Heide_witzka schrieb:Kann man so machen, beisst sich aber meiner Meinung nach.
Nun, manche Gebote funktionieren wirklich so, daß zwar nur eine konkrete Aktion so und so auszuführen sei, der Sinn aber ein allumfassendes Verhalten meint.
So heißt es zum Beispiel in 2.Mose34,26b:
Du sollst ein Böckchen nicht in der Milch seiner Mutter kochen.
Dies gilt nicht nur für männliche Schafs- und Ziegenjungen, sondern ist sehr viel umfassender. Damit meine ich nicht die jüdische Interpretation, wonach es Nahrungskategorien gibt, die unter "fleischig" bzw. "milchig" rangieren, und man dürfe nie beides gemeinsam zubereiten - viele Juden haben extra zwei getrennte Küchen, zweimal Geschirr komplett. Diese Interpretation meine ich nicht.
Vielmehr meine ich, daß auch dies eine Art Respekts-Gebot ist. Die Milch der Mutter soll eigentlich dem Jungtier das Leben erhalten. Dem geschlachteten Lamm kann es egal sein, in wessen Milch sein Fleisch weichgekocht wird, aber der, der das Essen zubereitet, weiß darum und soll dem Leben Respekt erweisen, indem er eine solche Verkehrung der Funktion ins Gegenteil nicht zuläßt. Es geht um die Bewußtseinsbildung des "Kochs": Bedenke, daß Du Dich von Lebendigem ernährst, dem Gewalt angetan wurde, und bedenke, daß Du dabei nicht maßlos vorgehst, sondern Grenzen einhältst, Dir den Respekt vor dem Leben bewahrst. So auch 3.Mose22,28:
Und ein Rind oder ein Schaf, es selbst und sein Junges dürft ihr nicht an einem Tag schlachten.
Wenn Du schon mehrere Tiere töten mußt, lösch nicht eine ganze Familie aus, laß von allem etwas leben. Mich erinnert das an den Angler, der am Ende einen Fisch aus dem Eimer mit dem noch lebenden Fang herausnimmt und ihn zurück ins Wasser setzt.
Ein weiteres Beispiel ist 5.Mose25,4:
Du sollst dem Ochsen nicht das Maul verbinden, wenn er drischt.
Der Ochse ist am einen Ende einer mittig fixierte Stange gebunden, am anderen Ende ist ein radförmiger Mühlstein. Der Ochse geht im Kreis, der Mühlstein fährt über das Getreide am Boden und mahlt das Korn. Klar will der Bauer das Korn haben, aber der Ochse macht die Arbeit für ihn. Da sollte man ihm den Respekt entgegenbringen, sich ebenso von seiner Arbeit ernähren zu dürfen und nicht am Ende nur das Stroh zu bekommen.
Auch 5.Mose20,19-20 ist ein Gebot über Respekt, Menschlichkeit und Grenzen:
Wenn du eine Stadt viele Tage belagerst, um gegen sie zu kämpfen und sie einzunehmen, sollst du ihre Bäume nicht vernichten, indem du die Axt gegen sie schwingst. Denn du kannst von ihnen essen; du sollst sie nicht abhauen. Ist etwa der Baum des Feldes ein Mensch, dass er von dir mitbelagert werden sollte? Nur die Bäume, von denen du weisst, dass sie Bäume sind, von denen man nicht isst, die darfst du vernichten und umhauen. Und du kannst Belagerung[sgerät davon] bauen gegen die Stadt, die Krieg mit dir führt, bis sie gefallen ist.
Es ist eine Sache (und eine für mich höchst fragliche) Krieg zu führen. Aber wenn man sowas schon macht, soll man nicht den belagerten Menschen die Lebensgrundlage (für die Zeit nach dem Kampf) zerstören. Sowas zerbricht zwar schnell die Moral, und man kann leichter gewinnen, aber es bedeutet für die Menschen eben auch den Tod im anschließenden Frieden.
Auch unter den Sabbatgeboten gibt es solche, in denen klargestellt wird, daß selbst dem Land der Sabbat zusteht (auch und gerade das Sabbatjahr), und ich es nicht ununterbrochen ausbeuten darf.
All diese Gebote meinen weit mehr als die konkret beschriebenen Sachen. Diese Gebote einzuhalten heißt, stets und ständig in jeder Situation meines Lebens darauf zu achten, wo ich Leben selbst da bewahren kann, wo ich es nehme, wo ich in der Gefahr stehe, den Respekt vor jeglichem Leben, auch vor Feinden zu verlieren und damit auch meine Menschlichkeit. Ich denke sogar, diese Gesetze sind so umfassend gültig, daß es überhaupt keine Grenze gibt, bis zu der sie gelten, und dahinter gäbe es nichts mehr, das ich im Sinne dieser Gesetze noch berücksichtigen müßte.
Auch das Blutverzehrgebot gehört in diese Gruppe von Respekts- und Grenzenwahr-Geboten. Und ist damit weit allgemeingültiger und keineswegs auf "Blutwurst" beschränkt. Aber dazu muß man erst einmal Arbeit in das Verstehen der Gebote hineinstecken, ihren Sinn zu erfassen sich abmühen. Und nicht einfach "mechanistisch" die formalen Abläufe beachten "Aha, Fleisch gehört nicht mit Milch zusammen, und Blut nicht in andere lebende Körper rein". Es geht nicht um Formalia, sondern um Ethik. Die aber oft sehr umfassend, weit über die konkrete Formalie hinaus.
OK, is wieder mal ne Predigt geworden, ich hoffe Du verzeihst mir. Ich liebe nun mal das AT für genau solche Sachen, und ich halte die darin enthaltene Ethik für ein kostbares Menschheitsgut von hoher Aktualität und Brisanz angesichts von Naturzerstörung, Raubbau, Massentierhaltung, Lebensmittelverschwendung und dergleichen mehr. Auch andere Kulturen, Religionen, Weltanschauungen haben ihre Ethik, und ich will nicht bewerten, welche über welcher steht, ich denke vielmehr, alle haben ihren guten Anteil, den sie zum Nutzen für die gesamte Menschheit einbringen können, wenn wir nur voneinander lernen wollen. Das AT wird hier in Deutschland (aber nicht nur hier) halt schnell mal als ein Buch voller Gewalt und Unmoral, bestenfalls als veraltet und überholt abgetan. Ich plädiere halt zu gern dafür, sie erst einmal richtig zu lesen, richtig zu verstehen.
Hiermit - wieder mal - getan. Sorry.
Heide_witzka schrieb:OK. Es ist ein Ritual, denn eine völlige Blutleere ist durch Schächten oder Schlachten nicht zu erreichen. Wahrscheinlich kommt es darauf letztendlich auch nicht an.
Richtig, es geht um die symbolische Handlung, die mir vergegenwärtigt, was ich da gerade tu. Aus diesem Grunde ist für mich nicht mal die Blutwurst Sünde, denn den Respekt vor dem Leben und der Seele dessen, den ich verzehre, kann ich auch in anderen Aktionen ausleben. Aber ich brauche diese Forderung, damit ich es nicht im Alltag und Lebenstrott vergesse. Symbolische Akte, Rituale sind da sehr nützlich. Aber diese Rituale / Symbolhandlungen sind nicht der eigentliche Zweck.