@shionoro Vorneweg: ich spreche wieder als Betroffener und gehe nicht auf einen speziellen Beitrag ein, sondern allgemein auf die bei dir durchklingende These, dass Beschneidung keine oder wenig sexuelle Lusteinschränkungen nach sich zieht.
Mit dem Thema zum ersten Mal so richtig auseinandergesetzt habe ich mich, als ich meinen ersten Oralverkehr hinter mir hatte. Der soll ja angeblich mit das schönste sein, was es für einen Mann gibt. Ich weiß das nicht, ich habe dabei gar nichts gespürt. Dementsprechend kann ich nicht sagen, dass ich etwas vermisse, weil ich kenne es ja nicht anders. Ich kann nichts vermissen, was ich nicht kenne. Vielmehr würde mich interessieren, wie es wäre, wenn alles Organische vorhanden wäre. Dementsprechend begann ich dann mit der Ursachensuche, woran das liegen könnte und bin dann nach regelgerechtem Wälzen aller Infos zwangsläufig bei der Beschneidung hängen geblieben.
Was geht bei der Beschneidung verloren?Was Organisch verloren geht, braucht man denke ich nicht mehr erklären. Vielmehr ist entscheidend, welche Empfindungen verloren gehen. Dafür gibt es eine sehr detaillierte Studie von Dr. Morris Sorells aus dem Jahr 2007. Dieser geht von einer radikalen Beschneidung aus (mehr dazu später). Dafür wurde mittels Semmes-Weinstein-Monofilamenten gemessen, welche sensiblen Reize an welchen Stellen des Penis in welchem Ausmaß gespürt werden können.
Entscheidend hierfür ist wiederum das Wissen, dass von Natur aus in der Eichel hauptsächlich sogenannte freie Nervenenden sitzen, die starken Druck und Schmerz wahrnehmen können. In der Vorhaut und im Frenulum, welche beide bei der radikalen Beschneidung entfernt werden, sitzen eine Vielzahl an sogenannten Neurorezeptoren (z.B. sog. Meissner-Tastkörperchen). Diese können bereits leichte Berührungen wahrnehmen und dadurch (zusätzlich zur Dehnung) stimuliert werden und diese Reize weiterleiten.
Die Ergebnisse wurden grafisch in einem Säulendiagramm festgehalten. Zur besseren Übersichtlichkeit wurden diese Ergebnisse für die Allgemeinheit nach Veröffentlichung der Studie den Teilen des Penis zugeordnet, siehe Bild:
Original anzeigen (0,2 MB)Erkenntnisse: Tatsächlich nimmt das Empfinden an der Eichel selbst nur wenig ab! (Erkennbar an dem Farbwechsel in der Grafik). Das wird meines Lesens nach in der Mehrzahl an Medien verzerrt dargestellt zu "Das Empfinden am Penis nimmt nach einer Beschneidung nur wenig ab". Die entscheidenden Nerven zur Stimulation (erklärte Neurorezeptoren) fehlen aber logischerweise komplett (Grafik: Rot und lila sind am empfindlichsten).
Aber:
Fünf Stellen des unbeschnittenen Penis – die alle durch Beschneidung routinemäßig entfernt werden – sind sensitiver als die empfindsamste Stelle, die der beschnittene Penis noch besitzt.
Ergänzend dazu zur Eichel aus anderen Infos:
- Durch die Umwandlung der Eichel vom inneren zum äußeren Organ bildet sich auf ihr eine schützende Hornhaut, die Zeitlebens dicker wird (Keratinisierung --> vergleichbar mit der Hornhaut an den Zehen, nur dünner)
- Durch das Frenulum verläuft eine Arterie, die die Eichel zusätzlich durchblutet und dementsprechend reizbarer macht. (Deswegen blutet es auch so stark, wenn man es durchtrennt, wie man auf Videos sieht). Wird das Frenulum entfernt, gibt es diese zusätzliche Durchblutung nicht mehr (Erkennbar an der anderen Eichelfarbe eines Beschnittenen).
Warum hört man das so selten?Nach diesen für mich - aufbauend auf meinen vorherigen Empfindungen - logischen und plausiblen Ergebnissen habe ich mir nun diese Frage gestellt und für mich selbst folgende Antworten gefunden:
Psychologische Gründe:- Man hat schlichtweg keinen Vergleich und empfindet das Empfinden, das man selbst hat, als normal.
- Dementsprechend hat man in der Breite auch kein Know-How über das Organ, was einem von Klein-Auf fehlt, weil man es ja nicht kennt.
- "Propaganda", die Beschneidung sei ein kurzer, problemloser Eingriff, bei dem ein "nutzloser Hautlappen" entfernt wird
- Bei Kundtun des Problems wird man nicht ernstgenommen und abgekanzelt ("Man bilde sich das nur ein!"), schweigt also lieber.
- Kultureller Einfluss stellt die Beschneidung als etwas "Normales", "Selbstverständliches" dar
- Gesellschaftliche Rolle des Mannes, der sexuell gesehen "ja immer kann und will" und keine Probleme damit hat --> gilt als Schwäche
Medizinische Gründe:Es gibt verschiedene Beschneidungsstile.
In Europa wird anscheinend hauptsächlich der radikale "Low"-Stil angewandt. Dabei werden beide Vorhäute + Frenulum entfernt, die Schafthaut hochgezogen und Millimeter hinter der Eichel vernäht. Sehr häufige Komplikationen davon sind Hautbrücken (Schwere und leichte Fälle -->
LINKhttps://www.beschneidung-von-jungen.de/home/komplikationen/skin-bridges.html), weil bei der Heilung der Schnitt mit der nahen Eichel verwächst. Diese reißen bei Dehnung oder Penetration häufig ein.
Außerdem wird bei mir mangels beweglicher Haut bei einer Erektion Haut vom Hodensack "geklaut", sodass beide Hoden extrem an den Körper gepresst werden und manchmal gar in der Leiste verschwinden.
Außerdem habe ich eine dunkle Stelle an der Eichel, die wohl von der gewaltsamen Lösung der Vorhaut von Eichel herrührt.
In den USA scheint, zumindest was man so liest, der "High"-Stil verbreiteter. Dabei wird nur die äußere Vorhaut entfernt. Die innere Vorhaut wird dann nach hinten "umgeklappt" und weit in Richtung Körper vernäht. Sogar das Frenulum wird hier nicht zwingend entfernt. Ich könnte mir nach reichlicher Überlegung vorstellen, dass bei derartigen Beschneidungen die Empfindungen nicht vollends verloren gehen, da ja oben genannte Neurorezeptoren noch vorhanden sind. Dementsprechend wäre das empfindungstechnisch mit der "Low"-Variante überhaupt nicht vergleichbar. Möglicherweise haben diese Beschnittenen weniger Einschränkungen.
Persönlich:Mittlerweile weiß ich immerhin, dass ich ein BISSCHEN etwas spüre, wenn mir meine Freundin mit den Zähnen (!) an der Eichel entlang fährt. Das variiert dann zwischen Schmerz, etwas Stimulation und Unbehagen - je nach Tagesform.