Differenzen zwischen Bibel und geschichtlichen Fakten
29.06.2007 um 20:01
Ein Wunder für sich ist in der Auferstehungserzählung der Engel. Die Frauen treffen ihnbei Markus im Grab, bei Matthäus vor dem Grab auf dem weggewälzten Stein. Bei Lukas istder Engel zunächst weder vor dem Grab noch darin, doch kommen dafür gleich zwei Engel.Sie stehen plötzlich neben den Frauen. Auch im vierten Evangelium sind es zwei Engel,allerdings sitzen diese bereits wartend im Grab. Der Auferstandene erscheint im Markus-und Johannesevangelium zuerst Maria Magdalena, bei Matthäus zuerst beiden Marienzugleich, bei Lukas zeigt er sich zuerst den beiden Emmausjüngern. Der Schauplatz derErscheinungen aber war laut Markus und Matthäus in Galiläa, laut Lukas in Jerusalem. KeinWunder, wenn die kritischen Theologen gerade den "Osterereignissen" einen "starklegendären Charakter" nachrühmen, wenn sie feststellen: "Widerspruch über Widerspruch"oder: "Unter allen erhaltenen Berichten stimmen nicht zwei miteinander überein." KeinWunder auch, wenn Denis Diderot höhnt: "Wahrscheinlich sind doch alle Juden, die inJerusalem waren, durch den Anblick der Wunder Jesu bekehrt worden? Keineswegs. Weit davonentfernt, an ihn zu glauben, haben sie ihn gekreuzigt... Also muss man dieses 'Wunder',die Ungläubigkeit der Juden, geltend machen - und nicht das Wunder der Auferstehung." Aufkatholischer Seite aber behauptet man obligatorisch unverfroren: "Die Wunder Jesu sindgeschichtliche Tatsachen, deren übernatürlicher Charakter keinem Zweifel unterliegt. Dasgrößte aller Wunder ist seine eigene Auferstehung." Von ihr nämlich hängt nachchristlichem Glauben die Auferstehung aller anderen Menschen ab. (Wohin damit? »DiePlatzfrage«, beruhigt Kolpingpräses Stiefvater, »braucht Ihnen keine Sorge zu machen.Überlassen Sie das ruhig dem Herrgott. Wir werden schon Platz haben, auchSie.«)
Besonders krass und zahlreich sind die Differenzen zwischen dem viertenEvangelisten, dem Lieblingsevangelisten der Kirche, dem angeblichen Augenzeugen Johannes,und seinen Vorgängern Markus, Matthäus, Lukas, den Synoptikern; so genannt (erstmalsdurch den Jenaer Theologen J. J. Griesbach im Jahr 1774) wegen ihrer teilweisenÜbereinstimmung, ihrer Zusammenschaubarkeit, Synopsis
Bei den Synoptikern beruftJesus seine ersten Jünger nach der Verhaftung des Täufers, bei Johannes vorher. Bei denSynoptikern beruft er sie in Galiläa, bei Johannes in Judäa. Bei den Synoptikern triffter sie am See Genezareth beim Fischfang, bei Johannes als Jünger von Johannes dem Täufer.Laut Markus tritt Jesus nach der Gefangennahme des Täufers durch Herodes öffentlich auf,im Johannesevangelium hat Jesus zeitweise gemeinsam mit dem Täufer gewirkt. DieTempelreinigung, die bei Matthäus und Lukas am ersten, bei Markus am zweiten Tag nachJesu Einzug in Jerusalem erfolgt, jedenfalls bei allen Synoptikern gegen Ende seineröffentlichen Tätigkeit, erfolgt bei Johannes am Anfang derselben. Bei Markus bildet JesuSalbung in Bethanien den Abschluß seines Wirkens in Jerusalem, bei Johannes geschieht sieschon vor Jesu Einzug in die Stadt. Bei Markus verbirgt Jesus seine messianische Würdebis in seine letzten Lebenstage, bei Johannes erscheint er im ersten Kapitel als Messiasund verlangt auch überall als solcher anerkannt zu werden. Noch nicht einmal im Datum derKreuzigung stimmt Johannes mit den Synoptikern überein.
Doch genug. Denn wie vieleund schwerwiegende Widersprüche sich auch noch anführen ließen, das Erwähnte reichtlängst, um die hohe Unzuverlässigkeit dieser Schriften zu erweisen, deren göttlicheInspiration die (katholische) Kirche mit allem Nachdruck behauptet. Sie nimmt dafür dasSelbstzeugnis sowohl des Alten Testaments (Jeremias, Daniel, Habakuk u. a.) in Anspruchwie das des Neuen Testaments (Petrus, Paulus, Johannes), ebenso die Lehre derKirchenväter, wonach die Heiligen Schriften von Gott gesprochen oder geschrieben wordensind. So nennt im 15. Jahrhundert das Konzil von Florenz Gott den Urheber (auctor) beiderTestamente. Gleichfalls bekennt ein Jahrhundert später das Tridentinum (1545-1563), beideTestamente mit gleicher Verehrung anzunehmen, weil Gott ihr Autor sei (cum utriusque unusDeus sit auctor). Und noch das Erste Vatikanische Konzil verhängt (im can. 4 de revel.)das Anathem (Kirchenbann) über die Leugner der Inspiration der Bibel. Dass aber ein Buch,das aufgrund seiner ganzen Geschichte, seines ganzen Charakters, seiner Entstehung,Überlieferung und der Fülle seiner Ungereimtheiten unglaubhaft ist wie die wenigsten,gleichwohl den größten Glauben hervorgerufen hat, grenzt schon ans Wunderbare, ja istwohl das einzige Wunder dabei.
»Die Inspiration«, versichert Katholik Klug, »wird unsimmer ein Geheimnis bleiben.«
Absichtlich wurden die Quellenlage und die(Un-)Glaubwürdigkeit der ältesten christlichen Schriften etwas ausführlicher dargelegt.Denn man muss wissen, mit wie viel Recht Lessing die historischen Grundlagen desChristentums »misslich« nennt und Goethe - der dem "Märchen von Christus" die Schuld gab,dass "niemand recht zu Verstand kommt" - "die ganze Lehre von Christo ... einScheinding". Man muss wissen, dass nicht nur Papst Leo X. (1513-1521) davon gesprochenhaben soll, "wie viel die Fabel von Christus uns genützt hat", sondern schon der denUrsprüngen des Christentums viel näher stehende Tertullian (etwa 150-225), der Vater desabendländischen Christentums, der eigentliche Begründer des Katholizismus, ganz offen undgleich dreimal von der »Christus-Fabel« schrieb! Man muss wissen, wie absolut unsicherdie Überlieferung von Jesus ist, um auch gleich zu wissen, dass die absolut sicherenAussagen der Kirche von vornherein nicht stimmen können! Dies machen ja gerade dieältesten christlichen Schriften selbst evident, die Evangelien, die anderenneutestamentlichen Bücher, die frühesten Kirchenväterpublikationen, mit denen dieDogmenbildung und besonders das Dogma von Christus dem Gottessohn eingeleitet undfortgesetzt wird.
Karlheinz Deschner, Der gefälschte Glaube. Eine kritischeBetrachtung kirchlicher Lehren und ihrer historischen Hintergründe (1988), 280 S., ISBN3926901004. Leseprobe S. 26-32.
Anmerkung: Die in den Originalen zahlreichenthaltenen Fußnoten und Quellenverweise wurden in den Leseproben nichtberücksichtigt.
Merke: "Die von mir eigenhändig korrigierte Ausgabe (der Bibel)muss als die einzige wahre und echte bei der Strafe des Bannes von jedermann alleingebraucht und allen folgenden Auslegungen zugrunde gelegt werden. Jede Änderung, und seies nur die eines Wortes, wird mit der Exkommunikation belegt".
(Papst Sixtus V.(1521-1590) zu seiner im Jahre 1590 erschienenen Bibelversion.) Seither erfolgten ca.200000 Änderungen.