Frauen im Islam
Ohne Kopftuch kein gesellschaftliches Leben
Südanatolien
Wie die AKP die Türken in den Islam zwingt
Die ländliche Türkei ist fest in der Hand frommer Muslime. Unterstützt von der Regierungspartei AKP dominieren sie die Wirtschaft und besetzen Schlüsselposten in der Verwaltung. Das Kopftuch der Frauen ist Eintrittskarte in Beruf und Gesellschaft, pro-westliche Türken fürchten um ihre Freiheiten. Ein Besuch in Südanatolien.
Foto: picture-alliance/dpaFrauen im Süden der Türkei haben ohne Kopftuch kaum Chancen, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen
Wenn nur die ganze Türkei so wäre wie die südanatolische Stadt Denizli, dann wäre das Gesellschaftsprojekt der islamisch geprägten Regierungspartei ein Stück weiter. Nirgends außer im noch etwas frommeren Konya gibt es mehr Moscheen im Verhältnis zur Bevölkerung. Ein Großteil der Wirtschaft besteht aus sogenannten islamischen Holdings, Unternehmen, die sich nach dem Zinsverbot des Koran richten wollen. Es gibt immer mehr Koranschulen, und der Anteil der Frauen, die Kopftuch tragen, hat sich nach Meinung eines örtlichen Journalisten in den letzten Jahren "mindestens verdreifacht".
Für die Menschen hier ist in den Jahren der AKP-Herrschaft eine erstickende muslimische Gesellschafts-Matrix entstanden, aus der kaum ein Entkommen ist, es sei denn, man verlässt die Stadt. "Wer hier Karriere machen will in der Lokalpolitik, oder in der Verwaltung arbeiten will, dessen Ehefrau muss den Türban tragen, das islamische Kopftuch", sagt Rechtsanwalt Zafer Gönenc. Arbeitsplätze bietet vor allem die Textilindustrie, und die besteht vor allem aus islamischen Unternehmen, deren Chefs eine ganz andere Lebensphilosophie haben als die alte kemalistische Bourgeoise in Ankara und Istanbul. "Wer sich da bewirbt, der sollte fromm wirken, Frauen sollten Kopftuch tragen, sonst gibt's keinen Job", meint ein Gewerkschaftsvertreter, der seinen Namen nicht genannt wissen will.
Ein Besuch beim Textilunternehmen Altinbasak scheint ihm Recht zu geben – das Kopftuch ist Teil der Fabrikuniform für Arbeiterinnen. Beim Nachbarunternehmen "Fatih" dominiert die firmeneigene Moschee das Betriebsgelände.
Die AKP-Gemeindeverwaltung ist populär, nicht zuletzt weil sie an 30.000 Bedürftige Kohle, Lebensmittel und andere Hilfsleistungen verteilt. Aber auch da, sagt ein örtlicher Journalist, tut man gut daran, fromm zu wirken und eine kopftuchtragende Ehefrau in den Vordergrund zu schieben – sonst geht man leer aus. Wer von der Stadtverwaltung etwas braucht, eine Baulizenz, eine Betriebsgenehmigung – wichtig ist, ob er ins Lager der Frommen gerechnet werden kann.
Presse ist von frommen Inserenten abhängig
Man braucht also Kopftuch, um einen Job zu bekommen, Kopftuch, um Arbeitsplätze zu schaffen, und erst recht braucht man eines, wenn man den Job verliert und auf Hilfe angewiesen ist. Lokale mit Alkoholausschank gibt es nur außerhalb der Stadt. "Die Gemeinde hat verfügt, dass Alkoholausschank innerhalb der Stadtgrenzen nur im abgelegenen Gerberviertel erlaubt ist, wo die Lederindustrie ihre übelriechenden Fabriken hat", sagt Zafer Gönenc. "Die meisten Restaurantbesitzer sind nicht dahin gezogen, sondern gaben auf. Einer, der tatsächlich ins Gerberviertel zog, den wollten die Lederfabrikanten nicht dulden – sie gehören nämlich auch zu den Frommen." Die Presse ist frei. "Aber wir sind abhängig vom Geld der Anzeigenkunden", sagt ein örtlicher Chefredakteur. Und die Anzeigenkunden sind die islamischen Unternehmer. Ministerpräsident und AKP-Chef Recep Tayyip Erdogan hat Denizli häufiger besucht als jede andere Stadt, 14 Mal, sagt ein örtlicher Journalist. Das erste Mal war, als die neue AKP gegründet werden sollte, aus den Resten einer eben verbotenen, fundamentalistischen Vorgängerpartei. Erdogan wollte sich nun mit der neuen AKP gemäßigter und moderner geben, und europäisch. "Seine erste Station war das Unternehmen Altinbasak", meinen ein Gewerkschafter und ein Lokaljournalist. Die islamischen Unternehmer, so heißt es in Denizli, unterstützten die neue Partei mit fünf Millionen Dollar, "aber das machte sich für sie bezahlt, es kam durch Staatsaufträge und Marketinghilfen zurück.
Eine islamische Bourgeoisie entsteht
Bei Altinbasak kommt die Rede bald unaufgefordert und zuneigungsvoll auf "Tayyip", der hier nicht umständlich "Ministerpräsident" genannt wird. "Früher hatten wir mit Kasachstan viele Probleme, fünf Stunden warten auf ein Visum an der Grenze", sagt ein Export-Manager der Firma. "Aber Tayyip rief an, und das Problem war geregelt."
UMFRAGE:
Türkei
In welche Richtung wird sich die Türkei entwickeln?
A) Der Islam wird immer dominierender werden
B) Sie wird sich an die EU und den Westen annähern
Ergebnis
89% Der Islam wird immer dominierender werden
11% Sie wird sich an die EU und den Westen annähern
Aktuell: 691 Stimmen
Das Modell Denizli - auch in anderen Provinzstädten Anatoliens anzutreffen - ist eigentlich die Verwirklichung der kühnsten Träume eines Mannes namens Necmettin Erbakan. Schon in den 70er-Jahren rief er dazu auf, die Gesellschaft über die Wirtschaft zu islamisieren. Erdogan und der heutige Staatspräsident Abdullah Gül wurden seine treuen Gefolgsmänner und sagten sich erst von ihm los, nachdem die Militärs seine Regierung 1998 stürzten. Erbakans Idee war es, über islamische Unternehmen die Basis der Gesellschaft zu islamisieren – die Politik würde dann irgendwann schon folgen.
In gewisser Weise ist der Aufstieg der sogenannten "Anatolischen Tiger" ein Ergebnis dieser Strategie. Eine neue, islamische Bourgeoisie entstand, und diese religiös-konservative neue Wirtschaftselite schuf die Voraussetzungen für den Aufstieg der AKP.
Aber Denizli zeigt nicht nur den Erfolg, sondern auch die Schwächen des Systems. Die Tiger stecken in der Krise. Die Globalisierung hat die Märkte verengt, die Profite sinken, Arbeiter werden entlassen. Sükrü, ein 40-jähriger Textilarbeiter, hat seit Februar kein Gehalt mehr bekommen. Allerdings arbeitet er bei einer Firma, die das Spiel der Geld-Frömmlerei nicht mitmacht – und daher nach Ansicht von Insidern hier von Regierung und Gemeinde links liegen gelassen wird. So trifft die Krise zwar alle, aber am härtesten jene, die sich nicht in die muslimische Matrix pressen lassen wollen.
AKP verliert an Rückhalt
Das Ergebnis ist, dass alle leiden, am Ende aber Allahs Lieblingsunternehmer doch ihre Dominanz auf dem Markt weiter steigern können. Sie leiden aber genug, um sogar aus den Reihen der anatolischen Tiger harsche Kritik an der AKP laut werden zu lassen. "Die Regierung hat es versäumt, sich mit der Wirtschaft zu beschäftigen, statt dessen macht sie unnötigen Wirbel um das Kopftuch und entfacht Konflikte um den Laizismus", klagt Rasit Güntas, Regierungsberater für Textilfragen und Chef der Firma Ratex. "Das paralysiert uns, wir können nicht mehr investieren." Auf die Frage, ob denn jene Firmen, die bislang das Rückgrat der AKP darstellten, der Partei bald in den Rücken fallen könnten, sagt er kryptisch: "Die Wähler haben gezeigt, dass sie sehr plötzlich Könige machen und auch wieder stürzen können". Die AKP-Wähler in Denizli scheinen tatsächlich verärgert. Arbeitsplatzverlust und verspätete Gehälter, das ist nicht, wofür sie gestimmt haben. "Viele hier bereuen es, für die Partei gestimmt zu haben", sagt ein Taxifahrer, und der Gewerkschafter meint es auch. Freilich, ob es an der Wahlurne zu spüren sein wird, das bezweifelt ein Chefredakteur der Stadt. "Wir hatten bei den Wahlen letztes Jahr Umfragen gemacht – man schimpfte auf die AKP, aber gewählt wurde sie dann doch." AKP und islamische Unternehmen sind zwei Säulen, auf denen das System ruht, die dritte Säule sind die sehr informellen und selten wirklich zu fassenden religiösen Orden. "Sie haben hier immer mehr Schülerwohnheime, teilweise illegal", sagt ein Lokaljournalist. Freitags müssen die Kinder zum Religionsunterricht. Auch Korankurse gibt es immer zahlreicher, eine Mitarbeiterin der Stadtverwaltung klagt über die täglichen Anträge zur Gründung neuer Kurse. Im Grunde atmet das ganze System die Mentalität der anatolischen Provinzstadt, nur landesweit aufgedonnert von potenten Geldgebern und Organisatoren mit Hegemonialanspruch. Dass diese Mentalität allmählich auch der Weltstadt Istanbul sowie der ganzen Türkei überstülpt werden soll, davor haben die alten Eliten Angst.
Untergangsstimmung unter pro-westlichen Unternehmern
Beim privaten Diner eines prominenten, westlich orientierten Unternehmers ist die AKP das Thema des Abends. Am grässlichsten finden es vor allem die Damen, dass "diese Leute einfach keinen Stil haben, keinen Geschmack". Besonders regt man sich über Medienartikel auf, wonach Hayrunissa, die Gattin von Staatspräsident Gül, aus den Beständen des historischen Istanbuler Dolmabahce-Palastes osmanische Kunstgegenstände requiriert habe, um die Räume ihres Gatten im Präsidentenpalast Cankaya zu dekorieren.
Denizli Türkei AKP Recep Tayyip Erdogan Islam Muslime Kopftuch Anatolien Statt mit Osmanischem umgibt sich der Herr des Hauses mit westlicher Avantgarde-Kunst, statt Tee gibt es erlesene Weine. "Die AKP", so der allgemeine Tenor, "sind wie die Nazis, und wie die Nazis haben sie alles deutlich angekündigt. Man kann es nachlesen." Den Westen vergleicht man hier mit Neville Chamberlain in München 1938, die Hoffnung auf einen "gemäßigten Islam", der am Beispiel der Türkei demonstriert werden soll – diese Hoffnung trügt, meint der Gastgeber, und ärgert sich über Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder, mit dem er sich darüber unterhalten habe. Da sei viel von der AKP als Wegbereiter von Demokratie und Modernisierung die Rede gewesen. "Wieso kann man das im Westen nicht begreifen? Erdogan und Gül haben zu Beginn ihrer Karriere ganz klar gesagt, was sie wollen – Scharia, islamische Gesellschaft, und Demokratie nur als Mittel zum Zweck." Ein wenig liegt Untergangsstimmung über dem Raum und seiner ausgesucht westlichen Ästhetik.
http://www.welt.de/politik/article2127238/Wie_die_AKP_die_Tuerken_in_den_Islam_zwingt.html