundschule beendet, hat es über achttausend Morde und einhunderttausend Gewaltszenen gesehen", so nachzulesen in dem Buch The 7 Habits of Highly Effective Families. Wie wirkt sich dieser Einfluß auf ein Kind aus? "Experten" sind sich nicht darüber einig, die Bibel jedoch warnt nachdrücklich vor schlechtem Umgang. Sie sagt zum Beispiel: "Wer sich . . . mit den Unvernünftigen einläßt, dem wird es schlecht ergehen" (Sprüche 13:20). Auch sagt sie: "Schlechte Gesellschaft verdirbt nützliche Gewohnheiten" (1. Korinther 15:33). Das Familienleben läßt sich harmonischer gestalten, wenn wir diesen Grundsatz nicht nur auf Personen anwenden, sondern auch auf Fernsehsendungen.
"Wachtturm" vom 1.5.1999 S.5
Wenn wir 'schlechte Gesellschaft, die nützliche Gewohnheiten verdirbt', meiden, wird uns das helfen, in unserem Denken tugendhaft zu bleiben (1. Korinther 15:33). Kein Christ möchte Gemeinschaft mit Hurern, Ehebrechern oder anderen Übeltätern pflegen. Logischerweise dürfen wir daher auch nicht durch Fernseh- oder Kinofilme Gemeinschaft mit solchen Personen suchen oder dadurch, daß wir zu unserem sinnlichen Vergnügen etwas über sie lesen.
"Wachtturm" vom 1.2.1994 S.17
...die ganze Multimedia-Branche
Satan würde am liebsten auch wahre Christen so verblenden. In Eden bediente er sich einer Schlange, um einen Diener Gottes irrezuleiten. Heute benutzt er brutale und unsittliche Kino- und Fernsehfilme. Er nutzt den Rundfunk, die Literatur und die Musik für seine Ziele aus. Eine andere wirkungsvolle Waffe, die er einsetzt, ist schlechte Gesellschaft
"Wachtturm" vom 1.4.1994 S.14
...im Studentenwohnheim:
Jede Familie hat das Recht und die Verantwortung, in bezug auf eine Weiterbildung eigene Entscheidungen zu treffen. Wird solch eine Ausbildung gut gewählt, kann sie von Nutzen sein. Sie kann allerdings auch zum Fallstrick werden. Was ist euer Ziel, wenn ihr solch eine Ausbildung erwägt? Wollt ihr euch dadurch darauf vorbereiten, eurer Verantwortung als Erwachsene in rechter Weise nachzukommen? Oder 'sucht ihr nach großen Dingen für euch'? (Jeremia 45:5; 2. Thessalonicher 3:10; 1. Timotheus 5:8; 6:9). Wie verhält es sich mit einer Fortbildung weit weg von zu Hause, wo man vielleicht in einem Studentenwohnheim leben muß? Wäre das weise angesichts der warnenden Worte des Paulus, daß 'schlechte Gesellschaft nützliche Gewohnheiten verdirbt'? (1. Korinther 15:33; 2. Timotheus 2:22).
"Wachtturm" vom 1.9.1999 S.17
...im Internat
Sollte man sein Kind in ein Internat schicken?
Paulus schrieb: "Laßt euch nicht irreführen. Schlechte Gesellschaft verdirbt nützliche Gewohnheiten" (1. Korinther 15:33). Christliche Eltern sollten sich nicht zu dem Gedanken verleiten lassen, ihre Kinder seien in ihrem Glauben nicht gefährdet, wenn sie ständig mit Personen Gemeinschaft pflegen, die Gott nicht dienen.
"Wachtturm" vom 15.3.1997 S.26
...Freunde ausserhalb der Zeugen-Gemeinschaft:
Christen sind wählerisch, wenn es darum geht, mit wem sie Freundschaft schließen. Sie denken an die Warnung des Paulus: "Schlechte Gesellschaft verdirbt nützliche Gewohnheiten" (1. Korinther 15:33). Der weise König Salomo bemerkte: "Wer mit Weisen wandelt, wird weise werden, wer sich aber mit den Unvernünftigen einläßt, dem wird es schlecht ergehen" (Sprüche 13:20).
Diener Jehovas suchen sich Personen als Freunde aus, welche die gleiche Liebe zu Jehova und seiner Gerechtigkeit haben wie sie selbst.
"Wachtturm" vom 1.10.1999 S.8
Was ist eigentlich Freundschaft mit der Welt? Sie kann, wie erklärt wurde, ganz verschieden aussehen, zum Beispiel indem man schlechte Gesellschaft pflegt.
"Wachtturm" vom 1.9.1998 Seite12
Ein Blick an die Stelle in der Bibel, in der dieses Zitat vorkommt (1.Kor.15:33) zeigt eindeutig, daß die Formulierung "schlechte Gesellschaft" auf keinen Fall die Bösen außerhalb der Christengemeinde apostrophierte. Im Gegenteil! Der Kontext signalisiert, daß Apostel Paulus, der diese Mahnung verfasste, ganz gezielt Christen im Visier hatte, die sich im Umgang mit ihren Mitbrüdern als "schlechte Gesellschaft" erwiesen, also gerade jene Gruppe ansprach, über die der Wachtturm vom 15.4.1993 schrieb: "Beschränkt eure Gemeinschaft auf geistiggesinnte Christen" und nicht solche darunter verstand, über die derselbe Wachtturm weiter ausführte: "Das zeigt mir, wie überflüssig weltliche Freunde sind."
Paulus warnte Christen vor Mitbrüdern, die dem gleichen Religionsbekenntnis angehörten, sich mit ihnen versammelten, aber die fundamentale Lehre des Christentums von der Auferstehung ablehnten. Die "schlechte Gesellschaft" war in den eigenen Reihen zu finden und nicht ausserhalb. Letztere in diese Auslegungsstrategie einzubeziehen ist reine Taktik des treuen und verständigen Sklaven, den Umgang seiner Mitglieder sukzessive auf die eigene, kontrollierbare Wachtturm-Gemeinschaft zu beschränken.
Könnte es sein, daß diese Parabel von der "schlechten Gesellschaft" in der Wachtturm-Organisation eine Parallele findet? Ist das mehrheitliche Festhalten des tuvS an der Erklärung dieses Textes, er beziehe sich auf Personen, die sich außerhalb der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas befinden, eine bewußte Manipulation?