Bundeswehr abschaffen?
29.01.2013 um 13:35Wozu eigentlich noch die Bundeswehr, Herr Königshaus?
Folgen der Truppen-Reform: Wehrbeauftragter beklagt Überlastung der Bundeswehr:
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/bundeswehr-wehrbeauftragter-koenigshaus-ruegt-ueberbelastung-der-truppe-a-880199.html
Folgen der Truppen-Reform: Wehrbeauftragter beklagt Überlastung der Bundeswehr:
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/bundeswehr-wehrbeauftragter-koenigshaus-ruegt-ueberbelastung-der-truppe-a-880199.html
Berlin/Hamburg - Der Mann reist zwar in Zivil, doch sein Gepäck weist ihn eindeutig als Bundeswehrsoldaten aus. Aus den Lautsprechern seines Laptops dröhnt rechtsradikale Musik. Die Mitreisenden im ICE sind erst genervt, dann schockiert - und beschweren sich schließlich beim Zugpersonal. Eine Alkoholkontrolle ergibt 2,15 Promille. Ein Fall aus den Streitkräften aus dem Jahr 2012.
Anderswo in Deutschland: Eine Gruppe Soldaten quält sich durch eine sogenannte "Military Fitness"-Ausbildung. Sie bekommen den Befehl, sich in einer Reihe nebeneinander auf den Rücken zu legen. Danach läuft jeder Teilnehmer einmal über die angespannten Bauchmuskeln der Kameraden. Die "Übung" birgt ein erhebliches Verletzungsrisiko und ist deshalb verboten. Widersprochen hat keiner der Teilnehmer. Ein weiterer Fall: Die Frau eines Unteroffiziers erwartet das erste gemeinsame Kind. Doch der Mann weilt auf Fortbildung. Er fragt seinen Vorgesetzten, ob er mit dem Auto zur Abschlussprüfung fahren dürfe - und danach direkt ins Krankenhaus. Die barsche Antwort: Er könne froh sein, "wenn das Kind von ihm sei". Der Soldat muss mit dem Bus reisen.
Drei höchst unterschiedliche Beispiele, alle stammen aus dem Jahresbericht des Wehrbeauftragten Hellmut Königshaus. Darin zeichnet der oberste Wächter für die Rechte der Soldaten ein düsteres Bild vom Zustand der deutschen Streitkräfte im Jahr 2012. Die Blitzreform der Truppe - mit der Abschaffung der Wehrpflicht, Kasernenschließungen und massiven Umstrukturierungen - lasse viele Soldaten verunsichert zurück. Dies sei bei fast allen Dienstgraden zu spüren, so Königshaus. Das Gefühl, "nicht mitgenommen" zu werden, sei weitverbreitet, so der FDP-Politiker. Immer wieder träten Mitglieder der Truppe mit solchen Sorgen an ihn heran. Zwar seien die Reformen nötig, bei der Planung seien aber auch erhebliche Fehleinschätzungen unterlaufen.
Konkret schildert Königshaus' Bericht auf 96 Seiten die Sorgen und Nöte der Soldaten:
Verunsicherung und Überlastung: Ein gewaltiges Problem und Königshaus' wichtigstes Anliegen ist die tiefgreifende Verunsicherung und Überlastung der Soldaten. Zwei wissenschaftliche Untersuchungen über den mentalen Zustand der Truppe haben auch 2012 wieder ein besorgniserregendes Bild ergeben. So überschreite die Einsatz- und Dienstbelastung vielfach die Grenzen der Belastbarkeit. Hier schlagen sich die Auswirkungen der Reform besonders deutlich nieder. Standorte machen dicht - und die Soldaten wissen nicht, wo sie demnächst dienen werden. Bei der Versetzung mangelt es dann nicht selten an Rücksicht auf die familiäre Situation der Soldaten. Anträge werden verschleppt, die Soldaten sitzen allein auf gepackten Koffern.
Lange Fahrten zum Dienstort: Kommt es zur Versetzung, werden viele Soldaten zum Pendeln gezwungen. Schon im Regeldienst liegt die Pendlerquote bei rund 70 Prozent. Dazu kommen regelmäßige Auslandseinsätze für viele Soldaten, die das Familiengefüge weiter belasten.
Auslandseinsätze: Doch nicht nur in der Kaserne in Deutschland gibt es Probleme. Gerade die Einsätze im Ausland stellen die Soldaten vor ganz neue, extreme Herausforderungen. Eigentlich sollen Missionen für den einzelnen Soldaten nach vier Monaten beendet sein. Tatsächlich sind laut dem Bericht Einsätze über sechs Monate die Regel. Besonders dramatisch ist die Lage in der Marine. Dort bleiben in einigen Bereichen bis zu 44 Prozent der Dienstposten unbesetzt. Folge ist eine ständige Überbelastung der vorhandenen Einheiten. Ein weiteres Zeitziel wird nur selten eingehalten. Nach vier Monaten im Ausland sollen die Rückkehrer 20 Monate einsatzfrei gehalten werden. Doch diese Regenerationszeit erreicht die Truppe nur begrenzt.
Rechtsextremistische Vorfälle: Im Jahr 2012 wurden 67 "besondere Vorkommnisse" mit Verdacht auf rechtsextremistischen, antisemitischen oder fremdenfeindlichen Hintergrund gemeldet. Damit ist die Zahl im Vergleich zum Vorjahr leicht gestiegen, damals lag sie noch bei 63 Fällen. Nach Angaben des Wehrbeauftragten wurden alle Meldungen untersucht. Meistens handelte es sich um sogenannte "Propagandadelikte", zum Beispiel "Sieg-Heil-Rufe", das Hören antisemitischer und fremdenfeindlicher Musik oder das Zeigen des Hitlergrußes.
Sexuelle Übergriffe: Insgesamt wurden im vergangenen Jahr 50 Fälle von sexuellen Übergriffen bekannt. In 16 Fällen waren Soldatinnen Opfer und Soldaten Täter, in drei Fällen waren Männer auf beiden Seiten betroffen. In den übrigen Fällen richteten sich die Übergriffe von Soldaten gegen weibliche Zivilpersonen überwiegend außerhalb der Bundeswehr. Bei den meisten Taten handele es sich um unangemessene Berührungen und verbale sexuelle Belästigungen, schreibt Königshaus. Zwei Soldatinnen beklagten zum Beispiel, dass sie von ihrem Zugführer während der Grundausbildung massiv verbal sexuell belästigt worden seien. Als sich eine der Frauen während des Schützenlaufs an den Bauch fasste, weil es ihr nicht gut ging, habe er gefragt: "Sind Sie schwanger? Aber nicht von mir." Zur Bemerkung der anderen Soldatin, zwei Katzen zu haben, habe der Zugführer gesagt: "Ah, Sie haben drei Muschis!" Vergewaltigungen seien aber wie in den Vorjahren die absolute Ausnahme, schreibt Königshaus. Er schließt nicht aus, dass es über die bekannten Fälle hinaus eine Dunkelziffer gibt, weil betroffene Soldaten sich nicht melden würden. Deshalb soll sich jetzt eine Studie mit dem Thema beschäftigen.
Kinderbetreuung und Elternzeit: Nach wie vor findet die Truppe keine Antwort auf die Frage, wie junge Paare Kind und Dienst verbinden können. Der Wehrbeauftragte moniert, dass sich die Betreuungslage nur wenig verbessert habe, etwa in Bundeswehrkrankenhäusern. Zwar fordere die Bundesregierung die Wirtschaft auf, Betriebskindergärten einzurichten, bei der Bundeswehr tue sich aber kaum etwas - und das, obwohl Soldaten mit Kindern durch unregelmäßige Dienstzeiten und Pendelei in besonderem Maße auf Kita-Angebote angewiesen seien. Der Situation "entsprechen das vorhandene und auch das künftig angestrebte Kinderbetreuungsangebot keineswegs". Hinzu kommt, dass bei der jetzigen Personalstruktur nicht vorgesehen sei, dass junge Paare Elternzeit nehmen können. Das erschwere es Soldaten, von ihrem Recht Gebrauch zu machen. "Hier muss ein Umdenken einsetzen", fordert Königshaus.
Frauen in der Bundeswehr: Der Anteil der Frauen lag im vergangenen Jahr bei nur 9,65 Prozent. 18.494 Frauen dienten in den Streitkräften. Die im Gesetz zur Gleichstellung von Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr vorgegebenen Quoten von 50 Prozent im Sanitätsdienst und 15 Prozent in den übrigen Laufbahnen seien noch nicht erreicht worden, schreibt Könighaus. Bei den Freiwillig Wehrdienst Leistenden sei der Frauenanteil besonders gering. Der Wehrbeauftragte kritisiert, dass es bei der von vielen Soldatinnen gewünschten Ausgehbekleidung keine Fortschritte gebe, obwohl das Erscheinungsbild ein "nicht zu vernachlässigenden Werbefaktor für interessierte junge Frauen" darstelle.