Beschneidung erlauben oder verbieten?
16.06.2014 um 10:18
Ich denke, ein Grund dafür, dass es so eine heisse Diskussion über Beschneidungen von Jungen bei muslimischen und jüdischen Familien gibt, ist folgender:
Deutschland hat nicht nur eine Gesellschaft, in welcher der Säkularismus sehr stark ist und die Wissenschaft, das ,,Glaube ist doch nur dummes Zeug" zur größten Maxime erhoben worden ist.
Gleichzeitig aber hat die heutige Gesellschaft noch immer zweifellos einen christlich geprägten Hintergrund.
Da sind die Konflikte natürlich gleich in doppelter Hinsicht vorprogrammiert:
Muslimische und jüdische Menschen sind in Deutschland oft religiöser, als die gewöhnliche, andere Bevölkerung. Sie legen mehr Wert auf die Bedeutung religiöser Regeln und haben oft noch nicht so eine wischiwaschi-Einstellung entwickelt, wie die ,,Christen-dem-Namen-nach" und die angeblich christlichen Kirchen, die entweder desinteressiert sind oder verzweifelt versuchen, sich anzubiedern und deshalb religiöse Regeln vielfach abschwächen und relativieren.
Hinzu kommt, dass gerade bei den Muslimen noch andere, diverse, kulturelle Hintergründe vorliegen, sie sind nicht nur durch den Islam geprägt, sondern auch durch die Kultur des ehemaligen Herkunftslandes.
In muslimisch dominierten Ländern ist es praktisch selbstverständlich und muss gar nicht diskutiert werden, dass eine Beschneidung von Jungen gemacht werden müsse.
Das ist so selbstverständlich, wie in Bayern das Weißbier ;)
Das nervt die, ich nenne sie jetzt mal ,,christlich-säkulare" Gesellschaft entschieden.
Einerseits verstehen sie gar nicht, wie man überhaupt etwas glauben kann (außer natürlich an die ,,heilige Wissenschaft und Logik"), andererseits auch nicht, warum man konkret sowas wie die männliche Beschneidung als Wert haben kann.
Auch, wenn man jetzt vielleicht mit Gesetzen kommen möchte, Kinderschutz, körperliche Unversehrtheit, Grundgesetz als Begründung - all diese Gesetze sind ja nicht aus dem Nichts vom Himmel gefallen ;)
Auch alle diese Gesetze sind vor dem Hintergrund des christlichen Glaubens und einer Kultur entstanden, deren Werte lange Zeit zumindest auf dem Papier christlich dominiert waren.
Schaut man genau hin und vergleicht, wird das deutlich.
Demnach ist es also in gewisser Weise doch wieder ein kultureller und Religionskonflikt, der Konflikt mit den Beschneidungen.
Deutschland muss heute mit einer Situation fertig werden, die es so in der Vergangenheit nie hatte, in der auch viele Gesetze und Regeln und Werte entstanden: Mit einer ziemlich großen, gemischten Gruppe, die auch für ihre Überzeugungen eintritt. Vor allem, wenn sie fundamental (hier nicht im negativen Sinne, sondern im Sinne von ,,grundlegend" gebraucht) sind.
Es muss unserer Gesellschaft und der Gesetzgebung bewusst werden, dass die Beschneidung für Juden und Muslime eben NICHT einfach nur ein kleines Thema ist, von wegen:,,Nehmen wir jetzt weinrot oder kirschrot für diese Tapete?"
Die Wurzen für dieses Rituals liegen im Bund Abrahams mit Gott.
Es ist der grundlegende Beweis, sozusagen, dass ,,alles, was männlich ist" (für Frauen gelten etwas andere Regeln) in einer Gemeinschaft mit Gott ist, es ist ein Initiationsritual.
Im Glauben der Muslime und der Juden geht es nicht ohne diese Beschneidung, ohne kann man nicht richtig mit Gott und der Gemeinschaft zusammen sein und selig werden.
Deshalb werden sich Juden und Muslime kaum davon abbringen lassen, auch nicht mit Gewalt in Form von rigorosen Verboten.
Wie will man das denn überhaupt kontrollieren? Die Kinder zum Arzt schleifen und dort ausziehen, um nachzugucken? Den Lehrern beim Schwimmunterricht in der Umkleide auerlegen, dass sie genau hinschauen sollen? Dann gehen die Eltern mit ihren Kindern eben nicht mehr zu einem (nicht-muslimischen/nicht-jüdischen) Arzt. Oder dann dürfen die Kinder sich halt gar nicht mehr in der Umkleide mit den anderen Jungs umziehen, sondern müssen die Badehose gleich tragen und dürfen sie nur verhüllt wechseln.
Eventuell gehen die Menschen auch wieder ins Ausland, vielleicht vollständig, vielleicht nur für die Beschneidung und dann zu sonsteinem seltsamen Quacksalber, statt zu einer erfahrenen Person, die weiss, was sie tut.
Unsere Gesellschaft muss erkennen, dass sie trotz ,,christlich-säkularem" Hintergrund nicht einfach mit Verboten in der Frage nach der Beschneidung handeln kann.
So etwas wird keinen Erfolg haben.
Unsere Gesellschaft muss begreifen, dass es auch Menschen gibt, denen ihr Glaube wichtiger ist, Menschen, die tatsächlich noch religiös sind.
Die Grundregeln im Grundgesetz sollen unangetastet bleiben, die Praxis allerdings muss etwas flexibler gestaltet sein, wenn man nicht größte Schäden für die Gesellschaft produzieren möchte.