AlexaM schrieb:Stell dir vor, du bist mit etwas äußerst unzufrieden. Dann kommen andere und spielen es immer wieder herunter.
Die Frage ist doch genau dieses "etwas". Die Menschen sind unzufrieden mit der Migration. Aber ist das nicht eine Fata Morgana? Versteckt sich in Wirklichkeit nicht hinter der einen Unzufriedenheit eine ganz andere? Zum Beispiel dass sie eigentlich der Meinung sind, es gehe nicht gerecht zu. In Deutschland, in Europa.
Nur ist Gerechtigkeit eine furchtbar abstrakte und subjektive Sache. Anstatt auf den Nachbarn mit dem Dienst-A6 oder seinen Kollegen neidisch zu sein (weil der später eingestellt und deshalb mehr verdient), projiziert man seine miesen Gefühle lieber auf eine konkrete fremde Gruppe, auf einfache Lösungen, auf die Harte Hand und Mythen ohne Ende.
Wenn ihnen lange genug eingeredet wird, diese ganzen dunkelhäutigen Männer mit der fremden Sprache sind schuld, dass sie unzufrieden sind, ihre Miete nicht zahlen können und keine Freundin finden, dann wird auch irgendwann daran geglaubt. Das Spiel ist ja nicht neu. Das kommt aus dem Bauch, ist emotionsgesteuert und einer vernünftigen Aufklärung kaum zugänglich. Da hilft auch keine gerichtsfeste Titulierung als "rechtsextrem" oder der Verweis auf Parallelen mit der NSDAP oder der NPD. Das ist egal, weil es in diesen Kreisen auf die Emotion ankommt. Es werden selektiv nur die Informationen konsumiert, die dieses emotionsgeladene Ressentiment bestätigt. Letztlich handelt es sich um eine recht umfassende Verschwörungstheorie.
Die realen Probleme der Migration, die Vorteile und Nachteile, die internationalen Implikationen - das alles ist Kopfsache, nichts für das Gefühl, die Wut, den Hass, irgendwie höchst ungerecht behandelt zu werden. Mehr Bildung hilft da nicht.
Stattdessen müsste man die Leute da abholen, wo sie stehen, wo sie merken, dass sie nicht vergessen sind, die Politik sich um sie kümmert und ihre Interessen ernst nimmt. So müsste endlich wieder ein sozialer Aufstieg in diesem Land möglich sein, wie er in den 50er bis 80er Jahren normal war. Es müsste wieder echten sozialen Wohnungsbau geben, eine Verbesserung der Lebensqualität. Die Frage, wie viel Mobilität wir zwischen Wohn- und Arbeitsstätte vertragen und bezahlen können, wie die öffentliche Daseinsvorsorge (Autobahnen, ÖPNV, Gesundheit, Bildung, Soziales usw.) organisiert und finanziert wird. Der Mindestlohn ist eigentlich eine Untergrenze, für ganz viele Arbeitnehmer aber auch die Obergrenze. Es droht Millionen, die ihr Leben lang gearbeitet haben, die Armutsrente. Es fehlen schlicht die Perspektiven für ein schönes Leben.
Da ist es leicht, alles auf die Migration zu schieben. Die ist ein reales Problem, aber eben nur eines unter vielen. Und wer seinen Blick radikal darauf verengt, wird jedenfalls von mir kein großes Verständnis erwarten.